East Side Mall in Friedrichshain: Berlins 69. Shoppingcenter öffnet
In Berlin sind in den vergangenen Wochen Zehntausende Quadratmeter Handelsflächen für Einkaufszentren neu entstanden. Und es dürften noch viel mehr werden.
Staub liegt in der Luft. Wo in ein paar Stunden Kreuzberger Konsumenten schon shoppen sollen, wird am Dienstagnachmittag noch geschraubt, gehämmert und gestrichen. Hier in Friedrichshain, zwischen Mercedes-Benz-Arena und dem S-Bahnhof Warschauer Straße, entsteht Berlins 69. Shoppingcenter, die East Side Mall. Auf rund 25000 Quadratmetern werden ab dem heutigen Mittwoch mehr als 100 Läden um Kundschaft werben. Frage an den Center-Manager Markus Scheer: „Schaffen Sie das überhaupt noch pünktlich?“ Der Mann ist sich sicher: „Garantiert!“ Zumindest von Seiten der Unternehmen ist das Interesse groß an der neuen Shopping-Mall: „Unsere Handelsflächen sind zu über 90 Prozent vermietet“, sagt Scheer.
Ob allerdings auch die Kunden das Angebot goutieren und zum betriebswirtschaftlicher Erfolg machen werden, ist alles andere als sicher. Da wäre einerseits die Nachbarschaft, die sich nicht zuletzt aus Alt-68ern, Hippies und Antifa-Sympathisanten zusammensetzt. Was natürlich auch Jan Heidelmann, dem Chef des ausführenden Immobilienentwicklers FREO, nicht entgangen ist. „Mal schauen, ob uns morgen der schwarze Block den Laden leer räumt“, scherzt er. Zumindest bislang sei alles friedlich verlaufen: „Keine Proteste vor der Baustelle, keine Farbbeutelattacken – nix.“ Letztlich aber muss das Einkaufszentrum vor allem eines: Umsatz erwirtschaften. Und dafür braucht es ein Alleinstellungsmerkmal zu anderen Häusern. „Die Gegend hier war bisher ein weißer Fleck auf der Shopping-Landkarte“, sagt Center-Manager Scheer, „das ist unser Unique Selling Point“. Ob das reicht?
Zweifel sind angebracht. Denn nicht nur in Friedrichshain, auch anderswo in der Stadt sind in diesem Jahr große neue Handelsflächen hinzugekommen. Zuletzt eröffnete vor knapp sechs Wochen in Moabit das Shoppingcenter Schultheiss-Quartier – mit 30 000 Quadratmetern Verkaufsfläche sogar noch einen Ticken größer als die East Side Mall. Alles in allem summiert sich nach Angaben des Handelsverbands Berlin-Brandenburg (HDE) die Verkaufsfläche aller 69 Berliner Malls auf 1,4 Millionen Quadratmeter. Inklusive aller anderen Verkaufsorte kommt Berlin auf Handelsflächen von 4,6 Millionen Quadratmeter. Pro Einwohner ergibt das rund 1,24 Quadratmeter Verkaufsfläche. Klingt viel, ist es aber im Vergleich zur Restrepublik nicht. In Hamburg etwa liegt die Quadratmeterzahl bei 1,56 je Bürger. Wegen ihrer jahrzehntelangen Teilung habe es viel Aufholbedarf gegeben in der Hauptstadt, erklärt HDE-Chef Nils Busch-Petersen.
Doch wie optimistisch ist er, dass der neue Shoppingtempel an der East Side Gallery ein Erfolg wird? Busch-Petersen gibt sich zweckoptimistisch: „Wer nicht lächeln kann, sollte kein Geschäft eröffnen“, sagt er. „Die Parameter sind doch gut in der Stadt: Wir haben Beschäftigung auf Höchststand, wir haben einen hohen Einwohnerzuwachs und auch der Tourismus boomt.“ Und gerade der letzte Punkt dürfte beim neuen Center zum Tragen kommen, glaubt er. Denn das entstehe ja in einem Gebiet, das nicht primär von Wohnbevölkerung geprägt sei, sondern einerseits durch die vielen Arbeitspendler auf dem benachbarten Zalando-Campus. Andererseits aber auch von den Touristen der East-Side-Gallery. „Das ist für den Handel schon eine interessante Ecke“, glaubt Busch-Petersen.
Dennoch, dass es auf dem Markt zu Bereinigungen kommen wird, kann und will auch der Verbandsgeschäftsführer nicht ausschließen. „Dass nicht jedes Center läuft, ist eine ganz normale Entwicklung“, sagt Busch-Petersen. „Es stimmt schon: Was die Zahl der Center angeht, liegt Berlin ganz weit vorne.“ Die Konsolidierung ist daher nur eine Frage der Zeit: „Es wird sicherlich einige Center geben, die nicht so erfolgreich sein werden: Letztlich sehe ich uns bei etwa 65 Centern ankommen in den nächsten Jahren.“ Allerdings hat die vergleichsweise hohe Zahl an Centern auch einen hohen Lerneffekt für die Centerbetreiber: „Wer in Berlin nicht innovationsfähig ist, findet sich schon bald nicht mehr am Markt.“
Während beim Rundgang durch die East Side Mall noch vieles konventionell wirkt, gibt es an anderer Stelle in der Stadt Beispiele dafür, wie Handelsflächen neu gedacht werden. Bereits am Donnerstag der vergangenen Woche eröffnete Karstadt-Chef Stephan Fanderl die erste neue Filiale seit vielen Jahren – in der Gropius-Passage in Berlin-Neukölln. Die Kunden sind umgeben von viel Holz und Licht – und großen Bildschirmen an den Wänden: „Hier fließt vieles ein von dem, was wir in den letzten zwei Jahren über Digitalisierung, aber auch über das Eingehen auf die lokalen Bedürfnisse unserer Kunden gelernt haben“, lobte Fanderl das neue Konzept der Filiale. Das 80. Haus des Warenhauskonzerns ist zugleich eine Blaupause für die geplante Fusion von Kaufhof und Karstadt. Denn die neue Dependance ist ausgerechnet in einer ehemaligen Kaufhof-Filiale entstanden. Was sich in Berlin eher zufällig ergeben hat, könnte es künftig vielleicht häufiger geben: Dass Kaufhof-Filialen den Karstadt-Häusern weichen müssen – oder umgekehrt, wenn das Portfolio des neuen Warenhauskonzerns bereinigt wird.
Auch dürften wohl nicht alle Filialen die Fusion überstehen. Branchen-Fachleute erwarten, dass nur die Hälfte der insgesamt 180 Häuser erhalten bleiben wird. Derzeit prüft das Kartellamt den geplanten Zusammenschluss.
Fanderl tut zumindest alles dafür, dass die Karstadt-Häuser nach den harten Sanierungsjahren bei der Zusammenlegung der Standorte gute Überlebenschancen haben – und will Ende 2019 oder Anfang 2020 in Berlin-Tegel zusätzlich eine noch größere Filiale eröffnen.
In den neuen Häusern versucht er, Online- und Offline-Welt miteinander zu verbinden. Die Kunden können alleine oder gemeinsam mit den Mitarbeitern über Bildschirme durch das komplette Angebot in der Filiale sowie im großen Online-Warenhaus von Karstadt surfen.
Außerdem können sie über die mobilen Endgeräte von Mitarbeitern ihr Hemd oder ihren Kochtopf bezahlen und so lange Schlangen an den Kassen umgehen. Auch heute im Einzelhandel übliche Dienste wie Click & Collect, also das Abholen im Internet bestellter Ware, oder Click & Reserve, das Reservieren von Produkten, um sie im Laden in Augenschein zu nehmen, bietet das neue Karstadt-Haus in der generalüberholten Gropius-Passage. Der Karstadt-Eigentümer, Signa-Chef René Benko, glaubt jedenfalls an das Überleben der Warenhäuser. „Stephan Fanderl und sein Team haben bei Karstadt bislang einen Riesenjob gemacht“, sagte er kürzlich im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Sie haben bewiesen, dass das Warenhaus eine Zukunft hat.“
In diesem Interview, seinem ersten seit fünf Jahren, widersprach er der These vom großen Warenhaus-Sterben. „Wir hatten nach der Übernahme von Karstadt fertig ausgehandelte Sozialpläne für die Schließung von 25 Filialen in der Schublade. Aber wir haben trotzdem um jede einzelne Filiale gekämpft.“ Am Ende seien nur drei Warenhäuser tatsächlich geschlossen worden.
Experten sind indes skeptisch, ob es Benko und Fanderl so gelingen wird, aus den beiden letzten deutschen Warenhaus-Konzernen eine neue schlagkräftige Einheit zu formen. Um langfristig Kunden in Kaufhäuser und Shoppingcenter zu locken, müssen die Konzepte nach Ansicht von Fachleuten noch deutlich radikaler modernisiert werden.
„Der wichtigste Grund für die Probleme der Shoppingcenter ist das veränderte Einkaufsverhalten der Millennials“, erklärt André Zücker, Geschäftsführer der Fondsgesellschaft KGAL, die selber in Einkaufszentren investiert. Daran hätten sich seiner Einschätzung nach die meisten Center noch nicht angepasst. „Wer sich als Alternative zum immer mehr zunehmenden Onlinehandel etablieren will, muss viel mehr Aufenthaltsqualität bieten.“
Kaufhof und Karstadt haben das Problem erkannt. Sie wollen die online-verwöhnten Kunden nicht nur mit den üblichen Gastronomie-Angeboten wie Restaurants und Cafés in ihre Häuser locken. Sie setzen vor allem darauf, neue Handelspartner in ihre Filialen aufzunehmen.
Auch Fanderl will seine Häuser zu Marktplätzen machen. Bislang hat Fanderl bereits zehn Prozent der gesamten 1,1 Millionen Quadratmeter großen Verkaufsfläche aller Häuser an Handelspartner vermietet. Der von Karstadt bereits in Ansätzen verfolgte Gedanke des Marktplatzes könnte in der Tat ein möglicher Weg sein, um wieder mehr Kunden in die Innenstädte zu locken. „Karstadt und Kaufhof haben eine gigantische Chance: Sie müssen wieder zum sozialen Zentrum in den Städten werden, wo Menschen sich treffen“, sagt Klaus Dieter Koch, Markenexperte und Gründer der Managementberatung Brand Trust. „Nur wenn ihnen das gelingt, haben sie eine Zukunftschance.“