Trotz Wohnungsnot: Berliner Senat erschwert Ausbau von Dachgeschossen
Für Neubauten auf Dächern und in Baulücken sollen keine Bäume gefällt oder beschnitten werden. Lediglich für günstigen Wohnraum können Ausnahmen gelten.
100.000 Wohnungen fehlen in Berlin, sagen Experten – und deshalb steigen Mieten und Kaufpreise. Gegen die Wohnungsnot hilft nur eins, sagen Mietervertreter und Entwickler einvernehmlich: bauen! Zumal es in Berlin Lücken genug gibt in den Häuserzeilen und Platz genug auf den Dächern der Altbauten. Doch ausgerechnet den Einsatz dieser Reserve, die Bauträger bisher nutzen, um mehr Wohnungen zu schaffen, behindert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nun mit einer umstrittenen Anweisung.
Denn das „Rundschreiben II E Nr. 50/2017“ aus dem Hause von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) wird nach Einschätzung von Architekten und Bauträgern die ohnehin schon schrumpfende Zahl der Baugenehmigung so richtig abstürzen lassen.
Große Zahl von Neubauten wird verhindert
Worum es da geht? Die in Berlin allgegenwärtigen Straßenbäume dürfen künftig nicht mehr angetastet werden: „Es erfolgt grundsätzlich kein Rückschnitt von Straßenbäumen oder deren Fällung, um den 2. Rettungsweg für den Neubau (Dachgeschossausbau und Lückenschließung) planmäßig zu ermöglichen“. Und das verhindert künftig eine große Zahl von Neubauten, sagen Planer und Bauexperten. Denn mit dieser Bestimmung verschärft die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unter Führung der Linken die Bestimmung für den Bau höherer Häuser in der Stadt zur Bekämpfung der Wohnungsnot, die der sozialdemokratische Vorgänger Andreas Geisel noch mit aller Kraft vorangetrieben hatte.
Schaffung von günstigem Wohnraum wird bevorzugt
Der Erlass ist aber zugleich ganz unverhohlen politisch motiviert, indem er Bauherren bevorzugt, die günstigen Wohnraum schaffen. Denn in dem Rundscheiben heißt es: „Wird in vorhandenen Baulücken aber preiswerter Wohnungsbau realisiert, sollen die Bezirke im Einzelfall durch Baumrückschnitt die Erreichbarkeit der Feuerwehr-Drehleiter ermöglichen“.
Zur technischen Umsetzung des politischen Ziels dient die Verschärfung pragmatischer Regelungen im Umgang mit dem Brandschutz. Dieser schreibt vor, dass oberhalb der „Traufhöhe“ von 22 Metern Richtlinien für den Bau von Hochhäusern gelten und Bauherren deshalb üblicherweise ein zweites Treppenhaus als Fluchtweg einrichten müssen oder einen „Sicherheitstreppenraum“ mit brandsicheren, selbst schließenden Türen und Entlüftung. Beides kostet viel Geld, ist mangels Platz oft nicht möglich, weshalb die Ämter oft einen dritten Weg wählen und Ausbaugenehmigungen über einen Notbehelf erteilen.
Und der geht so: Wenn das Dachgeschoss über eine Drehleiter der Feuerwehr noch erreichbar ist, erkannten Bauämter dies als „zweiten Rettungsweg“ an. Deshalb entstehen in Baulücken und an Straßenkreuzungen oft höhere Häuser mit mehr Wohnungen als in Gründerzeitquartieren sonst üblich. Und auch der Ausbau von Dachgeschossen erhöhte die Zahl der Baugenehmigungen zuletzt erheblich. Der neue Erlass stoppt das nun.
Denn fast überall in der Stadt stehen Straßenbäume den langen und raumgreifenden Leiterautos der Feuerwehr im Wege – und diese dürfen Grünämter und Gärtner nicht mehr wie bisher beschneiden. „Bei fast jedem Dachausbau oder jeder Lückenschließung handelten bisher Ämter, Bauherr und Gärtner einen Kompromiss aus, die Bäume werden stark beschnitten, bleiben aber erhalten“, sagt ein Architekt, der wegen der Brisanz des Erlasses nicht genannt werden will.
Beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen hieß es auf Anfrage: „Bei solchen neuen Auflagen ist es kein Wunder, dass Bauzeiten immer länger werden und Baukosten immer weiter steigen“, sagt Vorstand Maren Kern.
Nachverdichtung unerwünscht?
„Nachverdichtung durch den Ausbau von Dachgeschossen oder die Schließung von Baulücken ist offensichtlich unerwünscht“, sagt ein Planer, der selbst etwa in Tempelhof-Schöneberg von einschlägigen Erfahrungen mit unwilligen und trägen Bauämtern berichtet. Diese Erfahrung ist kein Einzelfall, wie die Statistik der berlinweit erteilten Baugenehmigungen zeigt, in der der zentral gelegene Bezirk zu den Schlusslichtern zählt.
Ganz offen gegen Neubau sprach sich auch mal der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Florian Schmidt (Grüne) aus. Der Bezirk sei der am stärksten verdichtete von ganz Berlin und weitere Neubauten verschärften die Probleme etwa mit überfüllten Parks und Grünflächen oder fehlenden Kitaplätzen.
Nun scheinen auch handfeste Zahlen jenen Kritikern recht zu geben, die der rot-rot-grünen Stadtentwicklungspolitik vorhalten, sie bremse den zuletzt in Fahrt gekommenen Neubau aus. Von Januar bis Ende Mai dieses Jahres genehmigten die Bezirke Anträge für den Bau von insgesamt 8815 Wohnungen – das sind 4,4 Prozent weniger als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres.
Und weil bei Weitem nicht jeder Antragsteller den genehmigte Neubau auch realisiert– die Spekulation mit baureifen Grundstücken ist in Berlin besonders beliebt –, wächst in der Stadt das Angebot an Wohnungen viel langsamer als die Zahl der Haushalte: Im Jahr 2016 stieg der Wohnungsbestand um knapp 14 000 – viel zu wenig, gemessen an der ungefähr doppelt so stark gestiegenen Zahl der Haushalte in dem Zeitraum. Und so kämpfen noch mehr Menschen um ein noch knapperes Angebot, was die Wohnungsnot weiter verschärft.
Erlass dient Umwelt- und Klimaschutz
Bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hieß es zum Rundschreiben, dieses verfolge „Berliner Ziele zum Umwelt- und Klimaschutz“ und stärke "Rettungswegekonzepte zugunsten des vorhandenen Baumbestandes und damit zum Vorteil für das Stadtklima". Das Bauen werde „aus Fachsicht in keiner Weise verhindert“. Von einem Rückgang der Bautätigkeit „kann nicht ausgegangen werden“. Es stehe sowohl der Bau eines zweiten Rettungsweges als auch der Einsatz von „Geräten der Feuerwehr“ zur Schaffung desselben zur Wahl, und das würde nur da eingeschränkt, „wo Baumbestände angefasst werden müssten“.