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Berlin sucht dringend einen Nutzer für die Villa von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.
© Imago

Riesen-Immobilie in Wandlitz am Bogensee: Berlin hat ein Problem mit der Goebbels-Villa

Seit 15 Jahren will Berlin die alte FDJ-Kaderschmiede bei Wandlitz verkaufen, wozu auch die Villa von Goebbels gehört. Doch das ist genau das Problem.

Es ist eine unendliche Geschichte. Seit 15 Jahren will Berlin eine riesige Immobilie am Bogensee verkaufen. Hier bildete die DDR einst ihren Kadernachwuchs aus. Doch davor nutzte Joseph Goebbels das idyllische Areal. Das mache einen Verkauf unmöglich, sagt das Land.

Roberto Müller kann kaum ertragen, was er seit Jahren beobachtet. Schon manches Mal wollte der 61-Jährige deshalb seinen Job als Hausmeister hinschmeißen. „Da fragt man sich doch nach dem Sinn. Wozu all die Arbeit und das ganze Herzblut hier reinstecken, wenn alles vermodert?“, sagt Müller ruhig. Seit 1984 arbeitet der gebürtige Thüringer mitten im brandenburgischen Wald am Bogensee an der damaligen Hochschule der Freien Deutschen Jugend (FDJ) der DDR. Sie war einst das FDJ-Renommierprojekt schlechthin. Jetzt verfällt sie.

Sowjets schenkten das Gelände der FDJ

Die ersten Seminare hielt die FDJ in den prachtvollen Räumen des ehemaligen Landhauses von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels ab. Sehr viel mehr existierte 1946 noch nicht, als die gerade gegründete FDJ das Gelände von den Sowjets geschenkt bekam. Die komfortable Villa mitten auf dem Grundstück war einst „die Keimzelle für die Jugendhochschule der FDJ“, heißt es in einem Exposé zum Gelände. Doch seit dem Jahr 2000 steht diese riesige Immobilie des Landes Berlin leer und vergammelt. Keiner will sie haben. 2015 scheiterte der dritte Versuch des Landes, sein geschichtsträchtiges Areal, das knapp 40 Kilometer nördlich der Stadt liegt, zu verkaufen.

An der FDJ-Hochschule, die den Namen des einzigen Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, trug, bildete die allmächtige DDR-Staatspartei SED ihren Kadernachwuchs aus. Rund 500 Studenten aus der ganzen Welt kamen pro Jahr an den Bogensee. Die imposanten Studiengebäude entwarf in den 50er Jahren der Architekt des Ost-Berliner Prachtboulevards Stalinallee, Hermann Henselmann. Das Ensemble wurde im selben Zuckerbäckerstil gebaut. Doch davon ist nach 15 Jahren Totentanz wenig übriggeblieben.

In dicken Placken blättern Putz und Farbe von den zartgelb gestrichenen Gebäuden ab. Frost und Regen setzten den nicht geheizten Häusern arg zu. Dächer und Balkone sind undicht. Wasser sickerte ein, verdarb das Parkett und ließ Wände schimmeln. Er mache hier so viele Arbeiten, die gar keiner sehe, erzählt der Allround-Handwerker Müller. Im Sommer sei er vor allem damit beschäftigt, die schöne Sichtachse vom Hauptgebäude zur rund 100 Meter entfernten Mensa freizuhalten. „So viel Wildwuchs hier. Die Natur erobert sich alles zurück. Ich bin der Don Quijote vom Bogensee.“

Wenn er einen Wunsch freihätte, „dann müssten hier ganz schnell viele Menschen einziehen und das Gelände wieder beleben“, sagt der Hausmeister. Nach dem Ende der DDR wurde die Kaderschmiede abgewickelt und der gemeinnützige „Internationale Bund für Sozialarbeit“ übernahm die Gebäude. Er bildete hier sozial benachteiligte Jugendliche in vielen Handwerken aus. Daneben wurden ein Tagungshotel und Restaurants betrieben. Dafür wurden die Zimmer renoviert, erhielten eigene Bäder. Doch Ende 1999 war Schluss.

"Wir können es nicht verkaufen - wegen der problematischen Geschichte"

Schon damals waren die Renovierungskosten für den Internationalen Bund auf Dauer nicht zu bezahlen. Jetzt findet sich kein Investor. Auch, weil Berlin sich umentschied. „Wir können es nicht verkaufen - wegen der problematischen Geschichte“, sagt Birgit Möhring, Geschäftsführerin der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), zuständig für die landeseigenen Grundstücke und Immobilien. Das liegt an der Goebbels-Villa. Sie steht mitten auf dem mehr als 16,8 Hektar großen Areal.

Teil des Angebots war auch das ehemalige Landhaus von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. 1936 hatte ihm die Stadt Berlin den See und ein Blockhaus zum Geschenk gemacht. Goebbels nutzte das Anwesen als Treffpunkt für seine Frauenbekanntschaften. Später ließ er einen neuen, großzügigeren Landsitz erbauen.
Teil des Angebots war auch das ehemalige Landhaus von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. 1936 hatte ihm die Stadt Berlin den See und ein Blockhaus zum Geschenk gemacht. Goebbels nutzte das Anwesen als Treffpunkt für seine Frauenbekanntschaften. Später ließ er einen neuen, großzügigeren Landsitz erbauen.
© Imago/Jürgen Ritter

1936 schenkte die Stadt Berlin ihrem Gauleiter ein Holzhaus am idyllischen Bogensee samt umliegendem Gelände. Der berüchtigte NS-Propagandaminister nutzte die abgelegene Hütte als Liebeslaube. Bald genügte sie seinen Ansprüchen nicht mehr. Nur drei Jahre später ließ sich Goebbels auf der gegenüberliegenden Seite des Sees eine komfortable weißverputzte Villa bauen, großzügig gesponsert vom Filmunternehmen UFA. „30 Privaträume, 40 Dienstzimmer, Garagen und ein Filmsaal für 2,3 Millionen Reichsmark“, wie der MDR 2014 berichtete. Besonders stolz sei Goebbels auf die drei großen, im Boden versenkbaren Panoramafenster in seinem Wohnzimmer gewesen - mit Blick auf den See. Die existieren noch.

Das Land Berlin befürchtet, dass Neonazis oder andere rechtsextreme Gruppen verdeckt das Gelände erwerben und eine Wallfahrtsstätte daraus machen könnten. „Unser Problem ist, dass wir bei einem Verkauf für maximal zehn Jahre die Nutzung festschreiben können“, schildert Möhring die Zwangslage. „Wir können nicht dauerhaft Einfluss nehmen, wer die Immobilie nutzt. Und da haben wir Bauchschmerzen.“

Die hatte die DDR nicht. Sie nutzte die Villa für ihre Zwecke. Später zogen in die Räume ein Kindergarten, ein Friseur und Läden ein. Das holzgetäfelte Wohnzimmer von Goebbels diente lange als Kneipe. Zeitweise wurde ein Teil seiner Privaträume samt dem bis heute erhaltenen Badezimmer an zahlungskräftige Gäste für einen Wochenendausflug vermietet, für 200 Mark immerhin.

Doch die Berliner Immobilienmanagement GmbH will das Gelände wegen der unter Denkmalschutz stehenden Goebbels-Villa jetzt nur noch in langfristiger Miet- oder Erbbaupacht vergeben. „Wir sind im Gespräch mit mehreren Interessenten.“ Mehr sagt die BIM-Geschäftsführerin nicht. Die Zeit drängt. Denn die Gebäude werden für potenzielle Investoren immer teurer in Sanierung und Umbau. Das zeigt sich besonders krass in dem einstigen Herzstück der Anlage, dem großen Lektionssaal des Hauptgebäudes.

"Hier studierten junge Leute aus der ganzen Welt"

Hier bröckelt der Putz von der Decke. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie uns Ihre Fotos von Berliner Ruinen an leserbilder@tagesspiegel.de. - Foto: Mathias Wasik
Hier bröckelt der Putz von der Decke. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie uns Ihre Fotos von Berliner Ruinen an leserbilder@tagesspiegel.de. - Foto: Mathias Wasik
© Mathias Wasik

Roberto Müller denkt gern an die früheren Zeiten der FDJ-Hochschule zurück. „Das war die schönste Zeit vom Flair her, hier war immer was los“, sagt er. „Hier studierten junge Leute aus der ganzen Welt, aus afrikanischen und arabischen Ländern, später auch aus dem westlichen Ausland, aus Skandinavien und auch aus der BRD.“ Voller Stolz verweist er auf die hohe technische Ausstattung, die weit über dem DDR-Standard lag.

So wurden Anfang der 80er Jahre über dem Saal mehr als ein Dutzend Dolmetscherkabinen eingebaut. Es entstand eine der größten Simultandolmetscheranlagen der DDR. In den Armlehnen der 525 Klappsessel im Saal fanden die Zuhörer die Anschlüsse für ihre Kopfhörer. 1981 wurde der Waldhof Bogensee deshalb als internationales Pressezentrum für den Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) bei DDR-Chef Erich Honecker genutzt.

Ein weiterer Beleg für die privilegierte Ausstattung waren Telefone in jedem Zimmer, ein Luxus in der DDR. Doch auch die Stasi profitierte davon. Nach der Wende wurde im Keller eines der Wohngebäude in der dortigen Telefonzentrale eine kleine Abhöranlage entdeckt. Eine der Leitungen soll direkt ins DDR-Innenministerium geführt haben, erzählt eine Mitarbeiterin der BIM.

Irreparable Schäden machen die Gebäude zu Ruinen

Heute ist der Lektionssaal zur „Kammer des Schreckens“ für Müller geworden. „Ich gehe nicht mehr gern her, weil die Schäden in der Ausstattung irreparabel sind“, sagt er. „Das tut weh.“ Das Parkett hat sich durch das hereintropfende Wasser an vielen Stellen angehoben und in Stolperfallen verwandelt. Die Klappsessel sind verzogen und ruiniert. Staub und bröselnder Putz bedecken alle Oberflächen. Die Technik aus den Dolmetscherkabinen ist abgebaut oder geklaut worden.

Seit 16 Jahren stehen die Gebäude leer. - Foto: Mathias Wasik
Seit 16 Jahren stehen die Gebäude leer. - Foto: Mathias Wasik
© Mathias Wasik

Überhaupt ist neben dem langen Leerstand Vandalismus das größte Problem, sagt Müller. Das riesige Areal im Wald ist nicht eingezäunt und für jeden zugänglich. Zwar schaut ein Wachschutz des Verwalters Woboge nach dem Rechten, aber nur temporär. Fensterscheiben wurden eingeschmissen und vieles gestohlen. Selbst seltene Pflanzen wie japanische Azaleen gruben die Leute aus den Grünanlagen aus.

Der riesige Sanierungsstau auf dem Gesamtareal bereite der BIM das größte Kopfzerbrechen, räumt ihre Geschäftsführerin Möhring ein. „Über die Höhe der Kosten liegen uns erste Zahlen nach einer Schätzung vor.“ Doch die seien nicht valide. In den Verhandlungen über die künftige Nutzung werde es auch darum gehen, was ein Pächter, was der Eigentümer finanziere.

150.000 Euro Unterhaltskosten im Jahr

Deshalb sollen in diesem Jahr nicht mehr benötigte Nebengebäude abgerissen werden, um Unterhaltskosten zu sparen, kündigt Möhring an. Die summieren sich auf 150 000 Euro im Jahr. Dazu gehörten das Heizkraftwerk, alte Plattenwohnhäuser, Garagen, der Bunker. Das Land Berlin möchte die ehemalige FDJ-Hochschule am liebsten weiterhin als internationale Bildungseinrichtung nutzen.

Auch andere kulturelle oder wissenschaftliche Nutzungsformen mit Übernachtungen seien denkbar, sagt die Geschäftsführerin. Und: „Ich würde die Goebbels-Villa am liebsten abreißen. Man muss nicht jedes Denkmal erhalten.“ Doch da sei noch nichts beschlossen. Trotz aller Ungewissheiten gibt sich Möhring zuversichtlich: „2016 wird sich etwas am Bogensee tun.“ (dpa)

Kirsten Baukhage

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