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In Berlin werden die Ufer nun für die Bewohner der Stadt geöffnet.
© Thilo Rückeis

Wohnen am Wasser: Berlin öffnet die Ufer für seine Bewohner

Wo früher an Spree und Havel Industriebrachen lagen, entstehen neue Städte und öffentliche Wege. Die Hauptstadt findet den Weg zurück ans Wasser.

Am frühen Morgen liegt der Nebel wie ein Schleier über dem Wasser. Enten quaken. Weit schweift der Blick von der Dachterrasse übers Herbstlaub der Uferbäume und die Rummelsburger Bucht bis zur Halbinsel Stralau. „In solchen Momenten“, sagt Camilla Schuler, „weiß ich, dass wir hier glücklich sind.“ Das sehen auch ihre Kinder Elisa (8) und Maximo (10) so. Kaum sind sie von der Schule daheim, toben sie sich mit Hovawart-Hündin Amy am Ufer aus. Im Sommer lag noch ihr Schlauchboot am Steg, für die Spritztour vor den Hausaufgaben. Die 41-jährige Eventmanagerin Camilla Schuler lebt mit ihrer Familie seit 2006 in einem Reihenhaus mit Atelierfenstern an der Lichtenberger Seite der Rummelsburger Bucht.

Seither erlebt sie vor ihrer Tür, wie die Berliner die Wasserseite ihrer Stadt mehr und mehr entdecken. Drüben, auf der Halbinsel Stralau, scheinen täglich neue Nachbarn hinzuzukommen. Rund 2000 Wohnungen wurden bereits in Neu- oder Altbauten geschaffen, weitere 600 sind im Bau oder gerade bezugsfertig – in Townhouses oder in den sanierten Backsteingebäuden aus Stralaus Industrievergangenheit wie der Engelhardt-Brauerei oder dem Palmkernölspeicher einer früheren Pflanzenölfabrik.

Citynah oder verkehrsmäßig gut angebunden zur Stadt am Wasser wohnen, arbeiten und die Freizeit genießen – dieser Trend spornt den Senat, die Bezirke, Gastronomen und Investoren an. Entsprechend gibt es viel Neues von Berlins Wasserseite zu vermelden: Im Südosten entstehen gleich zwei neue Wasserstädte an der Spree in Industriedenkmälern. In Spindlersfeld gegenüber Alt-Köpenick sollen in den Gebäuden der Spindlerschen Großwäscherei bis 2015 rund 850 Wohnungen geschaffen werden. Auf einer Halbinsel spreeaufwärts Richtung Friedrichshagen geht der Umbau der 1923 errichteten Kodak-Filmwerke zur „Glanzfabrik“ in die Endphase. Die Hälfte der 230 Wohnungen in Klinkerbauten, in denen einst Stars wie die Dietrich abgelichtet wurden, seien für durchschnittlich 3200 Euro pro Quadratmeter verkauft, teilt Projektentwickler Estavis mit.

Zentral am Friedrichshainer Spreeufer, im Westen des Baugebietes an der O2-Arena, war am Mittwoch, wie berichtet, der erste Spatenstich für ein Büroprojekt mit Spreeblick. Hier entsteht die neue Mercedes-Vertriebszentrale. Gegenüber, auf der Kreuzberger Seite, gibt es gleichfalls jede Menge Wasserpläne. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) zählt an der Köpenicker Straße Brachen oder Gewerbeareale auf, wo weitere Neubauten vorgesehen sind – das Behala-Gelände an der Schillingbrücke, die Alte Heeresbäckerei, der Betriebshof der Umzugsfirma Zapf. Dort will Schulz durch Auflagen für die Bauherren auch erreichen, dass Wohnen am Wasser zumindest in Kreuzberg teilweise erschwinglich bleibt.

Glück an der Bucht. Mark und Camilla Schuler mit den Kindern Elisa und Maximo und Hündin Amy auf der Dachterrasse ihres Hauses an der Rummelsburger Bucht. Am gegenüberliegenden Ufer liegt die Halbinsel Stralau.
Glück an der Bucht. Mark und Camilla Schuler mit den Kindern Elisa und Maximo und Hündin Amy auf der Dachterrasse ihres Hauses an der Rummelsburger Bucht. Am gegenüberliegenden Ufer liegt die Halbinsel Stralau.
© Thilo Rückeis

Ins Schwärmen gerät der Bürgermeister, wenn er von seinem Lieblingsprojekt erzählt: Die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte wollen bis 2013 einen Spreeuferweg bauen, auf dem man zwischen der Jannowitzbrücke und dem Schleusenufer am Arena-Badeschiff durchgehend entlangspazieren kann – teils auf Stegen, teils auf dem Land. Die erste Etappe zwischen Schillingbrücke und Schlesischem Tor soll Ende 2012 fertig sein mit „einem Highlight“ am May-Ayim-Ufer vor der Oberbaumbrücke. Das „Rio Grande“- Restaurant in den Katakomben der 2010 aufpolierten historischen Kaianlage soll Terrassen und einen Anleger erhalten, die in den Fluss hinausragen. „Dort kann man dann einen traumhaften Sonnenuntergang über der Spree erleben,“ sagt Schulz.

Lesen Sie auf Seite zwei, wo Spandau weitere Wasserstädte plant.

In Mitte blickt Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) in puncto Wasser vor allem zum Humboldthafen und zum Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal. Am Hafen hat das Land auf dem Gelände der bisherigen „Sandstation“ gerade zwei Baugrundstücke zum Kauf ausgeschrieben. Am Kanal entsteht seit Sommer 2010 die „Europacity“ für 2000 Bewohner. Spandau plant weitere Wasserstädte an der Oberhavel bei Eiswerder und auf dem Gelände des Kraftwerks Oberhavel. Und in Reinickendorf setzt man aufs „Aus“ des Flughafens Tegel. Das mache den Tegeler See noch attraktiver, heißt es. Die Greenwich-Promenade wurde neu gestaltet, nun erhält sie noch eine Marina. Auch sollen ab 2012 auf der Insel im Tegeler Hafen und an der „Sechserbrücke“ zwei Siedlungen entstehen. Dazu gehören 16 schwimmende Häuser, auf die man im Rathaus stolz ist. Erstmals gelinge es in Berlin, „Floating Houses“ zu verwirklichen.

Am Wasser ist in der Stadt kein Vorbeikommen, sieben Prozent ihrer Flächen sind nass. Doch bis zum Mauerfall lebte und erholte man sich nur an den plätschernden Klassikern wie Müggelspree oder Wannsee, in der Innenstadt kehrte Berlin dem Wasser die Kehrseite zu. Die Spree war hinter Gleisanlagen und Fabrikhöfen verborgen, teils verlief die Grenze mitten im Fluss. Erst nach der Wende begann die Hinwendung zum Wasser, beschleunigt ab 2002 durch die Projekte im Osthafen wie den Universal-Speicher und die Label-Modezentren – auf Kurs gebracht durch die Strandbars und Trendsetter wie das „Radialsystem“ im einstigen Pumpwerk am Ostbahnhof.

An der Rummelsburger Bucht sind an den letzten schönen Herbsttagen die Spaziergänger, Radler und Jogger auf dem neu angelegten Uferweg rund um Stralau noch in Scharen unterwegs. Auf dem Wasser ist das gut funktionierende Durcheinander von Sportbooten, Ausflugsdampfern und Frachtern kein bisschen ruhiger geworden. Am nahen Osthafen relaxen die Leute eingemummelt auf Caféterrassen. Von Großstadthektik und schlechter Laune keine Spur. „Das Wasser ist eben ungemein beruhigend oder es regt an“, sagt der FU-Professor für Biopsychologie Peter Walschburger. Wellenschlag, ein glitzernder Fluss weckten im Menschen archaische Gefühle. „Das gehört zu den Lebensbedingungen, an die wir uns in Jahrtausenden angepasst haben.“ Damit man den Zauber des Wassers weiterhin ungehindert erleben kann, wollen sich Senat und Bezirke bei allen künftigen Bauvorhaben an den Grundsatz halten: „Die Ufer müssen öffentlichen zugänglich bleiben.“

Camilla Schuler hat in ihrem Haus am Rummelsburger Ufer damit keine Probleme. Sie brauche keinen Privatgarten bis zum Wasser, sagt sie. „Der Uferweg für alle ist viel bunter und interessanter.“

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