Lockerung der Coronavirus-Maßnahmen: Berliner Einzelhandel, Gaststätten und Sporteinrichtungen drängen auf schnelle Öffnung
Berlin steht still, doch viele Branchen hoffen auf baldige Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Das sind die Wünsche der Betroffenen.
- Ronja Ringelstein
- Ralf Schönball
- Sabine Beikler
- Felix Hackenbruch
- Julius Betschka
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Berlin steht still. Seit Wochen schon, doch nicht für immer. Am heutigen Mittwoch berät die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten über etwaige Lockerungen der Coronavirus-Maßnahmen. Wie kann eine Rückkehr in die Normalität gelingen? Können einzelne Branchen schrittweise wieder öffnen? Diese Wünsche haben die verschiedenen Branchen in Berlin.
Künftige Lockerungen der derzeitigen Corona-Einschränkungen müssen aus Sicht der Gaststättenverbands Dehoga der Branche einen überlebensfähigen Umsatz ermöglichen. „Restaurant- und Biergärten-Öffnungszeiten bis 18.00 Uhr garantieren das zum Beispiel nicht“, sagte Thomas Lengfelder, Hauptgeschäftsführer des Dehoga-Landesverbands Berlin.
„Kosten für Betriebe ohne jegliche Chance auf Ertrag auf Grund zu starker Beschränkungen wären fatal.“ Lengfelder forderte daher, Öffnungszeiten bis mindestens 22.00 Uhr zu ermöglichen.
Restaurants könnten innerhalb von drei Tagen öffnen
Der Dehoga-Bundesverband hatte mit Blick auf eine künftige Lockerung ein einheitliches Vorgehen von Bund und Ländern gefordert. „Ganz wichtig ist für die Branche und die Bevölkerung, dass die Regelungen verständlich und bundesweit einheitlich sind“, sagte Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges der Deutschen Presse-Agentur.
Zudem forderte sie eine frühzeitige Ankündigung möglicher Lockerungen. „Es muss so rechtzeitig sein, dass die Betriebe Zeit für den Wareneinkauf, die Personaleinsatzplanung und für die Umsetzung notwendiger Schutzmaßnahmen haben. Drei Arbeitstage wären ausreichend.“
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Auch Berlins Einzelhändler halten eine Öffnung für sinnvoll unter der Bedingung, dass die „Abstandsregeln und hygienischen Notwendigkeiten“ eingehalten werden. Allerdings fordert der Chef des Berliner Einzelhandelsverbandes Niels Busch-Petersen: „Keinen Flickenteppich, sondern ein bundeseinheitliches Vorgehen bei der Öffnung der Läden und zwar nach klaren Kriterien und nicht nach Branchen oder Ladengrößen“.
Scharfe Kritik übt der Handelschef an Forderungen im politischen Raum, zunächst nur Läden mit maximal 400 Quadratmetern zu öffnen. Dieser aus Österreich stammende Vorschlag, mit dem auch die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg sympathisierten, sei „purer Populismus“. Um die Abstände zwischen Kunden und die Hygiene-Regeln einzuhalten, seien „gerade die größeren Einheiten mit mehr Ladenflächen“ oft besser geeignet.
Einzelhandel will dringend bundesweite Lösung
Der Handel sei bereit, „konstruktiv mitzuwirken“ an der Entwicklung von Konzepten, wie die Regeln zur Bekämpfung der Pandemie bei laufendem Betrieb umgesetzt werden können. Größere Unternehmen könnten den Ordnungs- und Gesundheitsämtern Pläne vorlegen, wie beispielsweise Warteschlangen organsiert werden können.
Busch-Petersen rät dringend zu einem abgestimmten Vorgehen, da die Gefahr von Insolvenzen auch nach der Öffnung wegen des gedrosselten Betriebs sogar noch größer sei als während des Shutdowns.
Auch beim Landessportbund mit seinen rund 2500 Vereinen und 650.000 Mitgliedern beschäftigt man sich mit Lockerungen. „Wir wünschen uns eine stufenweise Öffnung aller Sportanlagen – also auch der Hallen“, sagt Friedhard Teuffel Direktor des Landessportbundes. Prämisse dafür sei die Berücksichtigung der Abstand- und Hygieneregeln. „Das ist auch im Sport möglich.“
Bei manchen Kampfsportarten wie Judo, Karate, Ringen oder Boxen sei Abstand zwar nicht einzuhalten, trotzdem wolle man auch für diese Sportarten ein spezifisches Bewegungsangebot schaffen.
Kriterienkatalog wird für alle Sportarten entwickelt
„Aus sozialer Verantwortung ist uns daran gelegen, dass gerade auch Kinder und Jugendliche Bewegung erhalten.“ Weil sie – anders als Erwachsene – vor allem in Mannschaftssportarten aktiv sind, würde ihnen aktuell die Decke auf den Kopf fallen. „Beim Homeschooling ist der Schulsport leider fast komplett hinten runtergefallen.“ Beim Landessortbund sucht man deshalb nach pragmatischen Lösungen. „Wir erarbeiten einen Kriterienkatalog, der für alle Sportarten anwendbar sein sollte.“
Dafür sei man im Austausch mit den Fachverbänden und dem Charité-Sportmediziner Bernd Wolfarth. „Der Katalog ist noch nicht fertig, aber es gibt bereits einige Empfehlungen“, sagte Teuffel. So sollen beispielsweise Sanitärbereiche vorerst nicht genutzt, Hallenzugänge beschränkt und Desinfektion sichergestellt werden. Dafür sei man auch mit dem Senat in Kontakt.
Friseure für Öffnung und gegen Bartrasur
Berlins Friseure drängen ebenfalls auf eine rasche Öffnung ihrer Salons. "Bei Betrieben wie Kunden steigt der Druck", sagte Jan Kopatz, Obermeister der Friseur-Innung Berlin. Gemeinsam mit dem Zentralverband werde aktuell ein Arbeitspapier entwickelt. Darin geht es um Kontaktabstand im Salon, eine Beschränkung der Anzahl der Personen sowie durchgängiges Desinzfizieren der Betriebe.
"Von ganzkörpernahen Dienstleistungen wie Augenbrauen und Wimpern zupfen oder der Bart-Pflege würden wir vorerst abraten", sagte Kopatz. Auch eine Mundschutz-Pflicht für Friseure sei denkbar. Generell gelte für den Berufszweig aber: "Der Friseur-Beruf hatte schon immer mit die höchsten Hygiene-Standards."
Fitnessclubs: "Sind für alle Maßnahmen bereit"
Auch Fitnessclub-Betreiber fordern eine Lockerung der Ausgangsbeschränkungen. „Wir müssen wieder aufmachen. Wie sollen wir das sonst schaffen“, sagt Susanne Wiggert, Geschäftsführerin der VC Vitalclub Management GmbH. In den drei Elixia-Studios in Wilmersdorf, Lichterfelde und Hellersdorf, die alle seit dem 15. März geschlossen sind, arbeiten 150 Mitarbeiter und viele Aushilfskräfte.
Zurzeit bieten die Studios virtuelle Kurse an. Elixia hat einen offenen Brief unter anderem an die IHK geschrieben und mehrere Maßnahmen für den Fall einer Öffnung angeboten: eine Fiebermesskontrolle für Besucher vor dem Zutritt (mittels jeweils desinfizierter elektronischer Fieber-Ohrmessgeräte oder anonymisierter Fiebermesskameras). Bei erhöhten Temperaturen kann der Zugang verweigert werden.
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Eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern könnte für die Kurse festgelegt werden, um den Mindestabstand einzuhalten. Für die Nutzung der Geräte könnten Einweghandschuhe und Desinfektionsmittel bereitgestellt werden. Die Dampfsaunen würden abgeschaltet werden. Bei der Nutzung von Finnischen Saunen könnte die Abstandsregel von zwei Metern eingehalten werden.
„Wir sind für alle Maßnahmen bereit“, sagte die Geschäftsführerin. Elixia hatte auch darauf verzichtet im April Mitgliedsbeiträge abzubuchen, um Kündigungen zu verhindern.
Clubs warnen vor dem "slow start"
Der Verband der Berliner Partyszene, die Clubcommission, warnt für ihre Branche dagegen vor einer stufenweisen Lockerung des Veranstaltungsverbots, etwa indem nur weniger Gäste eingelassen werden dürften. Lutz Leichsenring, Sprecher der Clubcommission, sagte dem Tagesspiegel: „Es ist wichtig, dass es für uns keinen ‚slow start‘ gibt, denn die Kosten entstehen zu hundert Prozent, auch wenn der Club nur halb leer ist.“
Denkbar seien aber Öffnungen in Clubs, die auch Außenbereiche haben und dort nur unter freiem Himmel mit viel Durchlüftung zu feiern. Hier aber, sagte Leichsenring, müsse man „auf Sicht fahren“. Wichtig sei zunächst, dass das wirtschaftliche Leben insgesamt wieder zum Laufen käme. „Das kulturelle Leben wird langsamer anlaufen, denke ich. Vielleicht beginnt es in Kinos, wo man leichter jeden zweiten und dritten Platz freilassen kann.“
Katholische Kirche will gleiche Regeln für alle
Auch Erzbischof Heiner Koch meldete sich am Mittwoch. Er sprach sich dafür aus, dass eventuelle Lockerungen für Veranstaltungen auch für Gottesdienste gelten müssten. "Wir tragen auch weiterhin die Regelungen mit, die vom Bund und von den Ländern vorgegeben werden", sagte Koch. "Wir wissen es nicht besser als die Fachleute, die Virologen und anderen Mediziner.
In dieser Krise gehe es nicht darum, Freiheiten – auch nicht die Religionsfreiheit – zu beanspruchen, sondern Menschen zu schützen und auch die nicht zu überfordern, die sich um die Kranken kümmern. Er wolle keinen Sonderweg für die Kirchen, aber ähnliche Regeln wie beispielsweise in Museen, Supermärkten und Gaststätten. "Wir setzen uns für wirksame Regelungen ein, die dann auch überall gelten."