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Täterprofil. Diese Bilder von Anis Amri hatte das BKA veröffentlicht.
© dpa

Terroranschlag am Breitscheidplatz: Berliner Behörden ignorierten Nachricht zu Amri

Immer neue Versäumnisse im Fall Anis Amri kommen ans Licht: Eine wichtige Anfrage aus NRW blieb einfach unbeantwortet.

Von Ronja Ringelstein

In zehn Tagen jährt sich der Terroranschlag am Breitscheidplatz und wieder sind neue Versäumnisse des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin öffentlich geworden. Die Polizei in Berlin hatte, wie Recherchen von „RBB“ und „Morgenpost“ ergaben, offenbar ein dringliches Auskunftsersuchen aus Nordrhein-Westfalen zu dem Terroristen Anis Amri unbeantwortet gelassen. Die Anfrage aus NRW sei nur wenige Wochen vor dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz bei der Berliner Behörde eingegangen. Am 19. Dezember vergangenen Jahres steuerte Amri einen Lkw in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt. Er tötete zwölf Menschen und verletzte über hundert weitere.

In einer auf den 26. Oktober 2016 datierten Email hatten Beamte des Polizeipräsidiums Krefeld, Abteilung Staatsschutz, in NRW allerdings die Berliner Kollegen bezüglich des als Gefährder eingestuften Anis Amri gefragt: „Habt Ihr aktuelle Erkenntnisse über seinen Aufenthaltsort?“. Es wurde um zeitnahe Rückmeldung gebeten, die kam aber nie.

Auf dem Ausdruck der E-Mail, der dem Tagesspiegel in Kopie vorliegt, prangt ein handschriftlicher Vermerk: „Rückmeldung nicht erfolgt“. Das LKA in NRW war für Amri ausländerrechtlich zuständig, tatsächlich hielt er sich aber in Berlin auf und wurde hier vom LKA zeitweise überwacht. Sowohl Observation als auch Telekommunikationsüberwachung wurden allerdings am 26. Oktober nicht mehr durchgeführt. Ob das Berliner LKA also „aktuelle Kenntnisse“ über Amris Aufenthaltsort gehabt hätte, bleibt fraglich.

Der Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus will in Zukunft noch klären, warum die Berliner Beamten nicht reagierten, sagte der Ausschussvorsitzende Burkard Dregger (CDU) dem Tagesspiegel. Bei der Sitzung des Ausschusses am Freitag verdichteten sich zudem Hinweise, dass Amri bereits im Oktober vor dem Terroranschlag hätte abgeschoben werden können.

Abschiebung war wohl möglich

Eine als Zeugin geladene Mitarbeiterin aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die mit dem Fall Amri intensiv befasst war, bestätigte, dass tunesische Behörden am 24. Oktober angegeben hatten, dass Amri tunesischer Staatsbürger war. Damit hätten, so die Ansicht von Innenpolitiker Marcel Luthe (FDP), alle Voraussetzungen vorgelegen, um den Gefährder abzuschieben, obwohl noch keine Passersatzpapiere von ihm vorhanden waren. Die anderen Abgeordneten sahen das jedoch nicht so eindeutig wie Luthe.

Einige Ausschussmitglieder hatten sich insgesamt mehr von diesem Freitag erhofft. Die zuerst befragte Zeugin, die im Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin gearbeitet hatte, in einer Zeit, in der Amri sich dort mehrmals als Asylsuchender registrieren hatte lassen, konnte viele Fragen nicht beantworten.

Sie war geladen worden, da ihr Name auf den Akten im Fall Amri als ausführende Sachbearbeiterin aufgeführt war – während ihrer Befragung stellte sich heraus, dass mit steigender Zahl der Asylsuchenden ab Sommer 2015 die Aufgabenverteilungen in der Registrierung so verändert wurden, dass die Sachbearbeiter, denen die Fälle zugeordnet waren, gar nicht mehr tatsächlich diese Fälle bearbeiteten.

Die Zeugin gab dem Ausschuss einen Einblick in die damals chaotischen Zustände der Flüchtlingsregistrierung. Letztlich seien die meisten Flüchtlinge ohne Ausweispapiere gekommen, die „Sprachmittler“, also nicht zertifizierte Dolmetscher, füllten mit den Asylantragstellenden einen Fragebogen zur Identität und Einreise aus, ohne, dass ein Lageso-Mitarbeiter den Asylsuchenden überhaupt gesehen habe. Diese Fragebögen habe dann ein „Läufer“ zu einem Sachbearbeiter gebracht, der die Daten in das System eingab. Deshalb konnte die Zeugin sich nicht an Amri erinnern. Der hatte sich am Lageso zwischen Juli und Dezember 2015 dreimal unter verschiedenen Namen registriert.

Der letzte Zeuge an diesem Freitag, ein Stabsleiter im LKA NRW, gab zunächst an, gar nichts aussagen zu können, da er nicht mit dem Fall befasst gewesen sei. Später sei er zurückgekommen, berichtete Marcel Luthe, und habe doch ausgesagt: Er hatte zwei Tage nach dem Anschlag, am 21. Dezember, die Fahndung nach dem Terroristen koordiniert. Woher die Info kam, nach Amri suchen zu müssen, verriet er nicht – das LKA NRW hatte ihm dazu die Aussagegenehmigung verweigert. So blieb auch diese Frage unbeantwortet.

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