Olympische Spiele an die Spree?: Berlin wirbt mit Kreativität um Olympia
Zumindest in Sachen Improvisation zeigt Berlin schon olympiareife Leistungen: Air Berlin löst elegant den Stickerstreit, Tim Renner hat ungewöhnliche Ideen - und der Sportsenator zündet schon mal das olympische Feuer.
Der Mann wischt erst die Flugzeugfläche mit Reinigerspray sauber, misst dann exakt mit dem Zollstock aus, schneidet mit der Klinge die Klebefolie millimetergenau nach und verteilt den Spezialkleber drunter mit der Heißluftpistole. Michael Darwish ist Druckfolienspezialist und für den Einsatz am Werbeflieger der Air Berlin für Olympische Spiele in der Stadt aus München eingeflogen worden. Eben stand da also noch „Berlin für Olympia“. Weil aber der Fluggesellschaft nun unterstellt wurde, sie wolle mit dem markengeschützten Begriff Olympia womöglich nicht für Olympia in Berlin werben, sondern für sich, musste der Spruch weg. Jetzt ist alles glattgestrichen und glänzt wie neu und da steht jetzt unter dem alten Slogan „Wir wollen die Spiele“: Im Namen der Hauptstadt.
Das klingt nach viel Power und Augenzwinkern und Michael Darwish ist auch zufrieden. Da er ständig Flieger beklebt, mit Weihnachtsdeko oder Maskottchenlogos, ist das hier nichts besonderes für ihn. „Ich weiß auch gar nicht, warum das jetzt schon wieder abmusste“, sagt er mit Münchener Dialekt. Nun, weil die Fluggesellschaft einem Wunsch des Berliner Werbeteams gefolgt war – aber der offizielle Werbesticker der Stadt, wie sich nun herausstellt, nicht von allen Unternehmen unproblematisch genutzt werden kann. Air-Berlin-Pressesprecher Aage Dünhaupt nimmt die ganze Situation sportlich. Jedenfalls ist der Zweitkleber ebenfalls resistent gegen Temperaturschwankungen und gegenwindsicher zusätzlich abgeklebt.
Tim Renner ist für Couch-Surfing
Der Olympia-Werbespruch für Olympia musste auch ab, das wissen Beobachter, weil Berlin sich zwar für die Spiele bewirbt, aber Senatskanzlei, Senatsverwaltungen, Berlin Partner und der Deutsche Olympische Sportbund noch nicht eingespielt sind. Und es immer Neider gibt. Und in der Euphorie in den Bewerberstädten auch mal übers Ziel hinausgeschossen wird. Das ist weltweit immer so, wenn alle die IOC-Regeln noch nicht genau kennen – oder sie sich womöglich vorher nicht angeschaut haben.
Kreativität und Fantasie sind bei der möglichen Olympia-Bewerbung Berlins für 2024 jedenfalls auch außerhalb des Hangars 1 auf dem Flughafen Tegel offensichtlich keine Grenzen gesetzt. „Wir schlagen in unserem Bewerbungspapier vor: Couch-Surfing für Funktionäre“, erzählt Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) am Mittwoch dem RBB. Rund 5.000 Funktionäre würden bei Olympischen Spielen erwartet, und Renner fragt: „Warum sollte man die alle in Hotels unterbringen?“ Couch-Surfing? Das funktioniert in einem Netzwerk, deren Mitglieder aus Gastfreundschaft Quartiere kostenlos zur Übernachtung anbieten. Renner will damit IOC-Mitglieder beeindrucken. „Dann erleben sie endlich mal was Neues – ein spannendes Berlin.“ Allerdings gibt Renner auch zu, dass man im Internationalen Olympischen Komitee kopfschüttelnd sagt: „Die spinnen, die Berliner. Aber dann sagen wir kopfschüttelnd: Dann sind wir zu modern für Euch.“
Moderne Ausrichtung der Spiele
Anschließend hält der Kulturstaatssekretär im Radialsystem in Friedrichshain am Abend mit Vertretern der Berliner Kunst- und Kreativszene ein öffentliches „Brainstorming“ ab. Dort wird über Fragen einer modernen Ausrichtung der Spiele diskutiert. Die Diskussionen in dem Kulturzentrum sind engagiert. Rot- und Weißwein wird reichlich genossen, die Atmosphäre ist entspannt. An zahlreichen Tischen sitzen Kreative, Künstler und Kulturfunktionäre. Auf großflächigen Pappcollagen werden die Zwischenergebnisse dieses zweiten Brainstormings zu Olympia festgehalten. „Wir haben an unserem Geschichtstisch radikale Ideen entwickelt“, sagt Jochen Sandig vom Radialsystem. „Es gab die Überlegung, ein Olympia der Regionen statt der Nationen zu schaffen.“ Er sei Befürworter der olympischen Idee, aber nicht unbedingt der Olympischen Spiele, betont der 47-Jährige. Andere Tischgruppen fordern ein Olympia ohne Geheimverträge. Sie wollen vor allem die ihrer Ansicht nach grassierende Korruption bekämpfen. Aus den Ideen heraus soll ein Manifest entstehen, das dem Olympischen Komitee vorgelegt werden soll.
Ein paar Stunden zuvor hatte Sportsenator Frank Henkel (CDU) im Olympiastadion ein Olympisches Feuer symbolhaft entzündet, Jugendfußballer von Hertha BSC ließen 500 Luftballons mit dem Aufdruck „Wir wollen die Spiele“ steigen. An diesem Donnerstag um 9.45 Uhr beginnt am Brandenburger Tor die Aktion „Das lebendige Olympische Band“. Auf 200 vier Meter langen Plakaten haben rund 100.000 Menschen zugunsten der Berliner Bewerbung unterschrieben. Die Unterschriften übergibt der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) einem Vertreter des DOSB. 600 Schüler wollen sich mit den Plakaten zu den olympischen Ringen formieren. Die Unterschriften wurden in den vergangenen vier Wochen gesammelt. Zusätzlich übergibt der Landessportbund Berlin dem DOSB eine Charta mit 10 000 Unterschriften.
Im Flugzeughangar zückt am Mittwochabend auch ein Technikmitarbeiter sein Handy und fotografierte die Umklebeaktion. „Ein historischer Moment.“ Aber naja, Berlin könne noch nicht mal den BER – und jetzt Olympia? Von ihm aus hätte da auch raufgeklebt werden können: „Berlin für die Jungs im Toolshop“. Donnerstag hebt der A320-200 schon wieder nach Frankfurt ab. Im Namen der Hauptstadt.