Zwei neue Multifunktionsbäder: Berlin sucht das Superbad
Eine aktuelle Umfrage zeigt: In den Becken dieser Stadt sind weder Schwimmer noch Planscher richtig froh. Das neue Bäderkonzept des Senats soll es richten – auch mit zwei Neubauten.
Was wollen die Berliner, wenn sie ins Schwimmbad gehen? Sie wollen Ruhe, Entspannung und Erholung. Aber auch tropfnassen Badespaß und allzeit eine Handbreit Wasser unter dem Kiel fürs sportliche Schwimmen. Die Kinder sollen ihre Freude haben, ein nettes Restaurant und ein kräftiger Aufguss in der Sauna dürfen nicht fehlen. Dies alles möchten die badenden Berliner in angenehmer, warmer Atmosphäre genießen, mit freundlichem Personal und bei günstigen Eintrittspreisen. Ein ambitioniertes Programm, das eine Umfrage der Berliner Bäderbetriebe nun enthüllt, dargestellt in Grafiken, die wir auf dieser Seite exklusiv präsentieren. Leider klaffen, wie die Umfrage zeigt, Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander.
Früher war das Leben einfacher. „Es lächelt der See, er ladet zum Bade“, schrieb 1803 Friedrich Schiller, damit war die Sache klar. Und als Bauarbeiter 70 Jahre später an der Friedrichstraße zufällig eine sprudelnde Solquelle fanden, wurde zügig ein Bad errichtet, ohne groß zu diskutieren. Wenn auch nur für ein gut betuchtes Publikum, mit Marmorwannen und beheizten Kleiderständern. Das Admirals-Gartenbad war ein exklusives Vergnügen, doch schon im selben Jahr wurde der „Berliner Verein für Volksbäder“ gegründet, dem Robert Koch und Rudolf Virchow angehörten. Das war der Beginn eines Interessenkonflikts.
Der Senat ist verpflichtet, Bäder anzubieten
Denn den Volksbad-Verfechtern ging es nicht um das Amüsement, sondern um Körperertüchtigung und Hygiene als wichtige Grundlagen der Volksgesundheit. In den vielen neuen Mietskasernen gab es keine gefliesten Bäder. Wer damals einer gründlichen Reinigung bedurfte, musste städtische Einrichtungen aufsuchen, die auf Beschluss des Berliner Magistrats ab 1891 in größerer Zahl gebaut wurden, mit Wannen, Duschen und meistens einem großen Schwimmbassin. Für Männer und Frauen gab es getrennte Badezeiten, um „unmoralische Durchmischungen“ zu verhindern, jedenfalls solange es noch den Kaiser gab.
Noch heute konkurriert das eine Erbe mit dem anderen. Hier der bürgerlich aufgeklärte Anspruch an einen gesunden Geist in einem gesunden Körper, in Berlin mit preußisch-asketischer Prägung, die sich in 29 50-Meter-Sportschwimmbecken manifestiert. Und dort die vielen Berliner Badefreunde, denen die aktuelle Bäder-Infrastruktur zu karg ist. Es scheint also an der Zeit für eine Rückbesinnung auf das Admirals-Bad, natürlich ohne dessen elitären Anspruch. Das neue Bäderkonzept, das der Senat am Dienstag beschloss, weist in diese Richtung. Wobei Rot-Schwarz nicht umschwenkt auf Badespaß pur, sondern auf eine Versöhnung der Philosophien setzt. Die rechtliche Grundlage dafür gibt es seit 20 Jahren, nämlich das Bäder-Anstaltsgesetz. Es verpflichtet den Senat, „sportliche Betätigung, Erholung und Entspannung für die Angehörigen aller Bevölkerungsgruppen“ anzubieten.
Zwei schicke neue Kombibäder sollen 2021 eröffnen
„Bisher ist aber nur in unseren Sommerbädern für alle etwas dabei“, sagt der Geschäftsführer der Berliner Bäderbetriebe, Ole Bested Hensing. Der gebürtige Däne führt das landeseigene Unternehmen seit 2013, vorher war er Chef des privat geführten Tropical Islands in Brandenburg, laut Eigenwerbung „Europas größte tropische Urlaubswelt“. Die meisten Berliner Politiker sind allerdings nach wie vor der Meinung, dass derartige Spaßbäder nicht zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören und ausschließlich privat betrieben werden sollten. Stattdessen wurde im neuen Bäderkonzept der Begriff des Multifunktionsbads geprägt.
Zwei schicke Pilotprojekte werden, wenn alles gut geht, 2021 am Ankogelweg in Mariendorf und in der Wolfshagener Straße in Pankow eröffnet. Mit je einem Bereich für Sport- und Vereinsschwimmer (50-Meter-Bahnen, Sprunganlage, Lehrschwimm- und Kursbecken). Mit einem Freizeitbad (25-Meter-Becken, Kinderplansche, Rutsche, Whirlpool, Erlebnisbecken, Wasserspielplatz, Ganzjahresaußenbecken, Wellenbad). Dazu ein Sommerbad mit Liegewiesen, eine Saunalandschaft und Gastronomie. Dies alles soll aus dem neuen Investitionsfonds des Landes Berlin finanziert werden, jedes Multifunktionsbad kostet etwa 30 Millionen Euro, in anderen Städten sind ähnliche Bäder sehr erfolgreich. Kalkuliert wird mit 800.000 Besuchern jährlich, nach Abzug der Personal- und Betriebskosten sollen beide Superbäder Überschüsse erwirtschaften.
Viele wollen Badespaß statt Schwimmtraining
Sie wären dann auch – damit noch einmal zurück in die Geschichte – ein modernes Pendant zu den Badetempeln des 19. Jahrhunderts, von denen in Berlin leider nur wenige noch in Betrieb sind. Das Stadtbad Neukölln: eine römische Basilika. Das Baerwaldbad: ein Renaissance-Palast. Das Stadtbad Charlottenburg: ein Palais im Jugendstil. Später wurden Berlins Schwimmbäder baulich schlichter. Aus Kostengründen, aber auch deshalb, weil spätestens in den siebziger Jahren das Schwimmenlernen und das sportliche Training in den Vordergrund rückten. Für Schule und Sport genügten ein Nichtschwimmerbecken und eine 25- oder 50-Meter-Bahn, vielleicht noch eine Sprunganlage. Dafür wurden neue Hallen gebaut, die sich im Westen Berlins an den Bäderbaurichtlinien des Deutschen Schwimmverbands orientierten und im Osten den Beschlüssen des IX. SED-Parteitags „zur weiteren Verbesserung der Bedingungen für die sportliche Betätigung der Bürger“ folgten. Es waren dies eher spartanisch ausgestattete und spärlich beheizte Standard-Schwimmhallen. Denn wer mit kräftigen Zügen durchs Wasser pflügt, der friert so schnell nicht. Vorher und nachher bitte gründlich heiß duschen!
Der pädagogische Impetus des Badens aus volksgesundheitlichen Gründen wurde noch nach der Wende gesetzlich verankert. Bis heute müssen die Berliner Bäderbetriebe den Schulen, Kitas und förderungswürdigen Sportvereinen für deren Zwecke unentgeltlich zur Verfügung stehen. Auch das trägt dazu bei, dass das Unternehmen finanziell und personell chronisch überfordert ist. Und auch deshalb sind freizeitorientierte Bäder mit Wasserrutschen, Saunen und Gastronomie in Berlin die Ausnahme von der Regel. Zu ihnen gehören die beliebten Hallen in Schöneberg und am Spreewaldplatz. Wie schwer es der Stadt schon früher fiel, das Badevergnügen als Selbstzweck zu etablieren, zeigen wiederum Beispiele aus der Vergangenheit. So entstand in Ost-Berlin, an der Landsberger Allee, noch zu DDR-Zeiten das Sport- und Erholungszentrum (SEZ). Es folgte im Westen, in Neukölln, das private „Berliner Luft- und Badeparadies“. Seit der Schließung 2005 ist das „Blub“ eine Bauruine und das 2003 privatisierte SEZ steht vor dem Abriss. Beide Projekte scheiterten an Betreibern, die nur Gewinne abschöpfen, aber nicht nachhaltig investieren wollten.
Es geht um eine neue Philosophie des Badens
Jetzt scheint sich das Blatt nach jahrelangen Debatten zu wenden. Am Mittwoch, 18. Februar, wird das Bäderkonzept im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses, der für Berlins Finanzen zuständig ist, beraten. Am darauf folgenden Donnerstag ist es Gegenstand einer aktuellen Stunde im Plenum. Es geht um viel Geld. Und dieses Mal geht es auch nicht nur um Sanierungsprogramme, sondern vielmehr um eine neue Philosophie des Badens. Denn für den neuen Typus des Multifunktionsbads werden, neben Pankow und Mariendorf, langfristig noch weitere Standorte in Betracht gezogen: in Nachbarschaft zum Tierpark in Friedrichsfelde, im Charlottenburger Olympiapark und in City-Lage.
Ob und wann diese zusätzlichen Highlights eines stärker hedonistisch orientierten Badebetriebs gebaut werden, ist völlig offen. Berlins oberster Bademeister Hensing ist nun trotzdem zufrieden in den Urlaub gefahren, weil seine Ideen in der rot-schwarzen Koalition endlich Gehör gefunden haben. „Öffentliche Daseinsvorsorge darf auch Lust und Freude machen“, sagt er. Und für die inzwischen „relativ anspruchsvollen Eintrittspreise“ (zwischen 3,50 und 9 Euro) wollten die Bürger auch einen entsprechenden Gegenwert erhalten. Jene Bevölkerungsschichten sollen künftig besser angesprochen werden, die einfach nur den Tag in einem schönen Freizeitbad verbringen wollen – eine Mehrheit, glaubt man der Umfrage der Bäderbetriebe, vor allem Familien mit Kindern und Senioren. Bisher müssen sie dafür nach Brandenburg reisen, wo es zwischen Uckermark und Lausitz mehr als ein Dutzend „Erlebnisbäder“ gibt, mit denen das Nachbarland offensiv wirbt. Offizieller Slogan: „Wasserspaß für Groß und Klein“.
In Berlin geht es, wie bereits gesagt, nicht so spritzig zu. Das hat auch damit zu tun, dass die west-östliche Bäderlandschaft nach dem Mauerfall noch einige Jahre von den Berliner Bezirken gemanagt wurde, die mit dieser Aufgabe nicht nur finanziell überfordert waren. Erst 1996 wurden die Bäderbetriebe gegründet, das größte Unternehmen dieser Art in Europa. Damals war Berlin fast pleite, es gab kein Geld für die nötige Grundsanierung der meisten Bäder und die öffentlichen Zuschüsse für den laufenden Betrieb sanken von 79 Millionen Euro (1995) auf 37 Millionen Euro (2006). Elf Bäder wurden geschlossen.
Investitionsstau: 123 Millionen Euro
Inzwischen wurde der jährliche Zuschuss wieder auf 45 Millionen Euro erhöht, und seit 2008 gibt es auch ein Bädersanierungsprogramm mit einem Volumen von fast 78 Millionen Euro. Geld für neue Bäder gab es bisher nicht, der Investitionsstau des Altbestands wird im Bäderkonzept noch immer auf 123 Millionen Euro geschätzt. Die jetzt geplanten Neubauten mit moderner Technik und hohen energetischen Standards sollen deshalb nicht nur den Badespaß erhöhen, sondern auch die Wirtschaftlichkeit der Bäderbetriebe.
Momentan ist Ole Bested Hensing Herr über insgesamt 33 Schwimmhallen ohne Außenbereich, 25 Frei- und Sommerbäder sowie vier Kombibäder, die sowohl Außen- als auch Innenbecken haben. Das Problem des Bäderchefs ist: Es fehlt nach wie vor Geld, um den laufenden Betrieb auf vernünftigem Niveau dauerhaft aufrechtzuerhalten, Sport- und Vereinsschwimmer beschweren sich immer wieder. Das neue Tarifsystem, das 2014 eingeführt wurde, um die Besucherströme gleichmäßiger auf die Öffnungszeiten der Bäder zu verteilen, hat sich nach Meinung des Senats zwar „im Kern bewährt“. Trotzdem gibt es Kritik an zu hohen Ticketpreisen vor allem in Bädern mit höherem Freizeitwert. Und dann fiel auch noch der Sommer 2014 wechselhaft aus, sodass weniger Besucher in die Freibäder kamen als im Vorjahr. Nur die Hallenbäder konnten ihr Publikum halten.
Mit dem neuen Bäderkonzept soll angeblich vieles besser werden. Kein Bad wird geschlossen, und die Multifu-Neubauten sollen das Publikum massenhaft anziehen. Natürlich wird auch die neue Badephilosophie viel Geld kosten – aber sie macht Hoffnung und bringt Spaß. Auch wegen des hübschen Satzes im Senatskonzept: „Die schonende Bewegungsform im Wasser gewinnt einen immer höheren Stellenwert in der Gesellschaft.“ Das konnte Schiller leider nicht mehr hören. Er hätte vor lauter Vergnügen, obwohl schon 44-jährig, in seinen See bestimmt eine knallige Arschbombe gemacht.
Der vorliegende Text erschien erstmals gedruckt am 14. Februar 2015 in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin.