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Der Streit um die Vergabe von Strom- und Gasnetz nimmt kein Ende.
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Vergabe von Gas- und Stromnetz: Berlin drohen Millionenverluste

Der Streit in der Berliner Koalition um die Vergabe von Gas- und Stromnetz nimmt immer seltsamere Formen an. Die geplante Kommunalisierung könnte sogar scheitern.

Der Koalitionsstreit um die Vergabe des Berliner Gas- und Stromnetzes geht nach der Sommerpause in die nächste Runde. So hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) den Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) jetzt schriftlich gebeten, „von einer Beteiligung an den weiteren Entscheidungen zur Stromkonzession abzusehen“, um auch nur den Anschein einer unzulässigen Einflussnahme zu vermeiden. Wowereit erwähnt in diesem Zusammenhang die Geschäftsbeziehungen der Firma Ampere, an der Heilmann beteiligt ist, mit einem am Vergabeverfahren beteiligten Energieversorger. Gemeint ist offenbar Vattenfall.

Die Ampere AG handelt mit Strom und Gas. Senator Heilmann hat bisher bestritten, dass er wegen seiner Rolle als Mitgesellschafter befangen sei. Schon in der Parlamentssitzung am vergangenen Donnerstag hatte sich Wowereit dazu geäußert. „Jedes Senatsmitglied muss für sich selbst prüfen, ob es Tatbestände gibt, bei denen eine Befangenheit vorliegen könnte – entweder eine tatsächliche oder eine Grauzone“. Zur Vermeidung von Fehlinterpretationen sei zu überlegen, „ob man an bestimmten Abstimmungsprozessen teilnimmt“.

Abgeordnetenhaus will sich "nötige Zeit nehmen"

Nach der umstrittenen Vergabe des Gasnetzes an das landeseigene Unternehmen „Berlin Energie“, die vom Kartellamt noch kritisch geprüft und vom unterlegenen Bewerber Gasag rechtlich angefochten wird, will Finanzsenator Ulrich Nußbaum bei der noch laufenden Vergabe des Stromnetzes auf der sicheren Seite stehen. Nach Informationen aus Koalitionskreisen erwägt er, den „Zweiten Verfahrensbrief“ zur Netzvergabe, der seit März vorliegt, zu überarbeiten. Schon Anfang August hatte die Finanzverwaltung als amtliche Vergabestelle des Senats das Bieterverfahren zur Stromkonzession auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Mit der Begründung, es müssten „verfahrensleitende Fragen geklärt“ werden. Eine veränderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und diverser Oberlandesgerichte zur Konzessionsvergabe in deutschen Kommunen führt offenbar dazu, dass das Verfahren in Berlin „gegebenenfalls nachjustiert werden muss“, wie es der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Heiko Melzer formulierte.

Justizminister Thomas Heilmann.
Justizminister Thomas Heilmann.
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Völlig offen ist auch, ob und wann das Abgeordnetenhaus der im Juni getroffenen Vergabeentscheidung des Finanzsenators zum Gasnetz zustimmen wird. Einig sind sich die Regierungsfraktionen SPD und CDU dem Vernehmen nach, dass in jedem Fall die Prüfung durch das Bundeskartellamt abgewartet werden soll. Außerdem fordert die CDU eine „umfassende Prüfung“ der umstrittenen Entscheidung zugunsten von „Berlin Energie“. Das Abgeordnetenhaus werde sich „die nötige Zeit nehmen und sich nicht unter Druck setzen lassen“, sagte Melzer.

Allerdings könnten noch Monate vergehen, bis die Prüfung des Bundeskartellamtes beginnen kann. Das liegt daran, dass die Senatsverwaltung für Finanzen die Vergabe-Akten zur „Verschlusssache“ erklärt hat. Ein beispielloser Vorgang aus Sicht der Kartellbehörde: Noch nie habe sich eine Gemeinde gegenüber den Wettbewerbshütern so verhalten. Nun müssen die Angestellten der Bundesbehörde, bevor sie die Akten überhaupt anfassen dürfen, bis ins Privatleben hinein auf ihre Vertrauenswürdigkeit durchleuchtet werden, unter anderem von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt.

Konzession bereits Ende 2013 ausgelaufen

In Senatskreisen wird darüber spekuliert, ob die Senatsverwaltung für Finanzen auf Zeit spielt. Diese bestreitet das und stellt den für die Bundesbehörde einmaligen Vorgang so dar: „Es ist zwischen Behörden üblich, Dokumente, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betreffen, als Verschlusssache zu übermitteln“. Für eine Entschleunigung sorgt die Finanzverwaltung auch vor dem Landgericht: Dort zweifelt die Verwaltung im Auftrag des Landes die Zuständigkeit des Gerichts an. Die Gasag, der unterlegene Bieter und Betreiber des Netzes, klagt dort gegen die umstrittene Vergabe an den Landesbetrieb Berlin Energie.

Sollte es sich dabei tatsächlich um eine Strategie handeln, wäre diese aus Sicht des Landes Berlins riskant. Die Rechtsexperten aus der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz hatten bei der Prüfung der Vergabeentscheidung wegen der vielen Mängel im Verfahren gewarnt, dass „den an dieser Entscheidung beteiliten Amtswaltern Haftungsansprüche drohen“. Und weiter: Weil die Konzession für den Gasnetzbetrieb „bereits Ende des Jahres 2013 ausgelaufen“ ist, sei diese „ab dem Jahr 2015 nicht mehr zur Leistung der Konzessionsabgaben verpflichtet – und eine freiwillige Weiterzahlung ist vor dem Hintergrund des Rechtsstreits nicht gesichert“. Es drohen dem Land Millionenverluste.

Ralf Schönball, Ulrich Zawatka-Gerlach

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