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Mehr testen: Ein Schild vor einem Elektronikmarkt am Alexanderplatz.
© Fabian Sommer/dpa

Ohne Schein kein Shopping: Berlin kämpft noch mit der Testpflicht im Handel

Seit Mittwoch müssen Kunden beim Shoppen negative Corona-Tests vorweisen. In der Praxis zeigt sich, dass die neue Verordnung des Senats ihre Tücken hat.

Die Mitarbeiterinnen des Friseursalons in der Elberfelder Straße haben ein handgeschriebenes Schild vor der Tür aufgestellt. „Stop“ steht da. „Liebe Kunden“, Zutritt nur mit negativem Corona-Test. Auch die Geimpften, bitte. Und damit die Leute ihren Ärger über die vielen Ungewissheiten nicht am Personal auslassen, steht da auch: „Bedanken und Aufregen können Sie sich gerne bei unserer Regierung!“ Aufregen groß, Regierung in Rot.

Aufforderung und Entschuldigung: Hier nur mit Test. Links die Bank für Selbsttests vorm Friseursalon, ein Platz ist abgesperrt.
Aufforderung und Entschuldigung: Hier nur mit Test. Links die Bank für Selbsttests vorm Friseursalon, ein Platz ist abgesperrt.
© Ingrid Müller

Beim Friseur in Moabit haben sie sich durch den Paragrafen 18 der Berliner Corona-Verordnung gewühlt, der die Dienstleistungen regelt, und die Paragrafen 6a und 6b zur Testpflicht. Als Test erkennen sie ein Zertifikat von einer Teststation oder einer Apotheke an, das nicht älter als 24 Stunden sein dürfe, sagt eine Mitarbeiterin kurz an der Tür, auch auf dem Handy. Sie und die Kollegin testen und überprüfen sich gegenseitig, sagt sie, die Schere in der Hand. Sie haben versucht, alles richtig zu machen.

Das konnte eigentlich nicht gelingen, denn am Mittwoch, dem ersten Tag für die neue Testpflicht beim Shoppen, beim Friseur oder beim Besuch von Museen und Galerien, war noch immer vieles vage. Fest stand das: Wer einen Laden aufsuchen will, der nicht zur Grundversorgung gehört, muss ab sofort ein negatives Testergebnis vorweisen. Ein PCR-Test darf bis zu 24 Stunden alt sein, ein Schnelltest muss aber vom selben Tag stammen – hier irrte die Friseurin.

Auch Selbsttests unter Aufsicht des Personals sind erlaubt, wie aber die vorgeschriebene Schulung aussehen muss, ist noch unklar. Kund:innen haben dann auch einen Anspruch auf eine Bescheinigung, mit der sie weitere Geschäfte besuchen können. Wie aber Verkäufer:innen am Einlass echte von gefälschten Bescheinigungen unterscheiden sollen, war am ersten Tag der Verordnung noch ungewiss.

Die Verwirrung perfekt machte die Senatskanzlei in der Nacht zu Mittwoch – und stellte eine falsche Version ins Internet. Ausgerechnet die Regeln zu Selbsttests und den Bescheinigungen waren hier anders gefasst. Am Vormittag war der Fehler behoben. Ein Sprecher bat um Entschuldigung. Seit Pandemiebeginn seien 41 Versionen der Verordnung veröffentlicht worden. „Dies ist das erste Mal, dass die Fassungen inhaltlich voneinander abgewichen sind.“

CDU: Senat soll Tests „zum Selbstkostenpreis“ abgeben

Die CDU kritisierte die hastige Einführung der Testpflicht scharf und warf dem Senat „handwerkliches Unvermögen“ vor. Gerade in den Außenbezirken gebe es zu wenig Testmöglichkeiten, sagte der Berliner CDU–Chef Kai Wegner. Firmen hätten Schwierigkeiten, genügend Tests zu beschaffen, um ihren Mitarbeiter:innen zweimal wöchentlich ein Angebot zu machen. Der Senat solle einen Teil seiner zehn Millionen Schnelltests „zum Selbstkostenpreis“ an Firmen abgeben, forderte Wegner.

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Von „schier unlösbaren Problemen“ für Beschäftigte und Kundschaft sprach die Handwerkskammer. Die Regeln seien zu kurzfristig gekommen und kaum erfüllbar.

Insgesamt waren die Geschäfte an diesem sonnigen Tag eher leer. Im Fachhandel seien sehr wenige Kund:innen unterwegs, teilte der Handelsverband mit. Manche müssten abgewiesen werden, weil sie nur OP- statt FFP2-Masken dabei hätten. Schlangen bildeten sich vor Testzentren. Auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain standen am Vormittag rund 100 Leute an. „Wie früher, wenn man zu Madame Tussauds in London wollte“, berichtete eine Augenzeugin.

Am Ende dieser Schlange müsste eine Teststelle liegen - der Gehweg am RAW-Gelände am Mittwoch.
Am Ende dieser Schlange müsste eine Teststelle liegen - der Gehweg am RAW-Gelände am Mittwoch.
© privat

Warten musste auch, wer sich bei der Bong-Apotheke in der Wilmersdorfer Straße testen lassen wollte. Termine seien bereits für mehrere Tage im Voraus ausgebucht, sagte Inhaber Tarik El-Dessouki. Die Nachfrage sei seit dem Bekanntwerden der Testpflicht hoch. Die Apotheke ist praktisch gelegen: mitten auf der Einkaufsmeile.

Kein Test, aber hilfreiches Personal an der Ladentür

Ein paar Meter weiter wartete am Mittag Susanne Brauchler vor der Tür eines Schuhhändlers. Drinnen war sie nicht, denn die 38-Jährige hatte kein negatives Testergebnis dabei. Doch sie stieß auf hilfreiches Personal. „Ich habe gesagt, ich brauche Kinderschuhe, in einer bestimmten Größe“, erzählte Brauchler. Nun würden ihr die Schuhe an die Tür gebracht. „Es ist eine Katastrophe“, kommentierte sie die neuen Regeln. „Es ist so schwierig, wenn man schnell mal was braucht.“

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Die Abläufe waren an diesem Tag von Laden zu Laden unterschiedlich. Einigen reichte der reine Befund des Tests, andere verlangten eine zusätzliche Bescheinigung, wieder andere akzeptierten auch einen mitgebrachten Selbsttest unter Aufsicht an der Ladentür - und stellten ihrerseits einen Nachweis darüber aus. Ob die Einzelhändler selbst Tests anbieten werden, war oft noch unklar. Vielen scheint der Aufwand zu hoch, medizinisches Personal für Schnelltests zu beschäftigen - wenn nicht der Laden ohnehin zu klein ist.

In Moabit dürfen ältere Damen an diesem Mittwoch noch zum Selbsttest auf der Holzbank vorm Salon Platz nehmen. „Dauert 15 Minuten“, sagt die Mitarbeiterin und blinzelt in die Sonne. „Nächste Woche werden wir das aber nicht mehr hinkriegen.“ (mit dpa)

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