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Abdulaziz Kanbr sitzt neben Abdulghafour Alnajjar in einem Klassenraum der Herbstschule.
© Joana Nietfeld

„Zuhause kann ich überhaupt nicht lernen“: Berliner Schüler erzählen, warum sie die Herbstschule besuchen

Eigentlich sind Ferien zum ausruhen da. Doch seit Corona die Lernlücken verschlimmert hat, wird auch in der freien Zeit Unterricht angeboten. Ein Besuch.

Abdelaziz Kanbr braucht jeden Morgen fast zwei Stunden zum Oberstufenzentrum (OSZ) in Charlottenburg. Wenn er wollte, hätte er gerade Herbstferien, könnte ausschlafen und Netflix schauen. Doch der 18-Jährige aus Bernau will nicht. „Wenn man ein Ziel hat, muss man dafür kämpfen.“

Er will Medizintechniker werden und dafür brauche er den Mittleren Schulabschluss (MSA). Außerdem könne man wegen Corona gerade ohnehin nichts Spannenderes machen, deshalb käme die Herbstschule gelegen und die vier Stunden Fahrt seien verkraftbar.

Die sogenannten Herbstschulen sind die Weiterführung der Sommerschulen. Eine Idee vom Berliner Senat, um die Lernrückstände derer auszugleichen, die während des Lockdowns kaum Hilfestellungen erhalten haben.

Staatssekretärin Beate Stoffers besuchte am Donnerstagvormittag das OSZ für Körperpflege in Charlottenburg. „Ich habe gerade gelernt, dass man das Programm auch die Schule der vier Jahreszeiten nennen könnte“, sagt sie zu Beginn.

Für die kommenden Ferien sei der außerordentliche Unterricht wieder in Planung, so gut würde er ankommen. In diesen Herbstferien hatten berlinweit 7.500 Schülerinnen und Schüler das Angebot genutzt, davon 950 an Beruflichen Schulen. Rund

10.000 waren es im Sommer. „Wir sind in Berlin Vorreiter mit diesem Programm“, sagt Stoffers. „98 Prozent der Teilnehmenden haben in den Sommerferien mitgeteilt, dass sie sehr zufrieden sind.“

Staatssekretärin Beate Stoffers mit den Schülerinnen und Schülern im Gespräch.
Staatssekretärin Beate Stoffers mit den Schülerinnen und Schülern im Gespräch.
© Joana Nietfeld

Abdulaziz Kanbr sitzt neben Abdulghafour Alnajjar - beide tragen ein Hemd. Sie sind zwei der 40 Schüler, die in den vergangenen zwei Wochen die Herbstschule am OSZ besucht haben. Sie gehen eigentlich auf das Oberstufenzentrum für Informations- und Medizintechnik in Neukölln, aber für die Herbstferien sind sie hier untergekommen.

Viele kommen in die Herbstschule, weil sie Zuhause nicht lernen können

An diesem Donnerstag sind sie neben einigen anderen Jugendlichen eingeladen, um Beate Stoffers und den anwesenden Journalistinnen und Journalisten von dem außerplanmäßigen Unterricht zu berichten. Alnajjar ist seit 18 Monaten in Deutschland, er kommt aus Syrien. „Zuhause kann ich überhaupt nicht lernen.“ Da fehle ihm jemand, der Erklärungen liefert, wenn er nicht weiter kommt.

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Der 18-Jährige hat schon die Sommerschule besucht, so wie die meisten, die sich erneut für das Programm im Herbst entschieden hatten, berichtet Stoffers. Der Unterschied zum Sommer sei allerdings, sagt Alnajjar, dass er damals in der bunt gewürfelten Gruppe Freunde gefunden habe.

Dieses Mal blieben alle für sich fokussiert auf die Inhalte, die sie nachholen mussten. Stoffers betont, dass alle Schülerinnen und Schüler freiwillig die Herbstschule besuchen würden.

„Die Motivationslage bei den Schülern ist deutlich zurückgegangen”

Roland Rahmig, Sprecher der Beruflichen Schulen Berlin, sieht das Problem genau da: „Die weniger Motivierten werden nicht kommen. Schüler sind eben Schüler und Ferien sind Ferien.” Dennoch habe auch er das Interesse Einzelner mitbekommen, auch wenn insgesamt die „Motivationslage bei den Schülern in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen ist.“

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Er erklärt sich den Durchhänger von der vielen Zeit in den vergangenen Monaten, die als Freizeit empfunden wurden. Noch deutlicher als vorher sei erkennbar, dass sich viele Schülerinnen und Schüler lediglich für die gute Note anstrengen, nicht aber für den eigenen Kompetenzzuwachs. Doch besonders Geflüchtete meldeten sich häufig zu den Kursen an.

Etwa die Hälfte der Anmeldungen käme aus Willkommensklasse, also von Schülerinnen und Schülern, die erst seit kurzer Zeit Deutsch lernen, betont Stoffers. Auch Abdulghafour Alnajjar hat ein großes Ziel: Er will nächstes Jahr den Mittleren Schulabschluss schaffen, danach das Abitur - und später Informatik studieren. Dafür fährt er jeden Tag von Schönefeld nach Charlottenburg.

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