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Noch viele Baustellen gibt es bei der Umsetzung der Verkehrswende in Berlin.
© imago images / Klaus Martin Höfer

„Es ist de facto nichts passiert“: Verkehrsaktivisten nach drei Jahren Berliner Mobilitätsgesetz ernüchtert

Kaum neue Radwege, Straßen bleiben unsicher: Das Mobilitätsgesetz sollte den Verkehr in der Hauptstadt verändern – doch die Umsetzung verläuft schleppend.

Um 11.26 Uhr starteten Ragnhild Sørensen und Denis Petri vom Verein Changing Cities am Montag ihre Pressekonferenz zum Berliner Mobilitätsgesetz.

Der Zeitpunkt war bewusst gewählt: Auf die Minute genau drei Jahre zuvor hatte das Abgeordnetenhaus das Gesetz beschlossen, dass in seiner Art einmalig ist in Deutschland.

Doch die insbesondere bei Verkehrsaktivisten hohen Erwartungen von einst sind längst breiter Ernüchterung gewichen. „Es gibt eine Frustration über den jetzigen Zustand“, sagte Sørensen. „Wir haben jetzt drei Jahre dieses Gesetz und es ist de facto nichts passiert.“

In den Zahlen der Aktivisten ließt sich das so: Inklusive Pop-up-Strecken stellten Senat und Bezirke im vergangenen Jahr 39,5 Kilometer Radwege an Hauptstraßen fertig. Nur 1,4 Prozent der gesamten Streckenlänge von 2778 Kilometer, die das Berliner Radverkehrsnetz laut Entwurf bis 2030 aufweisen soll. In Nebenstraßen liegt die Länge der neu errichteten Verbindungen 2020 bei 5,5 Kilometer – 0,4 Prozent des bis Ende des Jahrzehnts avisierten 1486 Kilometern.

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Vom laut Entwürfen 772 Kilometer langen Vorrangnetz für den Radverkehr, sei kein einziger Meter geschaffen worden, konstatiert Changing Cities. „Mit dem Tempo brauchen wir 100 bis 200 Jahre, bis das Radverkehrsnetz fertig ist“, sagte Denis Petri.

Zwei Fristen für neue Planungen verstrichen

Auch an anderer Stelle geschieht den Aktivisten zu wenig. So schreibt das Mobilitätsgesetz unter anderem die Erarbeitung eines Radverkehrsnetzes und eines Radverkehrsplans vor, der den Bezirken ursprünglich feste Fristen setzen sollte, welche Aufgaben bis wann zu bewältigen sind. Die Fristen dafür sind bereits im Juli 2019 und im Juli 2020 abgelaufen. Doch beschlossen und veröffentlicht ist davon bislang nichts. „Es gibt überhaupt keine Vorgaben, wo was passieren soll und damit ausreden für die Verwaltung, nichts zu tun“, kritisierte Petri.

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Auch beim Thema Verkehrssicherheit sei zu wenig geschehen, beanstanden Petri und Sørensen. So bleibe die Zahl der schweren Verkehrsunfälle und Toten auf einem konstant hohen Niveau – wohl jedoch auch weil die Zahl der Radfahrer in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Gegen die Gefahren im Straßenverkehr werde trotzdem zu wenig gemacht, sagte Petri.

„Es geht darum, Menschen zum Radfahren zu verführen“

Trotz der Rückschläge sind die Aktivisten weiterhin von der Bedeutung des Gesetzes, dass aus dem Berliner Volksentscheid Fahrrad hervorging, überzeugt: „Alle sollen sicher Radfahren können. Es geht darum, Menschen zum Radfahren zu verführen, die es bislang nicht tun“, sagte Petri.

Mit Blick auf die Verkehrsstatistiken sieht er großes Potenzial: Knapp 20 Prozent aller Autofahrten in Berlin sind kürzer als zwei Kilometer, ergab die bislang letzte Erhebung zu dem Thema 2018. 47,5 Prozent aller Fahrten, also 1,5 Millionen Autofahrten täglich sind maximal fünf Kilometer lang. Diese, erklärte Petri, könnten häufig auch mit dem Rad absolviert werden.

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Aktivisten sehen Probleme in Politik und Verwaltung

Warum also kommt von den hehren Zielen auf der Straße nichts an? „Das Führungspersonal hat die Größe der Aufgaben nicht verstanden“, kritisierte Sørensen die Verantwortlichen in der Berliner Politik und den bezirklichen Verwaltungen. Damit sind nicht zuletzt Politiker der Grünen gemeint. Neben Verkehrssenatorin Regine Günther sind sechs von zwölf Verkehrsstadträten ebenfalls Mitglieder der Partei.

Probleme gebe es vor allem in den Verwaltungen selbst. „Wer Veränderungen will, wird nicht gestärkt von Führungskräften. Wer dagegen ist, hat ein sehr einfaches Spiel“, sagte Sørensen. Es brauche daher eine Neuorganisation in der Verwaltung. Dazu, so Sørensen, gehörten transparente und klare Planungsprozesse, wie Kiezblocks oder Radwege eingerichtet werden.

Auch die Attraktivität der Planerjobs in der Verwaltung müsse höher werden, sagt Sørensen, damit engagierte Menschen dort arbeiten wollten. Ein positives Beispiel sei hier der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

CDU: Radverkehr vom übrigen Verkehr trennen

„Es muss dringend mehr für die Fahrradsicherheit getan werden – vom Radfahrertraining, über den Ausbau der Verkehrsschulen bis hin zu sensorgesteuerten Warnlichtern („Bike-Flashs“) zur Verhinderung von Abbiegeunfällen“, erklärte am Montag der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Friederici mit Blick auf die Bilanz nach drei Jahren Mobilitätsgesetz. „Wir wollen den Fahrradverkehr so weit wie möglich vom restlichen Verkehr separieren, um Sicherheit zu schaffen“. Statt über die Leipziger Straße sollte der Radverkehr dazu etwa vom Potsdamer Platz über die Niederkirchner und Zimmerstraße bis zum Spittelmarkt geführt werden.

Grünen-Verkehrspolitiker Harald Moritz wiederum bekräftigte, die Ziele des Gesetzes weiter umsetzen zu wollen. „Wir sind ungeduldig und noch lange nicht fertig mit der Mobilitätswende in der Hauptstadt“, teilte er mit. „Wir bleiben dran – gegen alle Widerstände aus allen anderen Parteien und aus der Autolobby“, so der Grüne.

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