zum Hauptinhalt
Immer wieder Protest. Hier zu sehen ist ein Streik der Charité-Pflegekräfte von 2017.
© Imago / Christian Mang

Kliniken streiten um Löhne, Dienstpläne, Personal: Berliner Helios-Ärzte und Vivantes-Reinigungskräfte treten in den Warnstreik

Helios, Vivantes, Charité – die Berliner Krankenhäuser stehen vor Kämpfen. Und die werden sich im Wahlkampf wohl zuspitzen.

Ärztestreik in Zehlendorf, Pflegeprotest in Schöneberg und Laborstreit in Wedding – die Stimmung an Berlins Kliniken wird unruhiger. Die Expertise der Hauptstadt aber ist nach wie vor gefragt. Erst am Dienstag besuchte Österreichs Bundeskanzler den Charité-Campus in Mitte, dort traf Sebastian Kurz auch Christian Drosten.

Kanzler Kurz, der zudem der christdemokratischen ÖVP vorsteht, sprach mit dem Charité-Chefvirologen über die Delta-Variante des Sars-Cov-2-Virus: In Tirol gab es zuletzt Infektionen mit dieser zuerst in Indien entdeckten Corona-Mutation.

An der Charité fordern Pflegekräfte derweil einen „Entlastungstarifvertrag“ – dieser hätte schätzungsweise zehn Prozent mehr Personal auf den Stationen zur Folge, was die Spitze der Universitätsklinik angesichts des Fachkräftemangels für schwer umzusetzen hält. In Verdi organisierte Pflegekräfte sprechen von Streik, sollte bis 20. August ein entsprechender Vertrag in der Charité und den ebenfalls landeseigenen Vivantes-Kliniken nicht zustande kommen.

Die Gewerkschaft erhöht derzeit mit einer „Krankenhausbewegung“ aus Politaktivisten und Patientenvertretern vor der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl den Druck auf die Landespolitik. In den letzten Wochen gab es Kundgebungen vor den Vivantes-Kliniken, zu denen örtliche Kandidaten der Parteien eingeladen waren. Am Dienstag besuchte Kevin Kühnert einen Protest am Auguste-Viktoria-Klinikum (AVK) in Schöneberg, wo der SPD-Politiker für den Bundestag kandidiert.

[Konkret aus Ihrem Kiez, mit Tipps, Terminen, Bezirksnachrichten: Die 12 Tagesspiegel-Newsletter für jeden Berliner Bezirk gibt es jetzt kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de]

Erst am Montag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) allen Ärzten und Pflegekräften für ihren Einsatz in der Coronakrise gedankt: Das Personal der Krankenhäuser sei monatelang an Grenzen gegangen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sprach ebenfalls am Montag von einer „angemessenen Personalausstattung“; es seien weitere Bemessungsverfahren für die Anzahl der Pflegekräfte auf dem Weg. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert eine Reform der Klinikfinanzierung – und spürbare Entbürokratisierung: Dass Pflegefachkräfte jeden Tag drei Stunden für Papierkram aufwenden müssten, sei inakzeptabel.

Streik in den Vivantes-Tochterfirmen

Gesetz ist, dass die Krankenkassen für Personal und Arzneimittel zahlen, die Bundesländer für Bauten und Technik. Im aktuellen Vergütungssystem, das auf sogenannten Fallpauschalen basiert, wirtschaften die meisten Kliniken nur auskömmlich, wenn 90 Prozent der Betten belegt sind. Die vielen ambulanten Fälle in den Rettungsstellen sind dagegen oft „Verlustgeschäfte“. Die Kassen können Forderungen nach mehr Geld dadurch abwehren, dass die Bundesländer selbst ihren Aufgaben lange nicht nachkamen. Zwar erhöhten die Senate der letzten Jahre die Investitionen in die Kliniken sukzessive, der Sanierungsbedarf aber ist wie berichtet enorm.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Tatsächlich spricht einiges dafür, dass Verdi vor der Wahl im September zum Streik mobilisieren wird, wenn es bis Ende August keinen Entlastungstarifvertrag gibt. Schon für diesen Mittwoch ruft die Gewerkschaft in den Vivantes-Tochterfirmen für Reinigung, Transport, Wachschutz zum eintägigen Ausstand auf. Dabei geht es wohlgemerkt klassisch um höhere Löhne. Die Beschäftigten der Vivantes-Töchter sollen nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD) bezahlt werden. Im Einzelfall würde dies Hunderte Euro mehr im Monat bedeuten.

Ärzte legen in Helios-Klinik die Arbeit nieder

Auffällig ist, dass Verdi in den Kliniken privater und kirchlicher Betreiber deutlich weniger aktiv ist. Dort sind die Beschäftigten traditionell seltener gewerkschaftlich organisiert als in den öffentlichen Einrichtungen. Im Konflikt mit einer der größten Krankenhausketten überhaupt, den zum Fresenius-Konzern gehörenden Helios-Kliniken, befinden sich derzeit allerdings die Ärzte. Sie sind ganz überwiegend im Marburger Bund (MB), nicht in Verdi organisiert.

An diesem Mittwoch ruft die Ärztegewerkschaft im Helios-Klinikum „Emil von Behring“ zum Warnstreik auf. Der MB fordert einen Anspruch auf zwei freie Wochenenden im Monat, einen verbindlichen Dienstplan und weniger Bereitschaftsdienste. Außerdem wollen die Mediziner 5,5 Prozent mehr Gehalt.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Mit Helios streitet der MB seit Wochen. Auch andere Berufsverbände lehnen Personalpläne des Konzerns ab, wonach pro Klinik im Schnitt letztlich bis zu drei Arztstellen wegfielen. Man befürchte, hatte die Ärztegewerkschaft an die regionalen Helios-Geschäftsführer geschrieben, dass „die staatlich gut ausfinanzierte Corona-Situation“ in den Krankenhäusern zum Stellenabbau genutzt werde.

Wie berichtet gibt das Unternehmen für die beiden Berliner Helios-Kliniken in Zehlendorf und Buch insgesamt 812 Ärzte im April 2019 an, im gleichen Monat dieses Jahres waren es demnach noch 801. „Das bis an seine Grenzen arbeitende ärztliche Personal muss entlastet werden“, schrieb Peter Bobbert, der MB-Landeschef und Präsident der Ärztekammer Berlins den Helios-Geschäftsführern. „Eine weitere Verdichtung der ärztlichen Arbeit darf es nicht geben.“

Auch im „Labor Berlin“ gibt es Protest

Die Vorstände der landeseigenen Kliniken wiederum befassen sich nicht nur mit Verdi, sondern auch miteinander. Die Vivantes-Krankenhäuser sollen enger mit den Universitätsmedizinern der Charité kooperieren. Der rot-rot-grüne Senat will Berlin so zur internationalen Medizinmetropole ausbauen. Schon unter der Vorgängerregierung wurde 2011 das gemeinsame Tochterunternehmen „Labor Berlin“ am Virchow-Campus der Charité in Wedding gegründet. Doch auch dort wollen Beschäftigte am Mittwoch eine Petition überreichen, mit der sie zu Verhandlungen über den TVÖD auffordern.

Am Freitag dann tagen die Aufsichtsräte von Vivantes und Charité gemeinsam. Mit dabei werden wohl deren bekannteste Mitglieder sein: die Sozialdemokraten Matthias Kollatz, Finanzsenator, und Michael Müller, Berlins Regierender Bürgermeister.

Zur Startseite