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Spielen vor Zuschauern - das wünschen sich viele Musiker zurück.
© Jens Kalaene/dpa

„Musik hält unsere Gesellschaft zusammen“: Berliner Fête de la Musique startet Fundraising-Kampagne für Künstler

Das kostenlose Musikfestival findet wegen der Pandemie hauptsächlich online statt. Eine Spendenaktion soll Künstler und Veranstaltungsorte unterstützen.

Jim Kroft lacht, denn er hat eine tolle Motividee: Der Singer-Songwriter und Fotograf blinzelt noch einmal gegen die warme Mittagssonne, schnappt sich die Kamera und dirigiert seine Modelle mit viel körperlichem Einsatz und lustigen Sprüchen ganz einfach auf das Fontänenfeld. Und die fünf Veranstaltungsprofis von der Mercedes-Benz-Arena und der Verti Music Hall machen sofort mit.

Mitsamt Kabelrolle, Gitarre, Scheinwerfer und großem Instrumentenkoffer stehen sie inmitten der 96 friedlich plätschernden Fontänen auf dem Mercedes-Platz in Friedrichshain, bis sich plötzlich ein hoher Wasserstrahl über sie und ihr Bühnen-Equipment ergießt. Großes Gelächter und Kroft flachst: „Yes, we all have to suffer for the art.“

Leiden für die Kunst – in Pandemie-Zeiten ist das für zahlreiche Menschen aus dem Musikbereich mehr als nur ein lockerer Spruch. Sie stehen im Zentrum der berlinweiten Plakatkampagne, die am heutigen Montag im Rahmen der 26. Fête de la Musique startet. Der Tagesspiegel präsentiert das Musikfestival am 21. Juni als Medienpartner.

Die Plakate, die rund 50 an der Fête teilnehmende Künstler:innen und Konzertveranstalter:innen zeigen, werben auch für eine Fundraising-Kampagne: Ab 11. Juni können Musiker:innen oder Veranstaltungsorte der Fête über die Plattform Betterplace mit Spenden unterstützt werden.

Unter dem Motto „Musik möglich machen“ beteiligen sich rund 50 Clubs, Konzerthäuser und Initiativen mit etwa 100 bisher angemeldeten Konzerten am Festival. Fest zugesagt haben unter anderem bereits der Frannz Club, der Club Sage Beach, die Ausstellungsmacher von „Berlin Global“ im Humboldt-Forum, das Kulturzentrum Centre Français in Wedding, das Strandbad Wendenschloss und die St.-Matthäus-Kirche am Kulturforum.

Marzahn-Hellersdorf ist diesjähriger Partnerbezirk

Allein im diesjährigen Partnerbezirk Marzahn-Hellersdorf nehmen rund zehn Veranstaltungsorte teil, darunter das Orwo-Haus, die Gärten der Welt, das Kulturgut Marzahn und der Maxie-Treff Wuhletal. „Wir möchten Musik möglich machen, da Musik die Seele streichelt. Wer braucht das nicht in dieser Zeit?“ sagt Denise Sell von der Begegnungsstätte Maxie-Treff.

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Die Pandemie diktiert es: Wie schon 2020 wird es erneut eine Sonderausgabe des beliebten Umsonst-und-Draußen-Festivals geben. „Wir haben uns seit Monaten darauf eingestellt, dass die Fête wieder in einer Streaming-Version stattfinden muss“, sagt Björn Döring, seit 2018 Kurator der Veranstaltung. Etwa 80.000 Menschen hatten 2020 die Möglichkeit zum Streamen der Konzerte genutzt.

Der Musiker Aei Jei für die Plakatkampagne der Fete de la Musique
Der Musiker Aei Jei für die Plakatkampagne der Fete de la Musique
© Jim Kroft

Das seien nicht viel weniger Zuhörer:innen als in den Vor-Corona-Jahren gewesen und die bunte Vielfalt der Berliner Musikszene sei online nicht weniger beeindruckend, erklärt Döring. Angesichts der aktuell niedrigen Inzidenzen haben aber bereits ein paar Veranstaltungsorte Interesse angemeldet, auch Live-Konzerte zu veranstalten.

Je nach Pandemielage könnte es auch einige Live-Konzerte geben

„Wir sprechen gerade mit einigen Locations darüber, was machbar ist. Safety first ist oberstes Gebot“, sagt Döring. Bleibt die Inzidenz weiter auf niedrigem Niveau, könnten auf Grundlage des Stufenplanes der Senatsverwaltung ab dem 4. Juni Veranstaltungen im Freien mit 500, ab 18. Juni sogar mit 1000 Gästen erlaubt sein.

Eigentlich eine tolle Perspektive für die Fête. Doch so einfach sei das nicht, erklärt Döring: Die Hygienevorschriften würden nicht nur Tests und Absperrungen, sondern eigentlich auch eine Bestuhlung nötig machen. „Denn es ist unrealistisch, dass stehende Gäste nach anderthalb Jahren Konzert-Abstinenz akribisch auf den Abstand von zwei Metern achten und nicht anfangen zu tanzen“, sagt der 50-Jährige. Außerdem sei die Zuschauerzahl, die zu einem beworbenen Live-Konzert kommen könnte, gar nicht abschätzbar. „Wenn sich draußen vor dem Zaun dann Hunderte knubbeln, hätte der Veranstalter ein echtes Problem“, so Döring.

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Fest steht, dass der Aufwand für ein Live-Event in diesem Jahr enorm groß sein wird. „Und da ja alle Veranstaltungen kostenlos sind, wird das für viele nicht zu stemmen sein“, sagt Döring. Das komplette Programm der Fête soll am 11. Juni veröffentlicht werden. Bis dahin sollen auch Entscheidungen über einzelne Live-Konzerte getroffen sein.

Noch kurzfristigere Änderungen seien wegen der notwendigen Lärm-Ausnahmegenehmigungen und der Sondernutzungserlaubnisse für das öffentliche Straßenland einfach nicht möglich, bedauert Döring. Das wunderbar Spontane, Unverabredete der klassischen Fête sei wohl erst wieder im kommenden Jahr denkbar. Immerhin, die Online-Konzerte ansehen könne man überall dort, wo es einem gefalle.

Auch Veranstaltungsorte leiden unter der Pandemie

Wie viel die Pandemie im vergangenen Jahr verändert hat, wissen auch die Leiter der Mercedes-Benz-Arena und der Verti Music Hall, Ole Hertel und Dirk Dreyer, deren Fotoshooting mit Kroft inzwischen beendet ist. Die rund 70 festen Mitarbeiter der Arena wurden fast alle in Kurzarbeit geschickt. Dennoch seien die meisten großartig mit der schwierigen Situation umgegangen, sagt Hertel.

Er hofft, dass es im Herbst wieder Eishockey- und Basketballspiele mit Zuschauern und Ende des Jahres vielleicht zumindest wieder Auftritte nationaler Künstler in der Arena geben könnte. „Uns allen fehlen einfach die Gäste und die Emotionen“, sagt Dreyer.

In den USA und England sei es mit den Events vor mehr als zwei Monaten schon wieder losgegangen – wie eine kleine Explosion, erzählt er etwas neidisch. Immerhin, ein Gutes habe die Corona-Zeit mit sich gebracht: Die Menschen in der bisher nur partiell vernetzten vielfältigen Berliner Musikszene würden jetzt mehr miteinander reden, viele Berührungsängste seien abgebaut.

Fotoshooting für eine Plakatkampagne der Fete de la musique auf dem Mercedes-Benz-Platz in Friedrichshain
Fotoshooting für eine Plakatkampagne der Fete de la musique auf dem Mercedes-Benz-Platz in Friedrichshain
© Eva Steiner

So hat dann spontan auch Meiko Köhler vom Chorverband Berlin zugesagt, zum Shooting auf dem Mercedes Platz zu kommen. Auch er möchte durch seine Teilnahme an der Fotokampagne auf die Misere der vielen Berliner Musikbegeisterten aufmerksam machen.

Viele Berliner möchten wieder gemeinsam Musik machen

„Es gibt rund 300 Chöre in unserem Verband, geschätzte 2500 sind es in ganz Berlin. Das ist eine riesig große Zahl von Menschen, die endlich wieder gemeinsam Musik machen möchten“, sagt Köhler. Derzeit sucht der Verband mit der Aktion „Macht Chören den Hof“ intensiv nach Gewerbeflächen im Freien, auf denen Chöre üben können.

Für Köhler hat Fotograf Kroft angesichts der maritimen Stimmung in Spreenähe eine neue Motividee. Er lässt den 43-Jährigen kurzerhand auf einen der großen Schiffspoller am Anleger unterhalb der East Side Gallery klettern und fotografiert ihn dann später noch einmal bei strahlend blauem Himmel auf der Oberbaumbrücke.

„Ich liebe es, mit der Kamera Geschichten zu erzählen“, sagt Kroft, der die Fête seit vier Jahren medial unterstützt und auch als Dokumentar- und Werbefilmer arbeitet. Seit 2007 lebt der 42-Jährige mit schottischen Wurzeln in Berlin und trat früher viel im Tacheles auf. Auch Musiker Kroft leider unter den Zumutungen der Pandemie und wäre froh, wenn er endlich wieder vor Publikum spielen könnte. „Musik ist relevant“, sagt er, für seine Verhältnisse ungewöhnlich ernst. „Sie hält unsere Gesellschaft zusammen.“

Eva Steiner

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