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Zentrum der Corona-Versorgung in Berlin: die Charité in Mitte.
© Hannes Heine
Update

„Deutliche Einschränkung der Versorgung droht“: Berliner Charité warnt vor Überlastung der Intensivstationen

Die Corona-Zahlen steigen. Doch weil Personal fehlt, gibt es weniger Intensivbetten als vor einem Jahr. Die Charité fordert Freihaltequoten, die Senatorin auch.

Angesichts stark steigender Corona-Zahlen warnt die Charité vor einer Überlastung der Intensivstationen. Die Zahl der Patienten sei in den vergangenen Tagen merklich gestiegen, sagte Martin Kreis, im Vorstand für die Krankenversorgung in Deutschlands größter Universitätsklinik zuständig, der Deutschen Presse-Agentur.

Insbesondere unter Ungeimpften sei von einem deutlichen Anstieg an Neuinfektionen auszugehen. „Aktuell sind etwa 90 Prozent der Covid-19-Patientinnen und Patienten in der Charité nicht geimpft“, sagte Kreis. Wenn es nicht gelinge, die Impfquote deutlich zu steigern, werde das infolge der Behandlungen in Krankenhäusern zu massiven Einschränkungen in den Kliniken führen.

In internen E-Mails der Berliner Universitätsklinik heißt es, man müsse sich für den Winter auf eine „hohe Belastung“ einstellen. Namhafte Mediziner erwarten, dass die Charité wie vergangenen Winter planbare Behandlungen verschieben werde, dass der Krankenhausvorstand also den Regelbetrieb einschränkt, um die erwarteten Covid-19-Neufälle versorgen zu können.

„Wenn sich diese Entwicklung entlang der Prognosen fortsetzt und keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, droht in den nächsten Wochen auch eine deutliche Einschränkung der Versorgung der Nicht-Covid-19-Patientinnen und Patienten“, sagte Kreis. Verschärft werde die Situation dadurch, dass bundesweit deutlich weniger Intensivbetten zur Verfügung stünden als noch vor einem Jahr. Hintergrund sei ein deutschlandweiter Rückgang beim Pflegepersonal.

Charité-Chef: Ohne Freihaltequoten Versorgung nicht zu gewährleisten

Die vorhandenen Intensivbetten seien derzeit vor allem mit Menschen belegt, die nicht am Coronavirus erkrankt seien. Dadurch stünden kaum freie Betten für die Covid-19-Versorgung zur Verfügung. Der Vorstandschef der Charité, Heyo Kroemer, forderte: „Wir benötigen dringend wieder die Einführung von Freihaltequoten bei den Intensivbetten.“ Dies ermögliche es den Krankenhäusern, ausgewählte Behandlungen zu reduzieren und Verlegungen zwischen den Häusern planbar zu organisieren.

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„Ohne die Wiedereinführung dieser Quoten wird die Versorgung der Covid-19-Erkrankten in den kommenden Wochen und Monaten nicht zu gewährleisten sein“, sagte Kroemer.

Unterstützung dafür gibt es von Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD): „Diese Forderung der Krankenhäuser finde ich berechtigt, dass sie jetzt Unterstützung bekommen“, sagte sie am Montagmorgen dem Sender n-tv. Sie forderte den Bund auf, erneut die Vorhaltung zu finanzieren.

In Berliner Krankenhäusern befinden sich dem Corona-Lagebericht der Senatsgesundheitsverwaltung zufolge derzeit 120 Covid-19-Patienten mit einem schweren Verlauf in intensivmedizinischer Behandlung. Das sind 27 mehr als noch vor einer Woche - ein Anstieg von 29 Prozent in kurzer Zeit.

Charité wirbt klinikintern für Auffrischungsimpfungen

Nach Tagesspiegel-Informationen wird klinikintern für Auffrischungsimpfungen geworben. Den Schutz vor dem Virus zu erneuern, sei angesichts zahlreicher Impfdurchbrüche geboten, schreiben Charité-Chefärzte an die Beschäftigten.

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Auch Kalayci sprach ssich in den Sendern RTL und NTV für die Booster-Impfungen aus und richtete sich direkt an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Sie forderte vom Noch-Bundesgesundheitsminister ein Konzept zu den empfohlenen Booster-Impfungen. „Wir sind bei den Auffrischimpfungen in Berlin sehr weit, weil wir jeden, der Anspruch hat, anschreiben“, sagte Kalayci. Deshalb liege man in Berlin bei den Auffrischimpfungen deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Spahn hatte am Montag die Länder aufgefordert, ihre Impfzentren wieder zu öffnen. In Berlin gab es sechs Impfzentren, die nie voll ausgelastet waren. Vier davon wurden im Sommer geschlossen. Noch den November über ist das Impfzentrum auf der Messe offen, jenes im einstigen Flughafen Tegel bis Ende Januar. Zudem besuchen Ärzte die Pflegeheime, um dort Auffrischimpfungen anzubieten.

Allerdings betrachtet Gesundheitssenatorin Kalayci die Corona-Impfungen als „Kerngeschäft“ der Hausärzte. Tatsächlich sind, so die Gesetzeslage, vorrangig niedergelassene Mediziner für ambulante Behandlungen zuständig. RTL und NTV sagte Kalayci: „Ein Vorschlag wäre, dass die Ärzte wirklich systematisch ihre Patienten ansprechen und anrufen und sagen: Kommt her, ihr könnt bei uns in der Praxis eure Auffrischungsimpfung oder Impfung bekommen.“ Die für die Praxen zuständige Kassenärztliche Vereinigung hatte an alle Berliner, die sich ein drittes Mal impfen lassen können, appelliert: „Die Pandemie ist noch nicht vorbei.“

Kritik kommt auch von Michael Müller

Ungewöhnlich deutlich hat sich auch Noch-Senatschef und SPD-Bundestagsabgeordneter Michael Müller geäußert und den geschäftsführenden Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kritisiert. Spahn hatte zuerst das Ende der „epidemischen Notlage“, dann ein Bund-Länder-Treffen zu den womöglich nötigen Booster-Impfungen gefordert. Dem ZDF sagte Müller zu Spahn: „Er hat mit seinen Äußerungen den Eindruck erweckt, wir wären über den Berg, wir hätten’s geschafft in der Bewältigung der Corona-Situation. Und es ist genau das Gegenteil.“

Für Booster-Impfungen sprach sich am Sonntag auch der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Berlin, der CDU-Bundestagsabgeordnete Mario Czaja, aus: Wer mindestens zwölf Jahre alt ist, sollte sich um eine Zusatzimpfung bemühen, sobald die Grundimmunisierung ein halbes Jahr zurückliegt. Diese Impfungen würden in Praxen, von mobilen Teams des DRK und in den zwei Zentren angeboten. Das Corona-Impfzentrum auf dem Messegelände habe den November über geöffnet, jenes im Ex-Flughafen Tegel bis Ende Januar.

Berlins Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz (SPD) wies via Twitter darauf hin, dass jeder einen Impfanspruch habe, dessen letzte Impfung sechs Monate her ist. Insgesamt sei die Zahl der Dritt-Impfungen in Berlin aber deutlich höher als im Bundesdurchschnitt.

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