Kampf gegen das BER-Defizit: Berlin gibt Flughafengesellschaft Finanzspritze von 74 Millionen Euro
Nach langer Debatte soll der BER Geld aus Berlin bekommen. Und eine weitere Personalie steht fest: Der Chef der Wasserbetriebe wird neuer Aufsichtsratschef.
Der BER wartet seit Monaten auf dringend benötigte Corona-Liquiditätshilfen aus Berlin aus dem Jahr 2020. Doch die Grünen hatten einer Freigabe der Haushaltsmittel bisher nicht zugestimmt, weil sie ein weiteres Sondergutachten forderten. Am Mittwoch hat die Finanzspritze jedoch eine entscheidende Hürde genommen: Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses befürwortete eine Finanzspritze von 74 Millionen Euro. Das letzte Wort hat das Plenum, doch dort gilt die Zustimmung nun als sicher.
Das von den Grünen geforderte Sondergutachten soll es nämlich geben: Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) stimmte zu und will die Gesellschafterversammlung des BER bitten, dieses auch zu beauftragen. Ob Brandenburg und der Bund mitziehen, ist unklar. In dem Gutachten soll auch klar aufgezeigt werden, wie sich die Erlöse der Flughafengesellschaft Berlins, Brandenburgs und des Bundes (FBB) darstellen, was de facto coronabedingte Defizite sind und wie möglicherweise eine Teilentschuldung ausgestaltet werden kann. Grünen-Haushälter Daniel Wesener gab daraufhin die Zustimmung für die FBB-Finanzspritze.
Die neue BER-Chefin und Finanzgeschäftsführerin Aletta von Massenbach kann deshalb mit einer guten Nachricht in die Aufsichtsratssitzung am Freitag gehen. Dann soll auch eine weitere Stelle neu besetzt werden: Jörg Simon, Vorstandschef der Berliner Wasserbetriebe, wird neuer Chefaufseher der FBB, die in den nächsten Jahren weitere 2,4 Milliarden Euro vom Steuerzahler benötigt.
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Nach Tagesspiegel-Informationen soll Simon, der den größten Wasserversorger und Abwasserentsorger Deutschlands seit 1999 lenkt, auf der Sitzung des Kontrollgremiums diesen Freitag gewählt werden. Die Personalie ist abgestimmt und unstrittig. Simon ist allgemein anerkannt. Im Vorfeld hatte es allerdings dem Vernehmen nach Verstimmungen über das Verfahren gegeben, weil Berlin die Mitgesellschafter mit dem Vorschlag überrumpelt hatte. Das sei geklärt, „mit der Person hatte das nichts zu tun“, heißt es in BER-Kreisen. Simon wird Ende Juni den langjährigen Chefaufseher und früheren Brandenburger Flughafenkoordinator Rainer Bretschneider ablösen, der nach einer Verlängerung nun geht.
AfD und FDP unterstützen Sonderprüfung der BER-Finanzen
Zur Berliner Finanzspritze sagte Grünen-Haushälter Wesener im Hauptausschuss, die Koalition habe festgelegt, dass coronabedingte Defizite bei Landesbeteiligungen ausgeglichen werden. Doch müsse man diese Defizite scharf von Einnahmeverlusten trennen. "Das müssen echte Defizite sein." Die Grünen in Bund, Berlin und Brandenburg fordern von der Geschäftsführung die Offenlegung der tatsächlichen Finanzsituation und eine Prüfung durch unabhängige Gutachter. Der FBB sei schon vor der Coronakrise mit mehr als vier Milliarden Euro überschuldet gewesen. Und das coronabedingte Defizit fuße auf überhöhten Einnahmenprognosen.
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"Neben den Jahresabschlüssen brauchen wir eine Sonder- und Tiefenprüfung durch unabhängige Wirtschaftsprüfer", sagte Wesener. Man gebe diese Tranche von 74 Millionen Euro jetzt frei. Es müsse aber gemeinsames Ziel sein, dass dieser Flughafen "in Zukunft dem Steuerzahler nicht noch teurer zu stehen kommt". Wesener plädierte für eine Entschuldungsstrategie. Niemand könne eine treffsichere Prognose abgeben, wie die Luftfahrtbranche sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln werde.
Die AfD unterstützt die Idee einer Entschuldung und eine Sonder- und Tiefenprüfung. Haushälterin Kristin Brinker betonte, mit einer Sonderprüfung könne man die Zahlen auch besser bewerten. Auch FDP-Haushälterin Sibylle Meister plädierte für eine Sonderprüfung und eine Teilprivatisierung, die wiederum auch die CDU favorisiert. Deren Haushälter Christian Goiny kritisierte den Umgang mit dem Flughafen. „Wir stehen vor einer schwierigen Situation. Auch ohne Corona hätte der BER Schwierigkeiten gehabt.“ Die CDU könne sich deshalb vorstellen, auch andere Partner mit an Bord der Flughafengesellschaft zu holen.
Finanzsenator erteilt BER-Teilprivatisierung eine Absage
SPD-Haushälter Torsten Schneider betonte, dass der Flughafen „kein Rohrkrepierer“ sei. Dafür sprächen auch keinerlei Indizien. „Und keine Indizienlage ist mir bekannt, die mir sagen würde, ich bräuchte eine Sonderprüfung.“ Bei der Entsperrung gehe es um einen Notkredit im Haushalt. Die SPD habe generell nichts gegen Prüfungen. Diese hätten aber mit der Bewilligung der Corona-Hilfen nichts zu tun, sagte Schneider dem Tagesspiegel.
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"Heute gehts zum Schwur", um die Existenz des Flughafens, mahnte Schneider im Hauptausschuss. Eine Privatisierung dagegen lehne die SPD ab. Im Gegensatz zu Schneider aber unterstützt sein Parteifreund Kollatz eine Sonderprüfung. Einig sind sich die beiden dagegen bei der Ablehnung einer Teilprivatisierung. „Wir werden unseren Teil nicht für eine Teilprivatisierung zur Verfügung zu stellen", stellte Kollatz klar.
Linke: Finanzmisere geht über Coronakrise hinaus
Steffen Zillich, Haushälter der Linksfraktion, sagte, durch Verzögerungskosten und Baukostensteigerungen, die der FBB auferlegt worden seien, könne sie "so nicht lebensfähig" sein. „Das geht über die Coronakrise hinaus.“ Zillich plädierte für eine Teilentschuldungsperspektive und eine "Klarheit über die Geschäftspolitik". Diese müsse Strategie und Transparenz beinhalten. Dafür forderte er ein regelhaftes Controlling. "Das Paket muss auf den Tisch", sagte Zillich. Das könne nur ein Bestandteil einer Strategie sein. „Wir brauchen eine Teilentschuldungsperspektive“, sagte Zillich.
Skeptisch sieht er eine Teilprivatisierung. Man brauche aber eine Perspektive und Planungssicherheit. Man müsse schauen, was coronabedingte Ausfälle sind. Er forderte „Klarheit über die Geschäftspolitik“, die Strategie und Transparenz beinhalten müsse.
Kollatz: Ausbau müsste BER ohne Zuschüsse finanzieren
Grundsätzlich gab es Zustimmung für ein Controlling der Gesellschafter. Kollatz sagte klar, dass der Bau des BER "alles andere als eine Ruhmestat" gewesen sei. Es seien extreme Schwierigkeiten aufgetreten. Das sei „ein richtiges Versagen“ gewesen. Nun sei der BER eröffnet worden, und "jetzt muss auch etwas daraus gemacht werden".
Der Finanzsenator warnte deshalb davor, den Flughafen schlecht zu reden und "pausenlos mit Insolvenz zu winken". Man müsse zu einer Strategie kommen, die dauerhaft trage. „Das ist kein Billigfliegerflughafen. Mit der Größe und Passagierzahl, die vor der Eröffnung schon erreicht wurde, ist es möglich, mit schwarzen Zahlen zu fliegen.“ Wenn es aber nicht zu einer Teilentschuldung komme, werde es schwerer. Und sollte es beim BER zu einem Ausbau kommen, müsse ihn der Flughafen selbst finanzieren. "Auf keinen Fall wird es eine Flughafenausbau-Investition geben.", sagte Kollatz. Und er halte es für unwahrscheinlich, dass der Flughafen in der nächsten Zeit "unter Überlast ächzt".