Die Politik bleibt unsichtbar: Berlin feiert Frauentag – aber ohne richtiges Konzept
Die einen verwechseln den Feiertag mit Wahlkampf, die anderen schieben die Pandemie vor: Dem Berliner Frauentag mangelt es an Motivation und einem Konzept.
Zum dritten Mal begeht Berlin den Frauenkampftag am 8. März als Feiertag. Und zum dritten Mal will es der rot-rot-grünen Koalition nicht recht gelingen, ihren selbst geschaffenen Feiertag mit Leben zu füllen.
Die Initiative kam von der SPD. Und auch das Ressort, das für frauenpolitische Anliegen zuständig ist, ist in sozialdemokratischer Hand: Senatorin für Gleichstellung ist Dilek Kalayci. Doch die hat als Gesundheitssenatorin bekanntlich gerade andere Sorgen.
Am Feiertag eröffnet sie Berlins sechstes Impfzentrum in Tempelhof und will dabei laut ihrem Sprecher „insbesondere den Frauen für Ihre Engagement bei der Bewältigung der Pandemie danken“. Auf der Webseite ihrer Verwaltung muss man schon genau suchen, um Hinweise auf den Frauentag zu finden.
Doch allein an der Pandemie kann es nicht liegen. Ein Gesamtkonzept des Senats für den Feier-Frauentag fehlte auch schon in den vergangenen zwei Jahren. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, kritisierte das im vergangenen Jahr zwar ausdrücklich.
Geändert hat sich allerdings wenig: „Jede macht individuell“, antwortet der Sprecher von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) auf die Frage, ob der Senat oder wenigstens die weiblichen Regierungsmitglieder am Frauentag gemeinsam etwas planen. Gerade in diesem Jahr, wo Präsenzveranstaltungen nicht zu empfehlen sind, scheint es sich vor allem darauf zu beschränken, dass die jeweiligen Pressestellen Zitate ihrer Senator:innen verschicken.
Feierlichkeiten mit Wahlkampf verbunden
Jede für sich, das gilt auch für die Parteien. Hier ist zwar insgesamt etwas mehr los, auch wenn die Veranstaltungen wegen des Infektionsschutzes fast alle digital stattfinden. Doch auch hier fehlt ein Gesamtkonzept, die Events wirken zusammengewürfelt, häufig sind es Wahlkampftermine SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey beantwortet am Montag um 11 Fragen auf Facebook, die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch lädt zum „frauenpolitischen Brunch“, die Landesvorsitzende der Linken Katina Schubert zum Online-Kaffeeklatsch.
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Sonst überlassen die Koalitionsparteien die Frauentagsevents vor allem ihren Bezirks- und Lokalverbänden – das Spitzenpersonal ist zu Gast. Die SPD-Abgeordnete Iris Spranger hat den Frauentag als Feiertag durchgesetzt. Sie sieht die Parteievents zum Frauentag nicht als Problem: „Es ist beileibe nicht so, dass unsere Veranstaltungen nur SPD-Mitglieder ansprechen“, sagt sie. Die Fraktionssprecherin der Grünen sagt, der Tag könne als Feiertag noch besser genutzt werden, „um sich zu feministischen Themen auszutauschen und voneinander zu lernen“.
„Die Politik war in den vergangenen Jahren genau so unsichtbar“
„Selbstbespaßung“ nennt das Katrin Wagner. Sie hat im vergangenen Jahr für das Bündnis „Frauenkampftag Berlin“ die Großdemonstration angemeldet, die seit 2014 jedes Jahr im März durch die Stadt zieht – also noch bevor Berlin den Frauentag zum Feiertag machte. Das Coronavirus lässt sie als Entschuldigung nicht gelten. „Die Politik war in den vergangenen Jahren genau so unsichtbar wie in diesem“, sagt Wagner.
Auf ihrer Demo, an der im vergangenen Jahr etwa 12.000 Menschen teilnahmen, liefen zwar auch Grüne, Linke und SPD mit. Und die Themen und Menschen auf den Parteiveranstaltungen seien ja „nicht uninteressant“, sagt Wagner. „Leider bekommt von diesen Events kaum jemand was mit.“
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Auch ihre Demonstration fällt aus, Wagner und ihre Mitstreiterinnen wollen keine Menschenansammlungen riskieren. Stattdessen gibt es auf der Homepage des Bündnisses eine Karte mit kleineren Aktionen in der Stadt. Der Frauenkampftag sei in diesem Jahr brisanter denn je, sagt Wagner. „Die Coronakrise hat wie unter dem Brennglas gezeigt, dass das Leben vieler Frauen alles andere als krisenfest ist, egal ob im Beruf oder zu Hause.“
Die politischen Probleme, die die Krise gerade für Frauen mit sich bringt, finden durchaus Eingang in die Statements, die rot-rot-grüne Politiker vor dem Wochenende verschickten. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller etwa ließ mitteilen: „Befürchtungen, dass es eine Wiederkehr veralteter Rollenbilder auf breiter gesellschaftlicher Front geben könnte und dass das mühsam Errungene in Gefahr gerät, müssen wir ernst nehmen, und wir müssen solchen Entwicklungen entgegentreten.“
Ob und wie das vor den nächsten Abgeordnetenhauswahlen im Herbst noch passieren wird, ist aber fraglich. Dass das große Gleichstellungsprojekt von Rot-rot-grün, das Paritätsgesetz, noch diese Legislaturperiode verabschiedet wird, gilt unter Koalitionären als ausgeschlossen.
Margarethe Gallersdörfer