Für 2,14 Milliarden Euro: Berlin kauft Stromnetz von Vattenfall zurück
Das Berliner Stromnetz wird 20 Jahre nach der Privatisierung wieder verstaatlicht. Der schwedische Energiekonzern hatte den Verkauf Ende Oktober angeboten.
Das Land Berlin zahlt 2,14 Milliarden Euro für das Stromnetz an Vattenfall. Der Preis liegt damit unterhalb der Schätzungen, die von 2,2 bis 2,4 Milliarden Euro reichten. Nachdem sich der Senat am Dienstag mit einer entsprechenden Vorlage von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) befasst hatte, erläuterte dieser Details des Deals.
Die Finanzierung werde „außerhalb des Haushalts“ stattfinden, derzeit befinde man sich mit einem Bankenkonsortium, zu dem auch die landeseigene IBB gehöre, in Gesprächen. Kollatz zufolge wird das Land den Großteil der Kreditsumme, Kollatz sprach von 1,8 Milliarden Euro, verbürgen müssen.
Der Kaufpreis soll langfristig aus dem Profit des Netzes gezahlt werden. Kollatz sprach von einem kleineren dreistelligen Millionenbetrag, der künftig nicht mehr bei Vattenfall in Stockholm lande, sondern in Berlin bleibe. Der Senator ist optimistisch, denn die Renditen der Energienetze sind unter Druck. Was sich auch im Kaufpreis widerspiegelt.
Netze sind weniger wert
Grundsätzlich ist der Wert der Energienetze wegen der niedrigen Zinsen rückläufig: Die Bundesnetzagentur reguliert den Netzbetrieb und gibt den Netzbetreibern vor, welche Gebühren sie von den Nutzern des Netzes verlangen dürfen.
Und da überall die Verzinsung niedrig ist, bekommen auch die Netzbetreiber weniger Rendite von der Regulierungsbehörde zugestanden. Das zeigt sich am Gewinn der Stromnetz Berlin GmbH die für das vergangenen Jahr nur noch einen Profit von knapp 90 Millionen Euro an die Stockholmer Mutter überwies. In den Jahren zuvor waren es in der Regel rund 100 Millionen Euro gewesen.
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Im vergangenen Oktober hatte der schwedische Staatskonzern Vattenfall den Senat überraschend über seine Verkaufsabsichten informiert.
Für die Berliner Politiker ein Glücksfall, denn im Streit um die Netzkonzessionen hatte sich der Senat verlaufen: Sowohl die Berechtigung für den Betrieb des Gasnetzes als auch für den des Stromnetzes hatte die Vergabestelle der landeseigenen Gesellschaft Berlin Energie zugeschlagen. Vattenfall wehrte sich dagegen vor Gericht, war des jahrelangen Streits aber überdrüssig und bot deshalb das Stromnetz zum Verkauf an.
Gasag gewann gegen den Senat
Die Gasag dagegen siegte Anfang März spektakulär vor dem Bundesgerichtshof, der dem Senat auftrug, die Konzession für das Gasnetz an die Gasag zu vergeben. Nach dieser bitteren Niederlage reagierte Finanzsenator Kollatz: Er lud die Gasag-Aktionäre (Eon, Vattenfall und Engie) zum Gespräch und kündigte gleichzeitig ein neues Konzessionsverfahren an für das Gasnetz.
Über allem schwebt das Ziel des Senats, die Energienetze, die ebenso wie die Gas- und Stromversorgungsunternehmen Gasag und Bewag vor rund zwei Jahrzehnten privatisiert worden waren, zu verstaatlichen. Wenn das Abgeordnetenhaus zustimmt, gehört das Stromnetz ab Juli wieder dem Land Berlin.
Die Gasag wiederum möchte der rot-rot-grüne Senat komplett übernehmen. Gespräche darüber hat Kollatz bereits vor einigen Jahren geführt. Damals waren die Gasag-Aktionäre zerstritten und nicht zu einem abgestimmten Vorgehen bereit. Das ist heute anders.
Verkaufsbereitschaft sei durchaus vorhanden, heißt es über Eon, Vattenfall und die französische Engie. Allerdings traut man dem Senat ein komplexes Geschäft in der Größenordnung von gut einer Milliarde Euro in den wenigen Monaten bis zur Wahl nicht zu.
Wiedervorlage 2022
Das Spiel um die institutionelle Struktur der Berliner Energiepolitik setzt sich also 2022 fort: Was kommt alles unter das Dach einer Berliner Energieholding und wer macht was? Das Stromnetz und das Stadtwerk, dazu die Energieagentur und die Berlin Energie sind bereits da.
Und wenn das Land die Gasag nicht komplett übernimmt, wird sich der Senat beim nächsten Konzessionsverfahren in wenige Jahren möglicherweise schlauer anstellen und mit großer Wahrscheinlichkeit das Gasnetz bekommen.
Kollatz freute sich am Dienstag über die Stromnetz-Transaktion. „Das Vermögen der Bevölkerung von Berlin wird insgesamt erhöht“, dem Netz komme „eine Schlüsselfunktion für die Energiewende“ zur. Kritik gab es von der Opposition und der Wirtschaft.
Auch „ein kommunaler Netzbetreiber unterliegt dem strengen Regulierungsregime für solche Infrastrukturen“, kommentierte die IHK. Wenn der Senat 2,14 Milliarden Euro ausgebe, „fehlt das Geld für echte Klimaschutzinvestitionen, wie beispielsweise die energetische Sanierung des öffentlichen Gebäudebestandes“.