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Berlin: Koloss sucht Käufer

In der Nazi-Zeit war es der Landsitz von Joseph Goebbels. Später indoktrinierte Erich Honecker hier den Funktionärsnachwuchs. Jetzt steht die frühere FDJ-Hochschule am Bogensee wieder zum Verkauf – und auch andere Gebäude will der Liegenschaftsfonds zu Geld machen.

Bogensee - Geschichte hat dieses Gebäude genug, doch an der Zukunft, da fehlt’s noch. 15 Kilometer hinter der nördlichen Berliner Stadtgrenze liegt die frühere FDJ-Hochschule, die einst auch der Landsitz Joseph Goebbels’ war. Und 15 Jahre lang hat es nicht geklappt, für das Gebäude einen neuen Käufer zu finden. Am Montag beginnt der nächste Versuch: Auf der Münchner Immobilienmesse Expo Real möchte der Liegenschaftsfonds des Landes Berlin die Kultur- und Seminargebäude im Zuckerbäckerstil der Karl-Marx-Allee und die eher schlicht gehaltenen Internatshäuser für mehr als 500 Studenten aus aller Welt endlich veräußern.

„Diesmal sind wir optimistisch, es gab schon mehrere Anfragen“, sagt Irina Dähne vom Liegenschaftsfonds. „Vielleicht ist doch ein ernst zu nehmendes Angebot dabei.“ Ein Verkauf brächte nicht nur Geld in den Berliner Haushalt, auch die jährlichen Betriebskosten von mehr als 100 000 Euro würden endlich wegfallen. Denn Berlin ist seit mehr als 100 Jahren Eigentümer des über 168 000 Quadratmeter großen Grundstücks.

Dort hallt an einem Oktobernachmittag ein lautes Lachen über das Gelände. Ein Fotograf versucht gerade, ein Model aufzuheitern, das vor seiner Kamera posiert. Gerade weil der im Berliner Umland einzigartige „Koloss am Bogensee“, wie ihn manche nennen, so einsam und vergessen liegt, können zum Beispiel Fotografen und andere Künstler hier stundenlang ungestört arbeiten. Nichts erinnert mehr an das frühere Treiben in der eingezäunten und bewachten „Kaderschmiede“, in der hohe Funktionäre des Jugendverbandes FDJ und Mitglieder befreundeter Organisationen aus anderen Ländern ihr ideologisches Rüstzeug erhielten. Im September 1989 wurde hier der letzte Lehrgang eröffnet, im Sommer 1990 ging buchstäblich das Licht aus.

Begonnen hatte die Geschichte schon im Frühjahr 1946. Erich Honecker als FDJ-Vorsitzender und sein Freund Heinz Keßler, der spätere DDR-Verteidigungsminister, wurden auf das Gelände aufmerksam. Mit dem Fahrrad suchten sie damals nach einem geeigneten Gebäude, in dem sie eine Funktionärsschule einrichten könnten. Sie entdeckten in der Nähe von Wandlitz einen geheimnisvollen Komplex und erfuhren zu ihrem großen Erstaunen, dass sie auf die großzügige Villa von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels gestoßen waren. Der hatte sich zwischen 1936 und 1939 ein pompöses Anwesen bauen lassen, um sich ungestört amüsieren und mit Künstlern und Politikern treffen zu können. Im eigenen Kino liefen die neuesten UFA-Filme, nicht selten in Anwesenheit von Zarah Leander, Heinz Rühmann und anderen.

Nach dem ersten FDJ-Lehrgang 1946 stellte sich schnell heraus, dass der Landsitz den neuen Anforderungen nicht genügte. Den Auftrag, ihn als große Jugendhochschule herzurichten, erhielten 1951 die Architekten Kurt Liebknecht und Hermann Henselmann, der auch durch die Berliner Stalinallee bekannt werden sollte. Von Walter Ulbricht soll die Idee eines „griechischen Tempels mit ionischen Säulen“ als Elemente eines neuen „sozialistischen Monumentalstils“ gekommen sein. Die letzte große Restaurierung fand 1981 statt. In diesem Jahr stellten sich Erich Honecker und Bundeskanzler Helmut Schmidt nach ihrem Treffen auf dem Jagdschloss Hubertusstock hier der internationalen Presse. Danach geschah nicht mehr viel. Kurz nach der Wende versuchte sich noch ein Hotel- und Restaurantbetrieb auf dem Gelände, der aber 1999 endgültig aufgeben musste. Seit 2006 wird nicht mehr geheizt, an mehreren Stellen dringt mittlerweile Wasser ins Mauerwerk ein.

Vielleicht findet sich ja auf der Münchner Immobilienmesse ein Retter. Dem Liegenschaftsfonds mangelt es nicht an Ideen für den „Koloss“, von einer internationalen Schule mit Internat, einer Privatuniversität, einem Hotelresort, einer Rehabilitationsklinik, einer Führungsakademie bis zu einem Behördenstandort und einer Wohnanlage, auch für Senioren. Gebote können bis zum 13. Januar 2014 abgegeben werden. „Ein Mindestgebot legen wir nicht fest“, stellt Sprecherin Irina Dähne klar. „Wichtig ist ein Nutzungskonzept, dem das Land Berlin und die Brandenburger Ämter in der Umgebung zustimmen können.“

Zum Areal gehört sogar ein größeres Heizkraftwerk, dessen Schornstein etwas aus dem üblichen Rahmen fällt. Er wurde rund eineinhalb Meter niedriger errichtet, als es die Baunorm eigentlich vorschrieb. So wollte die Stasi verhindern, dass Bauleute und Wartungsspezialisten von oben einen Blick auf das Gelände des atomsicheren Führungsbunkers im nahen Prenden werfen konnten. Dieser ist längst für immer versiegelt.

Claus-Dieter Steyer

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