„Politisch nicht besonders klug“: Berliner Politik reagiert ablehnend auf die Initiative „Berlin autofrei“
Franziska Giffey hält Volksbegehren für "völlig falschen Ansatz", Bettina Jarasch sieht Rückendwind für Grüne. Verkehrsforscherin kritisiert das Vorhaben.
Die Berliner Landespolitik reagiert äußerst zurückhaltend auf den Gesetzesentwurf der Initiative „Berlin autofrei“. Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) sagte dem Tagesspiegel: „Das Vorhaben der Volksinitiative, eine weitgehend autofreie Innenstadt per Gesetz einzuführen, ist juristisch hochkomplex.“ Es gelte nun, den fast fünfzigseitigen Gesetzentwurf zu prüfen, die Federführung dafür liegt bei der SPD-geführten Innenverwaltung.
Am Donnerstag hatte die Initiative, die einen Volksentscheid anstrebt, ein Gesetz vorgestellt, das den gesamten Bereich innerhalb des S-Bahn-Rings zu einer „autoreduzierten Zone“ umwidmen soll. Privatautos dürften maximal zwölfmal jährlich einfahren, etwa für Urlaube oder Umzüge. Dafür müsste eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden.
Weiter in die Innenstadt fahren dürften Lieferwagen, Polizei- und Rettungswagen oder Car-Sharing-Dienste. Nach Tagesspiegel-Informationen gibt es im Senat Bedenken, ob das Land für eine so weitreichende Regelung überhaupt zuständig wäre, oder ob es flankierende Bundesgesetze bräuchte.
Günther sagte am Freitag, das Ziel, den ÖPNV und die Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur stark auszubauen, setze der Senat bereits mit der „eingeleiteten Mobilitätswende“ um. „Wir halten dabei unsere Strategie des Wandels bestehend aus neuen Angeboten, Anreizen, Pilotvorhaben, Leuchtturmprojekten und daraus abgeleiteten Regulierungen auf Grundlage des Berliner Mobilitätsgesetzes für zielführend.“
Zwischen den Zeilen scheint deutlich die Skepsis am Entwurf der Initiative durch, der letztlich weitreichende Innenstadt-Fahrverbote beinhaltet. „Politisch nicht besonders klug“ sei das Vorhaben, befanden selbst Politiker, die sonst scharfe Verfechter davon sind, den Autoverkehr zurückzudrängen. Sie fürchten eine zunehmende Polarisierung der Debatte – ohne jedes Ergebnis.
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Auch Verkehrsforscherin Barbara Lenz sieht den Vorstoß der Initiative eher kritisch. „Ich halte das für politisch zu einschneidend, denn es gibt längst viele Instrumente, mit denen der Autoverkehr sukzessive reduziert werden könnte“, sagte Lenz vom Institut für Verkehrsforschung des Deutsches Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Allen voran sei das die Parkraumbewirtschaftung, es gebe auch die Möglichkeit einer City Maut oder einer Pkw-Nutzungsbepreisung nach Fahrtzeit- oder strecke. „Man muss das nur anwenden“, sagt Lenz. Was dem Entwurf laut der Verkehrsforscherin bislang völlig fehlt, sei ein Konzept, wo die Menschen ihre Fahrzeuge parken sollten, wenn sie ab einem bestimmten Datum nicht mehr fahren dürften.
Giffey: Das ist der völlig falsche Ansatz
Lenz ergänzt: „Wenn die Leute nicht mehr in der Stadt fahren dürfen, dürfen auch die Pendler nicht mit dem Auto kommen.“ Der eigene Pkw würde aber überdurchschnittlich oft für den Weg zur Arbeit genutzt, diesen Pendel-Verkehr könne man nur mit einem massiven Ausbau von Bus und Bahn auffangen. „Das dauert aber Jahre oder Jahrzehnte“, sagte Lenz. „Vorschläge wie dieser sind aber immer ein guter Anlass zu schauen, wie weit man gehen kann, ein Anlass, zu debattieren.“
SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey hatte eine autofreie Innenstadt noch im vergangenen Jahr als „wirklichkeitsfremd“ bezeichnet. Am Freitag sagte sie dem Tagesspiegel: „Es ist der völlig falsche Ansatz, Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie zu leben haben. So vielfältig wie Berlin und seine Menschen sind, so vielseitig sind auch die Mobilitätsbedürfnisse.“
Das Ziel einer klimaneutralen Mobilität könne nur im Miteinander erreicht werden. „Für uns gibt es nicht das eine richtige Verkehrsmittel“, sagte Giffey. „Wir wollen gute Alternativen zum eigenen Auto anbieten, damit mehr Menschen auf eine klimafreundliche Mobilität umsteigen.“
FDP-Verkehrspolitiker Henner Schmidt sagte dem Tagesspiegel: „Extreme Vorschläge liefern keine Lösungen für komplexe Situationen. Eine autofreie Innenstadt ist ein viel zu weitreichender Eingriff in die freie Entscheidung der Menschen, schließt die Berlinerinnen und Berliner in den Außenbezirken aus der Innenstadt aus und führt zu einer Verlagerung des Einkaufens auf die grüne Wiese.“
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Stattdessen müssten Bus und Bahn erstmal ausgebaut werden, höhere Nutzerzahlen seien zurzeit überhaupt nicht zu bewältigen. „Die Vision der Aktivisten passt eher zu einer Kleinstadt als zu einer internationalen Metropole“, sagte Schmidt.
Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen, sprach von „Rückenwind für die gemeinsame Sache“ durch die Initiative. Auch sie skizzierte jedoch einen anderen Weg: Die Grünen wollten „attraktive Angebote“ machen, damit Menschen auf ihr Auto verzichten. „Deshalb treiben wir den ÖPNV-Ausbau und die Erhöhung der Taktung voran, gerade auch in den Gebieten außerhalb des S-Bahnrings“, sagte Jarasch dem Tagesspiegel.