Gentrifizierung in Berlin: Immer mehr Kitas werden verdrängt
Von Kreuzberg bis Wilmersdorf: Immer mehr Kitas werden Opfer von Luxussanierungen. Die Kinder von mehr als 30 Einrichtungen waren zuletzt betroffen.
Es traf schon die Kinder vom Stadtpark Steglitz, die Jungen und Mädchen der Ackerwinde in Neukölln und jetzt die Sonnensterne in Moabit: Immer mehr Kitas und Kinderläden sind bedroht, weil ihre Mietverträge gekündigt oder nicht verlängert werden. Die Räume der Kindertagesstätten werden danach teurer weitervermietet. Manchmal bleiben sie auch erst mal leer stehen, weil das ganze Haus unvermietet verkauft werden soll. Gentrifizierung macht auch vor sozialen Einrichtungen nicht Halt.
Von mehr als 30 Einrichtungen, die in den letzten zwei Jahren gefährdet waren, weiß Babette Sperle vom Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden (Daks). Allein 2015 seien es 20 Fälle gewesen. „Die meisten Kündigungen beobachteten wir in Kreuzberg, gefolgt von Mitte, Neukölln und Wilmersdorf. Einzelfälle gibt es aber im gesamten Stadtgebiet“, sagt Sperle. Brisant ist das Problem auch deshalb, weil in Berlin Kitaplätze knapp sind und neue dringend gebraucht werden.
Der Neuköllner Kinderladen Ackerwinde in der Donaustraße bekam die Kündigung im September 2015. Kurz zuvor hatte der Eigentümer des Hauses gewechselt. „Davor hatten wir nie irgendwelche Probleme mit dem Mietverhältnis“, sagt Gabriele Sophie Albrecht vom Vorstand des Kinderladens. Jetzt wird das Haus von der Berlin Aspire Real Estate GmbH betreut. Auf der englischsprachigen Webseite des Unternehmens werden Eigentumswohnungen vermarktet und möblierte Wohnungen auf Zeit angeboten.
Vermieter habe nicht verhandelt
Zum 31. März sollten die 28 Kinder der Ackerwinde und ihre Erzieher ausziehen. Der Vermieter habe lange gar nicht mit sich verhandeln lassen, sagte Albrecht. Jetzt, nachdem Eltern und Erzieher protestierten, sich an Politiker und Presse gewandt hatten, signalisiert die Firma Entgegenkommen. Dem Kindergarten werde mehr Zeit zur Suche neuer Räume gegeben, teilte eine Sprecherin des Unternehmens mit.
Noch keine Lösung gibt es für die Kita Sonnenstern in Moabit. „Uns wurde kurz vor Weihnachten gekündigt“, sagt die Geschäftsführerin des Trägers Minikitas First, Ina Kratzheller. Ende Februar sollten sie raus, aber das sei nicht zu schaffen gewesen. Inzwischen haben sie neue Räume gefunden, doch die seien erst im September bezugsfertig. Möglicherweise müssten sie für ein paar Monate in ein Ausweichquartier. „Für die Kinder und Eltern ist diese Ungewissheit extrem belastend“, sagt Kratzheller.
Geeignete Räume für eine Kita zu finden gestalte sich immer schwieriger, sagt Kratzheller. Und selbst wenn man etwas finde, dauere das Genehmigungsverfahren Monate. Kitaaufsicht, Bauaufsicht, Gesundheitsamt, Brandschutzbehörde, Lebensmittelüberwachung – all diese Stellen müssten ihre Zustimmung geben. Zur Rettung der Kita hat Kratzheller eine Online-Petition gestartet, mit der sie an ihre Vermieterin appelliert. Von der Verdrängung sind vor allem Elterninitiativ-Kitas und Kindergärten kleinerer Träger betroffen, die Gewerberäume anmieten müssen. Große Träger und städtische Kitas verfügen dagegen meistens über eigene Gebäude.
Keine einheitlichen Kündigungsfristen
Gewerbemietverträge sind kaum reguliert. Es gibt keine einheitlichen Kündigungsfristen, viele gelten befristet über fünf oder zehn Jahre. Umwandlungsverbote, wie es sie in bestimmten Milieuschutzgegenden für Mietwohnungen gibt, gelten für Gewerbeimmobilien nicht. Mit den Mietpreisen aber können die kleinen Kitas kaum noch mithalten, sagt Babette Sperle vom Daks. Von dem Geld, das die Senatsverwaltung den Kitas pauschal pro Platz zuweist, seien Mieten von vier bis fünf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zu finanzieren. Inzwischen würden auf dem Markt aber eher zehn Euro pro Quadratmeter verlangt. „Die Kostensätze müssen erhöht werden“, fordert Sperle deshalb. Aber erst 2018 sei eine Neuanpassung vorgesehen.
Auch der Landeselternausschuss für Kindertagesstätten fordert, dass der Senat die tatsächlichen Mietkosten berücksichtigen müsse. Denkbar sei auch eine Zulage für Kitas in bestimmten Innenstadtlagen, sagt Sprecher Norman Heise. Von diesem Vorschlag hält Babette Sperle aber wenig: „Das wäre ein Anreiz für die Vermieter, noch mehr zu verlangen.“
Schutz für Kinderläden
Die Fachfrau vom Daks hat andere Vorschläge. Städtische Wohnungsbaugesellschaften sollten nicht auch noch an der Mietpreisspirale mitdrehen. Und Investoren müssten bei Bauprojekten verpflichtet werden, soziale Infrastruktur mit einem Preislimit bei den Gewerbemieten bereitzustellen. Daks-Vorstand Roland Kern sagt außerdem: „Wir setzen auf die Vernunft der Vermieter, die wissen, dass ein Kinderladen zwar keine hohen Mieten zahlen kann, aber ein über Jahrzehnte verlässlicher Gewerbemieter ist.“
Und was sagt die Senatsverwaltung? „Unsere Kitaaufsicht bemüht sich, die Genehmigungsverfahren für neue Räume zu beschleunigen“, sagt Sprecher Ilja Koschembar. Man bemühe sich, betroffenen Kitas zu helfen. Bisher sei es noch zu keiner tatsächlichen Schließung gekommen. „Und wir bezuschussen den Umzug.“ Für den Umbau neuer Räume gibt es Geld aus dem Kitaausbauprogramm.
Andrea Vetter vom Kinderladen am Stadtpark Steglitz reicht das nicht. „Wir brauchen dringend einen Schutz für Kinderläden vor der Vertreibung durch Immobilienspekulanten.“ Ihre Einrichtung hat den Umzug schon hinter sich. Immerhin, auch sie fanden einen neuen Standort. Aber die Anfahrt ist für viele Eltern jetzt doppelt so lang. Und statt am Park liegt der Kindergarten jetzt an einer viel befahrenen Straße.