Nachverdichtung von Wohnsiedlungen: Berliner Mieter rücken näher zusammen
Der neue Stadtentwicklungsplan Wohnen setzt auf Neubau in bestehenden Wohnsiedlungen – doch Mieter laufen dagegen Sturm.
Plan und Praxis sind zwei Welten. Am Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen 2030 etwa haben jahrelang Fachleute unter Federführung von Senatorin Katrin Lompscher (Linke) getüftelt. Am Dienstag wurde er nun auch im Senat besprochen – wie schon vom Tagesspiegel berichtet, zeigt er Potenziale für 199 000 neue Wohnungen bis 2030 in Berlin auf. Damit wäre das Wohnproblem gelöst. Theoretisch.
In der Praxis sind fast alle im Plan aufgeführten Flächen heiß umkämpft. Wo immer in der Stadt die Bagger anrollen sollen, gehen die Anwohner auf die Barrikaden. Aktuelles Beispiel ist die angedachte Nachverdichtung von Wohnsiedlungen ab dem Baujahr 1949. Es klingt verführerisch: Die Siedlungen sind meist luftig errichtet und verkehrlich gut erschlossen, außerdem gehört der wertvolle Baugrund dem Land schon.
Der StEP sieht die Nachverdichtung von mehr als 30 solcher Siedlungen als „neuen Schwerpunkt“ in der Stadtentwicklung. Allein 23 000 Wohnungen sollen so geschaffen werden, darunter in Gropiusstadt, im Märkischen Viertel und im Hochhausquartier an der Heinrich-Heine-Straße in Mitte.
Aber bei diesen Plänen hat man die Rechnung ohne die Anwohner gemacht. In zwei Gesobau-Wohnsiedlungen in Pankow, die als erstes „weiterentwickelt“ werden sollen, proben die Mieter nun den Aufstand.
Am Schlosspark Schönhausen in der Ossietzkystraße will die Anwohnerinitiative verhindern, dass ihre beiden Innenhöfe mit insgesamt 170 Wohnungen bebaut werden. Ihre Argumente: Es müssten etwa 80 Bäume gefällt werden, es würden Kitaplätze fehlen und keine Parkmöglichkeiten für die neuen Bewohner geschaffen. Viele Anwohner boykottierten die Abstimmung über die drei Bauvarianten der Gesobau am vergangenen Donnerstag. Manche wollen sogar gegen die Baupläne klagen. „Wir prüfen Möglichkeiten, rechtlich dagegen vorzugehen“, sagt Mieter Paul Kuder.
Die „Akzeptanzprobleme“ bei der Nachverdichtung antizipiert auch der StEP. Vorgesehen ist deshalb eine frühzeitige Beteiligung der Mieter, um „unnötige Widerstände“ zu vermeiden. Doch für Kruder ist das nur „pseudodemokratisches“ Geplänkel: „Wir haben nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.“ Ein echter, ergebnisoffener Dialog, der auch den Verzicht auf die Baumaßnahmen als Möglichkeit beinhalte, habe nie stattgefunden. Das ist auch schwierig: Laut StEP besteht politisch bereits Konsens für eine Bebauung von 14 der gut 30 Siedlungen. Es geht nur noch um das Wie.
So auch in der benachbarten Siedlung zwischen Stiftsweg und Wolfshagener Straße. Dort sollen bis 2023 rund 200 neue Wohnungen durch Aufstockung und Neubau entstehen, dazu müssten ebenfalls Spielplätze und Bäume und sogar ein Haus weichen. Die Gesobau gebe dabei zwar vor, die Wünsche der Anwohner zu berücksichtigen, erklärt eine Mieterin: „Doch das arrogante und rücksichtslose Auftreten macht deutlich, dass die Deutsche Wohnen scheinbar nicht der schlimmste Vermieter Berlins ist.“
Das will Birte Jessen nicht auf sich sitzen lassen. Die Sprecherin der Gesobau erklärt, man könne den Ärger „bezüglich einer Verringerung der Freiflächen nachvollziehen“, wolle aber „hier auch an die Solidarität mit den vielen wohnungssuchenden Berlinern appellieren“. Man prüfe derzeit wie auch die anderen fünf städtischen Wohnungsbaugesellschaften„sämtliche Bestandsflächen auf Entwicklungspotenziale für Neubau, Nachverdichtung und Erweiterungen“, um die Vorgaben des Senats aus der Kooperationsvereinbarung zu erfüllen und dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.
Die „sehr großzügigen, aber häufig wenig genutzten Freiflächen der 50er-Jahre- Siedlungen“ böten sich dabei besonders an, sagt Jessen. Geplant seien zudem überwiegend Familienwohnungen, an denen es in den meisten Siedlungen und in der ganzen Stadt mangele. Aber offenbar ruft selbst der beste Bauplan in der Berliner Praxis derzeit vor allem eines hervor: Widerstand. Christian Hönicke
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