Zuzug aus Berlin steigt: Berliner kurbeln Brandenburgs Wirtschaft an
Immer mehr Menschen ziehen von Berlin nach Brandenburg. Das treibt die Wirtschaft im Nachbarland an.
Aber hier leben? Nein, danke: Immer mehr Menschen kehren Berlin als Wohnort den Rücken – und ziehen nach Brandenburg. Allein 2018 lag der Wanderungsverlust bei 15 900 Personen, rechnete das Berliner Statistikamt jüngst vor. Und macht zugleich deutlich, dass es sich nicht um einen statistischen Ausreißer handelte: Bereits seit 2010 habe die Zahl der Personen, die aus Berlin nach Brandenburg gezogen seien über der gelegen, die den anderen Weg gegangen sind.
Im Nachbarland freut man sich über die Neubewohner mit hauptstädtischer Herkunft: „Zuzug nach Brandenburg bedeutet Wachstum der Nachfrage nach Gütern, Leistungen, vor allem aber nach Wohnraum“, sagt Mario Tobias, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK). Perspektivisch seien die Zugezogenen eine riesige Chance für die Städte der Region wie Nauen, Neuruppin oder Luckenwalde. „Das sind Orte, die man von Berlin mit dem öffentlichen Nahverkehr in einer Stunde erreicht“, sagt Tobias.
In der Regel wollten die Leute aber nicht ewig pendeln und hielten deshalb auch nach Arbeit in Brandenburg Ausschau. Da es sich vor allem um Familien handele, verbessere sich damit der Altersdurchschnitt in den hiesigen Gemeinden. „Kurzum, Zuzug aus Berlin ist immer eine Bereicherung, solange sich Brandenburg nicht zu reinen Schlafstädten entwickelt, sondern echte Wertschöpfung erfährt“, sagt Tobias. „Wir bemerken übrigens mit Freude, dass zunehmend junge Berliner Unternehmer auch in ländlichen Gegenden Brandenburgs Co-working-Spaces gründen oder nutzen und so neue Ideen und Schwung in die Mark bringen.“
Auch die Zahl der Pendler steigt
Wer nun aber hofft, dass Brandenburg von einem riesigen Zustrom von Fachkräften profitiert, irrt sich. „ Die mit dem Zuzug aus Berlin zu erwartende Entspannung der Fachkräftesituation in Brandenburg darf nicht überbewertet werden“, sagt Tobias, „Denn viele Neu-Brandenburger pendeln zu ihren bisherigen Arbeitsstellen in der Hauptstadt.“
Ein Umstand, der auch der Agentur für Arbeit längst aufgefallen ist: „Die Zahl der Menschen, die von Brandenburg vor allem nach Berlin oder von außerhalb nach Brandenburg zur Arbeit pendeln, steigt seit Jahren“, sagte ein Sprecher.
Wie viele? Mitte 2018 arbeiteten 292 335 Brandenburger an Orten außerhalb des Bundeslandes. Das sind 6243 mehr als ein Jahr zuvor und 29 148 mehr als fünf Jahre zuvor (was einem Plus von 11,1 Prozent entspricht). Im Fünf-Jahresvergleich ist die Zahl der Auspendler damit schneller gestiegen als die Zahl der in Brandenburg wohnenden Beschäftigten. Das waren laut Arbeitsagentur Mitte 2018 genau 987 160 Personen, sieben Prozent mehr fünf Jahre zuvor (922 269).
Und diese Pendelbewegungen von Arbeitskräften stellen die Brandenburger zusehends vor großer Herausforderungen, warnt die IHK. „Ein zentraler Punkt sind die Infrastrukturen – ob Bahn, Schule oder Kita, ob Arzt, Kultur, Breitband oder Mobilfunk“, sagt Hauptgeschäftsführer Tobias. „Hier – wir mahnen es immer wieder an – muss Brandenburg aufholen.“
Vieles zwischen Brandenburg und Berlin laufe nur ungenügend abgestimmt. „Deshalb brauchen wir endlich ein öffentlich und privat getragenes Metropolenraum-Management für Verkehr, Ansiedlung und Förderung – und zwar als ganz neues Konstrukt.“
Infrastruktur muss angepasst werden
Die bestehenden Behörden in Berlin und Brandenburg müssten natürlich auch zusammenarbeiten und sich abstimmen. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen aus Fernost nach Berlin möchte, dort aber nichts findet, dann muss auch gleich an Brandenburg mitgedacht werden – und umgekehrt. Immer öfter müssten umliegende Gemeinden deshalb entscheiden, ob sie Industrie-Arbeitsplätze schaffen, oder reiner Wohn- oder Tourismusort sein wollen. „Dazu muss Brandenburg engagiert vorangehen, eine Förderkultur entwickeln und sich gemeinsam mit Berlin positionieren.“
Auch die Interessensvertreter einer Branche, die ganz besonders stark von der Entwicklung profitiert, mahnen die Politik zum Handeln. „Der Zuzug verlangt den Neubau von Wohnraum, Kindergärten sowie Schulen, den zügigen Breitbandausbau und gleichzeitig eine möglichst unkomplizierte und schnelle Anbindung per Schiene und Straße“, sagt Robert Momberg, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverband Ost. „Für die Bauwirtschaft kann dies natürlich viele Aufträge bedeuten“, sagt er.
Allerdings müssten die Kommunen und das Land ihrerseits tätig werden und – investieren. „Die Ausschreibungen müssen gleichmäßig über das Jahr verteilt werden, um sogenannte Fieberkurven zu vermeiden und eine gleichmäßige Auslastung der Bauwirtschaft zu ermöglichen“, sagt der Verbandschef. Außerdem müsse nicht nur Baugrund zur Verfügung gestellt, sondern eine Beschleunigung bei Planung und Genehmigungen ermöglicht werden. „Die öffentliche Hand muss aus den Lehren der Vergangenheit lernen und auf den verstärkten Zuzug vorbereitet sein .“
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