Schilleria, Potse, Drugstore: Berliner Jugendclubs kämpfen gegen Verdrängung
Steigende Mieten bedeuten das Aus für viele soziale Einrichtungen in den inneren Bezirken. Der Senat sucht nach Ausweichmöglichkeiten.
Sinaya Sanchis blickt auf die bunt angemalten Wände der Schilleria und seufzt. „Bei manchen Familien aus der Nachbarschaft kommen die Töchter schon in dritter Generation zu uns“, erzählt sie. „Wenn wir umziehen müssten, hieße das, bei Null anzufangen.“ Sanchis ist eine von zwei festangestellten Sozialarbeiterinnen in dem Zentrum für Mädchen und junge Frauen. Seit 15 Jahren ist es eine feste Instanz im Schillerkiez in Neukölln. Mitte September hat es die Kündigung des Vermieters zum Jahresende erhalten.
Ein neuer Mietvertrag wäre an eine erhebliche Mietpreiserhöhung gebunden. Eine Verdopplung oder Verdreifachung des Mietpreises kann der Träger, der gemeinnützige Mädchen- und Frauenverein MaDonna Mädchenkult.Ur, aus eigener Kraft nicht stemmen.
Kein besonderer Schutz für Gewerbeflächen
„Die Schilleria ist ein klassisches Beispiel für die massive Verdrängung sozialer Infrastruktur, die wir besonders in Nord-Neukölln beobachten“, sagt der Neuköllner Stadtrat für Stadtentwicklung, Jochen Biedermann (Grüne). Jugendclubs wie die Schilleria mieten Gewerbeflächen. Für diese gibt es, anders als im normalen Mietrecht, keinen besonderen Schutz.
Die Mietpreise können frei verhandelt werden, die Mietverträge laufen oft nur über kurze Zeiträume und können ohne besondere Begründung gekündigt werden. „Wir erhalten gerade fast im Wochentakt Anrufe von sozialen Trägern wie Kitas, die gekündigt wurden oder drastische Mieterhöhungen erhalten haben“, so Biedermann. Doch ein entsprechender Schutz für Gewerbemieter müsste auf Bundesebene entschieden werden.
Mit ihrer Situation steht die Schilleria nicht alleine da. Der Dachverband der Berliner Schüler- und Kinderläden (DaKS) spricht von 50 Kinderläden, die berlinweit in den vergangenen zwei Jahren gekündigt wurden oder drastische Mieterhöhungen erhielten. Am meisten betroffen seien die Ortsteile Kreuzberg, Mitte, Neukölln und Schöneberg.
Auch die Berliner Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) zeigt sich besorgt: „Mein Ziel ist es, dass Jugendclubs und andere Einrichtungen für Kinder und Jugendliche erhalten bleiben“, erklärt sie. „Wir unterstützen deshalb Bemühungen, Kündigungen zu verhindern oder neue Räume zu finden.“ Jugendliche bräuchten Orte, um sich mit Gleichaltrigen zu treffen – und das dürfe nicht das nächste Einkaufszentrum oder die Straße sein. Daher setze sich der Senat auch auf Bundesebene für einen besseren Schutz sozialer Einrichtungen ein.
Auch „Potse“ und „Drugstore“ stehen vor dem Aus
In Schöneberg würden von einem solchen Schutz beispielsweise die Jugendclubs „Potse“ und „Drugstore“ profitieren, die seit den Siebzigern in der Potsdamer Straße sitzen. Zum Jahresende läuft ihr Mietvertrag ebenfalls aus, der Vermieter fordert eine drastische Mieterhöhung.
Für das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, das insgesamt 35 Kinder- und Jugendeinrichtungen finanzieren muss, sei das „eine Herausforderung“, so Jugendstadtrat Oliver Schworck (SPD). Der Bezirk versucht, eine Verlängerung des Vertrags herauszuhandeln, bis ein passender Ersatzraum gefunden wird.
Doch die Zentren an der Potsdamer Straße machten finanziell für den Bezirk „mit größtem Abstand am meisten“ aus. „Wir wollen diese Einrichtungen erhalten“, betont Schworck. Weniger als zwei Monate bleiben dem Bezirksamt, eine Lösung zu finden. Nutzer der „Potse“ und „Drugstore“ fühlen sich durch die „Unsicherheit“ und „drohende Schließung gelähmt“. Noch ist nicht einmal klar, ob der Vermieter eine Vertragsverlängerung möchte.
Wegen Nutzungskonflikten mit anderen Parteien im Gebäude, hätte sich der Eigentümer dagegen ausgesprochen. Neben den Mietverhandlungen sucht der Bezirk daher bei verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften Ersatzstandorte für das über 800 Quadratmeter große Jugendzentrum, das für Punkkonzerte berühmt ist. Sogar der Hochbunker in der Pallasstraße kam ins Gespräch, zumindest ist dieser schallgeschützt und in Bezirkshand. Doch der Denkmalschutz bedeutet hohe Hürden für die Umgestaltung des Bunkers zu einem jugendzentrumsgerechten Raum.
Ziel könne es nicht sein, in Vermieter zu investieren
Für andere Einrichtungen im Bezirk drohe diese Entwicklung nicht, so Schworck. Die Finanzierung der Jugendeinrichtungen in Tempelhof-Schöneberg sei vorbildlich, sagt seine Parteikollegin Marijke Höppner, denn es würden sowohl freie Trägerschaft als auch kommunale Einrichtungen gefördert.
Doch die Verteilung der Gelder zwischen den einzelnen Jugendeinrichtungen wird durch starke Mieterhöhungen erschwert. Das merkt der Neuköllner Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU), der aktuell für die Schilleria eine Übergangslösung verhandelt. Das Ziel können nicht sein, Geld in eine Mieterhöhung und damit in einen Vermieter zu investieren. Der Bezirk suche nach Ausweichstandorten und versuche eine mögliche Schließung oder einen Umzug so lange wie möglich hinauszuzögern.
Die Mädchen der Schilleria möchten natürlich im Schillerkiez bleiben. Hier kommen sie her und hier haben sie gelernt, sich politisch zu beteiligen. Schon bei der Gründung stand die Eigeninitiative der Mädchen im Vordergund. Sie lernten, dass sie eine Stimme haben und auch gehört werden. Ein Umzug sei die letzte Option.
„Das hieße, genau der Verdrängung zu weichen, gegen die wir eigentlich stehen”, sagt Sanchis. Viele der Mädchen seien bereits aus dem Kiez verdrängt worden, aber viele sind noch da – und würden sich nicht mit den Veränderungen im Kiez identifizieren.
Im September beteiligten die Mädchen sich an der U18-Wahl in Neukölln.
Kurz darauf kam die Kündigung. „Das ist eine paradoxe Situation“, sagt Sanchis. „Wir bringen den Mädchen bei, sich an politischen Prozessen zu beteiligen – und dann erfahren sie, dass die Politik es versäumt hat, sich frühzeitig für sie einzusetzen, und dass deswegen nun ihr Rückzugsort bedroht ist.“
Doch ihre Stimme benutzen sie weiterhin, für ihren Raum und ihren Kiez: Am heutigen Donnerstag läuft die Schilleria mit beim „Monstermäßigen Laternenumzug“, veranstaltet von der Kreuzberger Nachbarschaftsinitiative „Bizim Kiez“ für den Erhalt sozialer Einrichtungen von der Kita bis zum Seniorentreff. Am Samstag ziehen dann die Punkveteranen der „Potse“ gemeinsam mit anderen selbstverwalteten Projekten für ihre Räume auf die Straße.