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Mitglieder der 7. Zivilkammer am Landgericht München sind im Sitzungssaal auf einem Monitor zu sehen. In Corona-Zeiten wollen die Gerichte zunehmend auf Verhandlungen per Webcam setzen.
© -/Landgericht München 1/dpa

Coronakrise zeigt Potenzial von Videotechnik auf: Berliner Gerichte sind für digitale Verhandlungen nicht ausreichend ausgestattet

Richter interessieren sich seit der Coronakrise immer mehr für digitale Möglichkeiten. Doch die Berliner Justiz hinkt mit der Technik hinterher.

In der gesamten Berliner Justiz gibt es genau zwei Videokonferenzanlagen, und die sind laut Richterbund so gut wie nie im Einsatz. Sehr selten einmal nutze ein Gericht sie, um etwa einen Zeugen in einem fernen Land zu vernehmen; dafür werde die Videoanlage auf einem Wagen in den Saal gerollt. 

Oder ein Kind wird in einem anderen Raum angehört, um ihm den Gerichtsaal zu ersparen. Ans landeseigene IT-Netz seien die Anlagen nicht angeschlossen, sagt Stefan Schifferdecker, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands Berlin im Deutschen Richterbund.

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Nun aber, in Zeiten von Corona, wo jede Gerichtsverhandlung ein Infektionsrisiko darstellt und jeder Reisen und Wege vermeidet, bildet sich langsam ein Bewusstsein für die Möglichkeiten der Videotechnik auch in der Justiz. Das Amtsgericht Lichtenberg machte es am Freitag vor. Über Skype verhandelte Richter Uwe Kett einen zivilrechtlichen Alltagsfall. Er nutzte seinen privaten Laptop und einen mobilen Hotspot der Telekom, den das Kammergericht besorgt hatte. 

Dort wurden im April im Angesicht der Coronakrise mehrere solcher Geräte angeschafft, mit denen nach Angaben des Kammergerichts alle Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit ausgestattet wurden, also Zivil- und Strafgerichte, um ihnen ausreichendes Internet für Videokonferenzen zu ermöglichen.

Die nötigen Schritte wurden von allen Senatoren versäumt

Technisch ist die Berliner Justiz nämlich nicht gerüstet für das digitale Zeitalter. Es mangelt an einem leistungsfähigen Breitbandanschluss; in den ordentlichen Gerichten funktioniert seit vielen Jahren der Ton nicht, im Sozialgericht sind dagegen die Kameras abgeschaltet und es gibt kein Bild. Immerhin haben die Richter des Sozialgerichts Laptops mit VPN-Tunnel; sie können also von zu Hause genauso arbeiten wie im Büro, anders als Zivil- und Strafrichter.

Die Nutzung von Videotechnik ist in allen Prozessordnungen vorgesehen, und das seit Jahren. Die technischen Voraussetzungen zu schaffen, wurde jedoch von allen Senatoren versäumt. In der Coronakrise haben viele Richter die Möglichkeiten erkannt: Sie haben sich mit ihren Kollegen zu Videokonferenzen zusammengeschlossen oder ihren Kindern beim Online-Unterricht zugeschaut.

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„Die Coronakrise hat uns gezeigt, welches Potenzial dahintersteckt“, sagt Schifferdecker. „Das Interesse der Kollegen ist hoch, ihre Bereitschaft eher zögerlich. Und keins der Berliner Gerichte ist technisch ausreichend ausgestattet.“ Der Richterbund arbeitet derzeit an einem Leitfaden zu Videoverhandlungen, der in Kürze vorgestellt werden soll.

Und auch nicht alle Fälle lassen sich auf diesem Wege lösen. „Es ist datenschutzrechtlich schwieriger, online über Gesundheitsprobleme zu reden als über einen Mietmangel oder eine Autoreparaturrechnung“, sagt Schifferdecker, der Sozialrichter ist. 

Auch Strafrichter sehen zum Beispiel Zeugen lieber persönlich im Saal. „Im Zivilprozess sehe ich für Videokonferenzen besonders im frühen ersten Termin großes Potential“, sagt ein anderer Richter. Wegen der richterlichen Unabhängigkeit können Richter völlig frei entscheiden, ob sie die Beteiligten lieber persönlich sehen möchten. Bisher haben sie allerdings keine vom Land gestellte Möglichkeit der Videotechnik. Die Anwaltschaft hat die Ausweitung der Möglichkeiten von Online-Verhandlungen immer wieder gefordert.

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