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So groß und gar nicht so voll wie gedacht: Berlins Innenstadt verliert an Bevölkerung.
© dpa

Schrumpfende Kieze: Berlin: Innenstadt verliert an Bevölkerung

Trotz aller Unkenrufe: In manchen Innenstadtgebieten von Berlin leben immer weniger Menschen. Sogar Kreuzberg hat heute weniger Einwohner als 1993. Und das nicht nur, weil Wohnraum für Normalverdiener fehlt.

Beton muss fließen, die verbliebenen Brachen gehören bebaut – auch der Mauerpark, denn Berlin platzt aus allen Nähten. Bausenator Andreas Geisel (SPD) hat dieses Bekenntnis gerade tatkräftig erneuert. Doch ist es wirklich enger geworden in der Stadt? Oder knüpft Berlin erst jetzt wieder an die Nachwendezeit an? Die Wahrheit ist: In vielen Stadtteilen im Osten und Westen der Stadt leben heute weniger Menschen als noch im Jahr 1993 – die Quartiere sind geschrumpft.

Weniger Menschen als vor gut 20 Jahren leben heute in Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf, geschrumpft sind außerdem auch Schöneberg, Wilmersdorf und Charlottenburg. Und Achtung, sogar in Kreuzberg tummeln sich heute weniger Kiezläufer als noch 1993 – verloren hat allein das Szenequartier 5000 Bewohner. Soll noch einer sagen, es ist kein Platz mehr für die vielen Neuberliner.

Häuslebauer zogen nach der Wende ins Umland

Für Frank Gödicke, Herr der Zahlen im Landesamt für Statistik, ist das keine Überraschung: „Berlin hat nach der Wende an Bevölkerung verloren“. Viele seien ins Umland abgewandert, wo die Gemeinden prosperierten: Kleinmachnow hinter Zehlendorf oder auch Teltow, der „Vorort“ von Lichterfelde. Damals wollte jeder sein Eigenheim, und weil der Staat üppige Subventionen beisteuerte, blühten die Landschaften.

Berlin dagegen schrumpfte in dieser Zeit, fast ein Jahrzehnt lang. Die Wende bei der Bevölkerungszahl kam erst Mitte der 2000er Jahre, sagt Gödicke – und „richtig stark wächst Berlin erst in den letzten fünf Jahren“. Ja, sicher, zählt man die Bevölkerung der Gewinner- und Verlierer-Quartiere zusammen, ergibt sich auch für diesen Zeitraum für ganz Berlin ein Plus von rund 100.000 Menschen.

Aber gemessen an dem gewaltigen Zeitraum, an der Größe Berlins sowie an der Zahl der seitdem errichteten Wohnungen, gibt es heute nicht weniger Raum fürs Wohnen in Berlin, sondern mehr.

Gewachsen ist auch die Wohnungsgröße

Jedenfalls für den Teil der Berliner, die ordentlich verdienen. Sie sind Doppelverdiener, bestenfalls mit einem Kind und leben etwa in Schöneberg in großen Altbauwohnungen „in denen sich meine Mutter verlaufen hätte“, sagt Sibyll Klotz (Grüne). Die Stadträtin für Stadtentwicklung in Tempelhof-Schöneberg sagt, die durchschnittliche Wohnungsgröße sei „extrem gewachsen“ und liege bei fast 50 Quadratmeter pro Kopf. Hinzu komme noch die überdurchschnittliche Eigentumsquote: Etwa jede vierte Wohnung gehöre den Bewohnern selbst.

Einige hätten hochherrschaftliche Wohnungen kurz nach der Wende „für’n Appel und ’n Ei“ gekauft. Und auch heute noch kauft, wer es sich leisten kann, eine Wohnung im Kiez. Schöneberg liegt eben innerhalb des Stadtrings und der Markt folgt dort derselben Gesetzmäßigkeit wie in Mitte, Kreuzberg oder Wilmersdorf: Spekulanten machen das Geschäft, wandeln Wohnungen um die Wette um in Eigentum.

Deshalb sei die simple Gleichung des Bausenators – überall bauen zu jedem Preis – auch so grundlegend falsch: „Uns fehlen Wohnungen für Menschen mit geringen Einkünften“, sagt Klotz. Alle redeten über die wachsende Stadt, aber niemand mehr über die soziale.

Wohnungsnot herrscht nur für Geringverdiener

Das erklärt auch den Groll der Aktivisten am Mauerpark: Nur ein Teil der Wohnungen wird es dort für „erschwingliche“ 6,50 Euro je Quadratmeter und Monat geben. Auf dem Wilmersdorfer Güterbahnhof, der zu Schöneberg gehört, sind es immerhin ein Viertel – und das ist berlinweit Spitze.

Aber um die wahre Wohnungsnot zu bekämpfen, müsste das Verhältnis umgekehrt sein: Drei Viertel der neuen Wohnungen müssten zu günstigen Mieten an den Markt kommen. Denn „es gibt keine Wohnungsnot in Berlin“, sagt der Stadtsoziologe Andrej Holm, „jedenfalls nicht für diejenigen, die zehn Euro je Quadratmeter bezahlen können“. Pech nur, dass sehr viele das nicht können: Minijobber, Alleinerziehende, Krankenschwestern, ein Heer von Geringverdienern, dem es an 120.000 „leistbaren Wohnungen“ fehlt.

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