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Feiern in Berlin. War früher wilder, kann aber auch heute noch exzessiv sein.
©  Imago

Party-Kultur: Berlin feiert krasser als Hamburg

Berliner lassen es richtig krachen, Hamburger feiern in der Regel eher still hanseatisch. Über die unterschiedliche Party-Kulturen.

In Reih und in Gliedern schwankend Zäune anzupinkeln unter Freunden, das geht gar nicht. Darin waren sich die Polizeipräsidenten von Hamburg und Berlin, die eine herzliche Abneigung verbindet, schnell einig. Erst danach brachen die alten Gräben wieder auf, die Berlin und Hamburg seit jeher trennen. Gipfelnd in der Hauptstadt-Behauptung, Hanseaten hätten noch nie verstanden, feste zu feiern und müssten deshalb zum Feiern von Festen nach Berlin fahren.

Schon Axel Springer, ein später dann leidenschaftlicher Berliner, fuhr einst als Jüngling regelmäßig zum Feiern nach Berlin. Damals mit dem Fliegenden Hamburger, Fahrtzeit 2:17 Stunden. Er nahm sich eine Suite im Eden Hotel, trank Likör bei Mampe, speiste bei Horcher und besuchte anschließend mit Mannequins des Salons Bibernell die verruchten Nachtclubs.

Wie definiert man aber heutzutage, was eine Feier ist und was nur ein peinlicher Event, um die Unterschiede zwischen Berlin und Hamburg zu verdeutlichen? Reicht die simple Denkungsart, die einen würden bei passender Gelegenheit, die sich in ihrer Stadt ja täglich ergibt, die Sau rauslassen?

Wohingegen sich die anderen, also wir, das nur einmal jährlich am Ende der Bundesligasaison erlauben, wenn es der HSV mal wieder knapp geschafft hat, dem verdienten Abstieg zu entrinnen. Ansonsten jedoch genug zu feiern haben mit Alstervergnügen, Hafengeburtstag, der Plattform in der Elbphilharmonie und ab 12 Grad im Sommer das Dach ihres Cabrios zu öffnen.

Die zum Schutz der Hamburger vor Trump, Erdogan, Putin oder den anderen freien Radikalen angereisten Berliner Hundertschaften ließen, aus Frust wächst nun mal Lust, spontan ihre Sauen raus. Denn sie wurden sowohl fern der Heimat als auch fern der Reeperbahn in einem Containerdorf in tiefstmöglicher Provinz untergebracht. Es gab nicht mal einen Fernsehapparat, um wenigstens gemeinsam den Tatort anschauen zu können, und Bücher hatten sie eh nicht im Gepäck.

Deshalb entwickelten sie ganz eigene höchst eigenartige Ideen improvisierten eine Lagerfeier mit Suff & Sex, Gesang & Wasserpfeifen. Die volkstümelnde Aufführung, zu der sie sich ihrer Uniformen entledigten, wäre nicht weiter aufgefallen. Falls die Mitspieler nicht so blöde gewesen wären, per Smartphone ihre Einsätze zu filmen und auf Facebook zu posten. Danke, sagten die Berliner Boulevardzeitungen, danke.

Und falls sie nicht von ihren ebenfalls dort untergebrachten, aber ruhenden Brüdern und Schwestern aus Nordrhein-Westfalen verpetzt worden wären (was bei passender Gelegenheit gesühnt werden dürfte).

Hamburger müssen zum feiern nach Berlin fahren

Ihre Vorgesetzten verbrachten die Nacht frei nach der Maxime quod licet lovi non licet bovi, im Hotel statt bei ihren Untergebenen. Reagierten auf den Tanz der Hormone der ihnen anvertrauten Ochsen erst am Tag danach. Sie sollten wegen Vernachlässigung ihrer Pflichten als sog. Führungskräfte ins Archiv versetzt werden.

Die trotz des allgemeinen veröffentlichen Schande! Skandal! Sauerei!-Aufschreis dann aber von der Hauptstadt gegen die Hansestadt ob ihrer sittlichen Empörung versendete und gedruckte HäHäHäme wurde gewürzt mit dem dort als Lebensart geltenden Hochmut, wonach Berliner auf ihre Art zu feiern verstehen. Egal wo sie gerade sind, und sei es auch in Bad Segeberg, wohingegen Hamburger zum Feiern nach Berlin fahren müssten.

Richtig ist, dass Berliner als solche auch dann feiern, wenn es eigentlich nichts zu feiern gibt. Die Zufahrt zum Großflughafen BER zum Beispiel soll demnächst als Partymeile erschlossen und die Abflughallen bis zur Eröffnung des Airports, geplant zwischen 2020 und 2025, als Freizeitpark für Polizeischülerinnen und -schüler vermietet werden.

Das gewählte Berliner Feierbiest Michael Müller, der bei jedem seiner Auftritte für Partystimmung sorgt, ohne Eintritt zu verlangen, lässt seine Senatskanzlei angeblich grübeln, welche Regeln für Berliner im westlichen Ausland (Bad Segeberg, Hamburg) unbedingt zu beachten seien, falls sich dort passende Gelegenheiten zum Feiern ergeben sollten.

Grundsätzlich feiern Hamburger lieber still hanseatisch. Zum Beispiel im letzten Zug von Berlin nach Hause. Abfahrt 22.39, Heimkehr 0:30 Uhr. Bei der Ankunft sind die Vorräte an stillem Wasser aufgebraucht. Und es stimmt, dass wir in Hamburg begeistert hämisch mitsangen, als Peter Fox nach einer durchfeierter Nacht seine Stadt besang: „Komm aus dem Club, war schön gewesen / Stinke nach Suff, bin kaputt, ist’n schönes Leben / Steig über Schnapsleichen, die auf meinem Weg verwesen / Ich seh die Ratten sich sattfressen im Schatten der Dönerläden / Stapf durch die Kotze am Kotti, Junks sind benebelt / Atzen rotzen in die Gegend, benehmen sich daneben.“

Party in der Hauptstadt, statt G20

Hamburger sind eher schmallippig, Berliner eher vollmundig. In geradezu britischer Gelassenheit, was an der Nähe zur Schwester London liegt, sind sie deshalb nicht bereit, aus halbnackt tanzenden Mücken am Kalkbergwerk veritable Pandabären nahe Bahnhof Zoo zu machen. Das Bild ist schief, geschenkt. Die Hundertschaften haben sich schlecht benommen, richtig.

Doch wer bitte benimmt sich nicht mal hin und wieder schlecht? Taxifahrer in Berlin prinzipiell, Trump täglich, Hamburger C-Promis, die in Bad Segeberg schon niemand mehr kennt, auf räudigen roten Teppichen bei drittklassigen Award-Feiern, die Geißen-Blondprolos auf RTL 2 usw. Jene Einsatzkräfte aus Berlin wurden für ihren denkwürdigen Einsatz bereits bestraft und mussten bei einem für Berlin typischen Stromausfall zur Feier des Tages nach ihrer Rückkehr in Köpenick den Verkehr regeln.

Eine gebürtige Hamburgerin, die seit der größten Berliner Feier, dem Mauerfall 1989, dort Karriere machte, ist übrigens bekannt durch ihre Neigung, nicht bei jeder noch so passenden Gelegenheit zu feiern. Unvergessen jene Szene, als Angela Merkel nach dem Wahlsieg 2015 dem damaligen Generalsekretär der CDU, geboren im Rheinland, Jurastudium in Köln (sic!), mit angewiderter Miene die Deutschlandfahne entzog, die er siegestrunken feiernd und singend schwenkte.

Die größtmögliche Party dieses verregneten Sommers, unter dem Festmotto „G 20“ weltweit übertragen, findet am nächsten Wochenende in Hamburg statt. Viele Hamburger werden deshalb in Sonderzügen nach Berlin fahren, um dort, wo es laut Peter Fox so schön schrecklich zugeht, ungestört zu feiern.

Michael Jürgs ist Hamburger, schreibt Sachbücher (zuletzt: „Gestern waren wir doch noch jung“) und auf www.tagesspiegel.de derzeit den Online- Fortsetzungsroman „Und erlöse uns von allen Üblen“

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