Alle Wände voll zu tun: Berlin Mural Fest bringt Farbe in den Osten
In diesem Jahr konzentrieren sich die Graffitikünstler auf riesige Plattenbau-Fassaden in Marzahn-Hellersdorf - und lenken den Blick auf den Rand der Stadt.
Andre Morgner steht auf einer wackeligen Plattform in rund 20 Metern Höhe, zu seinen Füßen liegt Hellersdorf. Hinter ihm, an der pastellgelben Fassade eines Plattenbaus in der Ludwigsfelder Straße, steht in großen, runden Lettern „Boogie Down Berlin“, blau und weiß auf rotgestreiftem Grund.
„Boogie“, das ist Morgners Künstlername. „Boogie Down Berlin“, so hieß die legendäre Radiosendung, die der damals 17-jährige Hiphop-DJ Tomekk 1993 bei Kiss FM moderierte. „Boogie Down Berlin“, das soll auch Morgners persönliche Hommage sein: An Berlin als offene, vielfältige Weltstadt und an die Hiphop-Kultur.
An den Plattenbauten rechts und links von Morgners Werk sind in den vergangenen Tagen weitere sogenannte Murals, wie die Fassadenbilder international genannt werden, entstanden. Der französische Streetart-Künstler Victor Ash, bekannt für das Bild des Astronauten an einer Fassade in der Kreuzberger Oranienstraße, hat das überlebensgroße Gesicht eines Raumfahrers hinterlassen.
Die deutsche Graffitikünstlerin Claudia Walde, alias MadC, tauchte eine Wand in abstrakte, bunte Farbmuster.
Die Murals in Hellersdorf sind Teil des zweiten Berlin Mural Fests, mit dem die Künstlercrew Die Dixons mehr Farbe in die Stadt bringen will. Unter dem Motto „Das Ende der Grauzone“ konzentriert sich die diesjährige Ausgabe auf sieben Wände in Marzahn-Hellersdorf, drei weitere Murals wurden an Kreuzberger Hauswände gepinselt.
Plattenbauten bieten aufgrund ihrer Größe mehr künstlerische Fläche
Der Vorteil an den Flächen im Osten: Die Höhe der Fassaden. „Normalerweise hast du in Berlin maximal 20 Meter Wand“, sagt Kimo von den Dixons. Die Plattenbauten sind fast doppelt so hoch. „Wenn du um die Ecke biegst und da kommt dann so ein 40-Meter-Wandgemälde auf dich zu, das ist natürlich ziemlich geil.“
In diesem Jahr wollten sie ohnehin den Wirkungskreis des Festivals erweitern, ergänzt Crew-Kollege Jörn. Bei den Planungen hätten sie überlegt, wo es die besten Standorte mit Platz zum Arbeiten und guter Sichtbarkeit gibt – und seien bei den Plattenbauten gelandet. „Jetzt sind das natürlich Riesendinger“, sagt Jörn über die entstandenen Kunstwerke.
In der Größe und Anzahl, wie sie beim Berlin Mural Fest gemalt werden, gebe es das international sonst kaum woanders.
Das Event soll den Blick auf Teile der Stadt lenken, die normalerweise oft aus dem Fokus der Gesellschaft geraten. „Urban Art sollte nicht nur in Friedrichshain und Kreuzberg stattfinden“, findet Kimo. Gerade in Nachbarschaften wie jener in Hellersdorf sei der Effekt der Murals auch größer. Hier wachsen Plattenbausiedlungen wie eine Stadt in der Stadt rund um eine Grundschule, einen Supermarkt und ein paar weitere Geschäfte in die Höhe.
Es sei bemerkenswert, sagt Jörn, „wie die Murals so einen Standort, eine Ecksituation oder einfach die Ansicht von so einem riesigen, unattraktiven Betonklopper verändern, wenn der Giebel bunt gestaltet ist“.
„Das Beste, was einem passieren kann“
Graffitikünstler Andre Morgner kann von seiner Hebebühne aus bei klarem Wetter in der Ferne den Fernsehturm sehen. Viel näher, nur 200 Meter entfernt, beginnt Brandenburg. Die Innenstadt wirkt von hier aus ziemlich weit weg. Während der Arbeit winken ihm Kinder der benachbarten Schule zu, Nachbarn bringen Eis vorbei.
„Mir geht es darum, dass Leute, die mit Graffiti nichts zu tun haben und vielleicht auch das erste Mal sehen, wie so etwas entsteht, die Murals als etwas Positives wahrnehmen“, sagt Borgner. „Und wenn dann die Kids ankommen und sagen, boah, das fetzt voll, das ist doch eigentlich das Beste, was einem passieren kann.“
Für das Berlin Mural Fest hat der 42-Jährige andere Aufträge abgesagt. „Es ist eine Ehre, dabei sein zu dürfen, gerade weil Berlin ja auch so etwas wie Europas Graffiti-Hauptstadt ist.“ Seit 25 Jahren sprayt er, seit zehn Jahren lebt der gelernte Grafiker und Illustrator fast ausschließlich von seiner Kunst.
An der Hellersdorfer Wand kann er sich auf 33 mal 12 Meter richtig austoben. Die enorme Größe stellt ihn aber auch vor Herausforderungen: Da sei einerseits die Schwierigkeit, die Proportionen exakt auf die Fassade zu bringen. „Und du musst auch einfach wissen, wie du vorgehst, wenn das B fünf Meter hoch ist und du auf der wackeligen Hebebühne die Linie trotzdem gerade ziehen willst.“
Eröffnet wird das Berlin Mural Fest am 7. und 8. September mit Night Walks, also Nachtwanderungen, bei dem die zehn neuen Murals und einige Arbeiten aus dem vergangenen Jahr mit Lichtern in Szene gesetzt und zum Teil mit interaktiven Projektionen ergänzt werden.
Gleichzeitig wird auch die begleitende Berlin Mural-App neu gelauncht, die umfangreiche Zusatzinfos und Features zu den einzelnen Bildern liefert – aber nur, wenn man sich direkt vor dem jeweiligen Wandbild befindet. Könnte gut sein, glaubt Kimo und grinst, dass „Marzahn-Hellersdorf demnächst ziemlich voll wird“.
Weitere Infos: www.berlinmuralfest.de