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Frühlingsspaß zu Weihnachten. Rollern im Gleisdreieck-Park.
© Mike Wolff

Wetter-Kapriolen vor Weihnachten: Berliner Spätherbstfrühling

Kurz vor Weihnachten bringt die Wärme die Natur durcheinander. Es blühen schon japanische Kirschen. Es soll noch milder werden – und dann eisig.

Die Hoffnung auf weiße Weihnachten können wir in den Südwestwind schlagen. In diesem Jahr stellt sich eher die Frage, ob die Rentiere kollabieren. Zwölf Grad waren es am vierten Advent, zwölf sollen es auch Heiligabend werden, am Mittwoch womöglich sogar 15. Beeindruckend seien nicht so sehr die absoluten Temperaturwerte, sondern die wochenlange Dauer der Wärme, sagt Jörg Riemann vom Wetterdienst Meteogroup. Er ist sich sicher: Der Winter kommt – im Laufe des Januars. Und zwar heftig.

Bis dahin bleibt Zeit für einen lauschig-lauen Weihnachtsspaziergang, zum Beispiel auf dem Mauerweg an der Bornholmer Straße, wo gerade die Japanischen Kirschen erblühen. Die Haselsträucher in der Stadt tun es ihnen gleich – zum großen Verdruss vieler Allergiker. Geranien treffen auf Winterjasmin, letzte Rosen auf erste Krokusse. Hier blüht zusammen, was zusammen betört – aber sich sonst nie trifft.

Derk Ehlert, Wildtierexperte beim Senat, weiß auch von frisch zurückgekehrten Kranichen am Tegeler Fließ und auf den Gosener Wiesen zu berichten. „Jetzt werden sie für ihre Schummelei auch noch belohnt“, sagt der Biologe. Vor zehn Jahren hätten die großen Zug(!)vögel noch in Spanien oder wenigstens in Frankreich überwintert. Jetzt sind sie hier – und hören den Gesang der Amseln, der zu Weihnachten passt wie das Osterei auf den Adventskranz. „Aber das heißt noch lange nicht, dass die Amseln jetzt schon Nester bauen“, sagt Ehlert. Die Füchse seien dagegen schon in Paarungsstimmung; erst am Sonntag seien ihm zwei überfahrene gemeldet worden.

Der Pseudo-Winter rafft Insekten dahin

Als Naturfreund beunruhige ihn dieser Spätherbstfrühling nicht, sagt Ehlert. Zwar könnten die Blüten mancher früh gestarteten Gewächse noch dem Frost zum Opfer fallen, aber „die Blüte ist ja nur Schnickschnack zur Vermehrung. Die Pflanzen gehen nicht kaputt.“ Und bei den Tieren trifft es, pragmatisch gesehen, die Richtigen: Wechselwarme wie Mücken oder Schnecken werden zu Aktivität animiert – und dadurch geschwächt oder von ruhelosen Igeln gefressen, anstatt gut frostgeschützt zu überwintern. Insofern rafft der Pseudo-Winter manche Plage eher dahin als ein richtiger.

Gut für Straßenbäume - es wird kein Salz gestreut

Zugleich erspart die Wärme der Stadtnatur ein menschgemachtes Übel: Tausalz. Der Wegfall des Winterdienstes freut nicht nur Hauswarte und BSR-Mitarbeiter, sondern vor allem die Straßenbäume. Die leiden praktisch lebenslang unter dem Salz, das sich im Boden anreichert und ihnen im Sommer das Wasser entzieht. Aus guten Gründen ist sein Einsatz für Privatleute streng verboten.

Schnee - das war mal. Wie hier am 20. Dezember 2014 in der Wollankstraße in Pankow.
Schnee - das war mal. Wie hier am 20. Dezember 2014 in der Wollankstraße in Pankow.
© dpa

Der Meteorologe Jörg Riemann rechnet damit, dass dieser Dezember mit einer Mitteltemperatur von knapp sieben Grad – die Prognose bis Silvester ist darin bereits enthalten – mit Abstand der wärmste seit Beginn der Messungen wird. Normal wären 1,2 Grad, der bisherige Berliner Monatsrekord liege bei 5,5 Grad. Von durchschnittlich 17 Nachtfrösten habe es bisher erst für zwei gereicht. Viel werde sich daran nicht mehr ändern, zumal die Wetterlagen in den vergangenen Jahren auffallend langlebiger geworden seien. Selbst der Temperaturrückgang auf etwa sechs Grad nach den Weihnachtsfeiertagen sei kein Wetterumschwung, sondern nur eine Feinjustierung der vorhandenen Gemengelage.

"Der Winter schafft es noch von Island nach Berlin"

„Man darf nicht glauben, dass sich die Polarluft plötzlich so aufgeheizt hätte“, sagt Riemann. „Sie war noch gar nicht hier.“ Stattdessen sammle sie sich über Island und Sibirien, wo es seit Wochen noch kälter sei als sonst – und weiter abkühle. „Dieser Gegensatz wird sich irgendwann auflösen müssen, indem die Kaltluft nach Süden durchbricht und die Wärme nach Norden gelangt.“

In diesem Jahr werde das nichts mehr, um den Dreikönigstag – den „Siebenschläfer“ des Winters, an dem sich oft die Wetterverhältnisse für mehrere Wochen stabilisieren – wohl auch noch nicht. Aber dann. „Fakt ist: Es ist noch nie ein milder Winter bis Februar durchgelaufen“, sagt Riemann und wagt eine kühne Prognose: Der Winter werde es noch bis nach Berlin schaffen, mit eisigem Ostwind und Dauerfrost. Weil sowohl die Statistik als auch die Physik dafür sprächen. Nun müssen es noch die Wettermodelle tun, die aber jenseits von zehn Tagen vage werden.

Auf die Kirschblüte könnte also Schnee folgen. Aber selbst wenn es bis Silvester frostfrei bleibt, wird 2015 insgesamt zumindest in Berlin nicht rekordwarm sein: Die durchschnittlich elf Grad aus 2014 lassen sich nicht mehr überbieten. Aber die Chancen für Platz zwei stehen gut.

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