„Raus aus dem Angstbereich“: Berliner Moschee von Seyran Ates bietet queeren Muslimen Schutz und Beratung
Die liberale Ibn Rushd-Goethe Moschee in Moabit ist umgezogen und hat deutlich mehr Platz. Sie hat nun eine Anlaufstelle „Islam und Diversity“.
Vor dem Fensterbrett, auf dem eine rote Kerze flackert, steht eine Couchgarnitur in osttürkischem Design. Fünf Meter weiter hängt eine meterbreite Regenbogenfahne an der Wand, und in einer Ecke steht ein Aufsteller mit dem Schriftzug „Ibn Rushd Goethe Moschee“.
Der Raum ist mindestens acht Meter hoch, er ist ausladend, und auf der Couch sitzt Seyran Ates und sagt zufrieden: „Wir haben jetzt mindestens doppelt so viel Platz wie früher. Wir sind aus allen Nähten geplatzt.“
Seyran Ates ist die Leiterin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee, sie hat das islamische Gotteshaus 2017 in Moabit gegründet, da lag es im dritten Stock eines wuchtigen Baus, mit Toiletten im Erdgeschoss, ohne Küche und bot gerade mal 40 bis 50 Gläubigen Platz.
Die neue Moschee liegt zwar immer noch in Moabit, aber sie hat jetzt Platz für 100 Gläubige, wenn nicht gerade Corona-Beschränkungen gelten. Sie liegt barrierefrei im Erdgeschoss und besitzt eine Küche.
Früher war hier der Martin-Luther-Saal der Evangelischen Kirchengemeinde Tiergarten. Am Freitagabend soll die neue Moschee feierlich eröffnet und vorgestellt werden, zuvor findet das Freitagsgebet statt.
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Bei großen Veranstaltungen, zum Zuckerfest, zum Ramadan oder auch zum sonntäglichen Brunch, können jetzt die Gläubigen leichter bedient werden und auch Rollstuhlfahrer und gehbehinderte Menschen kommen. Genauso wichtig ist allerdings ein anderer Punkt: Die größere Moschee kann sich jetzt systematisch und intensiv um das Thema: „Islam und Diversity“ kümmern, um die Belange und die Sorgen von queeren, gläubigen Muslimen.
„Wir wollen Scheuklappen entfernen und Vorurteile abbauen“
Die Frage, wie man etwa homosexuelle Muslime, die nicht ihren Glauben aufgeben wollen, berät, betreut und wie man das Thema in die öffentliche Diskussion bringen kann, ist ein Herzensanliegen von Seyran Ates, seit sie die Idee einer liberalen Moschee hatte. „Wir wollen das Thema raus aus dem Angstbereich holen“, sagt Ates. „Bisher ist es tabuisiert, wir wollen Scheuklappen entfernen und Vorurteile abbauen.“
Aber erst jetzt kann sie diese Idee umfassend umsetzen. Durch ein fünfjähriges Förderprogramm des Familienministeriums erhält Ates jährlich 179.000 Euro für Personalkosten, Referenten, Honorare und Sachkosten. Dafür hat sie vier Experten angestellt, die sich um das Thema kümmern.
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Dazu kommt noch als Honorarkraft Jörg Steinert, bis Jahresende noch Geschäftsführer des Lesben- und Schwulen-Landesverbands Berlin (LSVD). Er bringt sein Netzwerk ein und ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Islam und Diversity“ ist ein zusätzliches Angebot zur bisherigen theologischen Betreuung.
Die Moschee wird jetzt umfassend Workshops anbieten und sich um Lehre und Forschung zum Thema „Islam und Diversity“ kümmern. „Wir sind mit Aktivisten aus Ägypten, der Türkei, Frankreich, dem Irak und anderen Ländern vernetzt“, sagt Ates. „Wir wollen hier ein internationales Kompetenzzentrum entwickeln.“
Wie viel LGBTQ steckt im Islam und in der islamischen Gesellschaft?
Bei Lehre und Forschung geht es um Fragen wie: Wie viel LGBTQ steckt im Islam und in der islamischen Gesellschaft? Wie sieht die Realität der betroffenen Menschen aus? Wo steht die islamische Theologie bei diesem Thema?
Eine der neu verpflichteten Expertinnen hat katholische Theologie studiert, sie wird ein Konzept für die muslimische Seelsorge ausarbeiten. „Sie hat für so ein Konzept das entsprechende Wissen, sie wird sich aber nicht um islamische Theologie kümmern.“ Dafür hat die Moschee einen festangestellten Imam.
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Ein bedeutsamer Punkt ist aber auch die Einzelbetreuung von queeren Muslimen. „Wir wollen einen Schutzraum bieten“, sagt Seyran Ates. „Viele die bei uns über ihr queeres Leben gesprochen haben, fühlten sich schon mal befreit, weil sie überhaupt darüber reden konnten.“
Bisher konnte die Moschee solche Gläubige nur punktuell beraten und betreuen, es gab einfach zu wenig Personal. Die Betroffenen fragen: Ist meine sexuelle Orientierung Sünde? Komme ich deswegen in die Hölle? Es sind Fragen, die klassischen LBGTQ-Beratungsstelle nicht beantworten kann.
Die Moschee bietet argumentative Hilfen für schwierige Fragen
Eine Moschee wie jene von Seyran Ates kann die Verbindung zwischen Islam und queerer Lebensform jedoch einschätzen. Wobei Ates auch immer betont: „Wir haben nicht den Anspruch, dass wir die alleinige Wahrheit wissen.“ Aber die Moschee bietet Optionen und argumentative Hilfen.
Bisher hatte Ates rund drei bis vier Anfragen von queeren Muslimen im Monat, es werden jetzt, durch den Umzug der Moschee, wohl mehr. Zehn Anfragen insgesamt pro Monat haben die Moschee-Leiterin bisher erreicht. „Die Nachfrage wächst ständig“, sagt die Muslimin und Rechtsanwältin Ates.
Das bedeutet für sie auch in der neuen Moschee ein praktisches Problem. „Über kurz oder lang“, sagt sie, „werden auch die Räume hier zu klein sein.“
Frank Bachner
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