zum Hauptinhalt
Seit Jahren stellt die Polizei Autos vor allem wegen technischer Mängel und illegaler Umbauten sicher.
© Polizei

Verkehrsverstöße: Berlin bringt Dutzende Raser vor Gericht

In Berlin laufen schon 60 Verfahren wegen illegaler Autorennen, seitdem der Raser-Paragraf verabschiedet wurde. Die Täter sollen Auto und Fahrerlaubnis verlieren.

Die Tachonadel des BMW war bei 185 km/h stehen geblieben, als das Auto in einer Februarnacht in den U-Bahnhof Reinickendorfer Straße gekracht war. Das sah nach einem soliden Beweis dafür aus, wie sehr der Fahrer gerast sein muss. Aber ganz so einfach sei es leider doch nicht, sagt Andreas Winkelmann. Er leitet bei der Berliner Amtsanwaltschaft die auf Verkehrsdelikte spezialisierte Abteilung.

Das Team betreibt gerade ziemlichen Aufwand, um die Allgemeinheit vor Menschen wie jenem BMW-Fahrer zu bewahren. Es ist juristisches Neuland, das hier vermessen wird. Der Bundestag hatte das Strafgesetzbuch auch im Gefolge des tödlichen Raser-Unfalls am Ku’damm so ergänzt, dass Rennen auch ohne Unfall nicht mehr nur Ordnungswidrigkeiten sind. Bald werden die ersten Gerichtsurteile zeigen, ob das Recht gewinnt oder die Raser. Winkelmann und seine Leute gehen mit großem Ehrgeiz in dieses Rennen.

Rund 60 Verfahren laufen bereits wegen der erst seit Mitte Oktober 2017 strafbaren illegalen Autorennen auf Berliner Straßen. In den Depots der Polizei stehen inzwischen mehr als 30 Nobelhobel, zumeist mehrere Hundert PS stark, neu teils deutlich über 100.000 Euro teuer – und einige demoliert, weil die Fahrkünste der Täter nicht mithalten konnten. Üblicherweise läuft es so, dass die Polizei die Raser beim Verdacht auf ein Rennen – wozu ausdrücklich auch Solo-Raserei zählen kann – möglichst stoppt, die Führerscheine einkassiert und die Abschleppwagen anrollen lässt. Die Autos sind dann zunächst beschlagnahmt – und die frischgebackenen Fußgänger durchweg baff, wie Polizei und Amtsanwaltschaft übereinstimmend berichten.

In der Experimentierphase

Winkelmann versucht, dass aus der Beschlagnahme eine Einziehung wird, die betreffenden Autos also ins Eigentum des Staates übergehen, der sie dann zum Wohle der öffentlichen Hand versteigern oder in Ausnahmefällen auch für Behördenzwecke nutzen kann. Damit das gelingt, muss zunächst ein Ermittlungsrichter überzeugt werden. Wenn das Auto dem Fahrer gehört, gelingt das relativ problemlos. Bei gemieteten und geliehenen ist es schwieriger, aber gerade kann Winkelmann einen ersten Erfolg vermelden: Ein Ermittlungsrichter habe die Einziehung eines in der Familie verborgten Autos bestätigt.

„Wir sind gerade in einer Experimentierphase, um herauszukriegen, was wir machen können“, berichtet Winkelmann. Je wilder die Täter gefahren sind, umso größer sind die Chancen, gerichtsfeste Beweise zu bekommen. Denn seit etwa fünf Jahren haben alle Autos einen Speicher an Bord, von dem die meisten Fahrer nie gehört haben dürften: „Event Data Recording“ dokumentiert nach Auskunft von Winkelmann die letzten fünf Sekunden vor der Auslösung mindestens eines Airbags: Das System speichert die Drehgeschwindigkeit der Räder sowie die Stellung von Brems- und Gaspedal. Damit entsteht ein relativ klares Bild davon, ob jemand bis zum letzten Moment draufgehalten hat und wie schnell er wirklich war. So seien auch die kaum glaublichen 170 km/h festgestellt worden, mit denen die Ku’damm-Raser im Moment vor dem tödlichen Unfall über die Tauentzienstraße gedonnert waren. Der BMW dagegen dürfte langsamer als die – wohl durch die in der Luft drehenden Räder – angezeigten 185 km/h gewesen sein.

Während die Airbagzündung fast immer mit einem Unfall verbunden ist, können je nach Automodell auch schon vorher bei ruppigen Fahrmanövern diverse Speicher aktiviert werden. So habe man beispielsweise rekonstruieren können, dass vor Kurzem ein Täter auf Stadtstraßen mit Tempo 125 vor der Polizei weggerast sei. Drei Fünf-Sekunden-Mitschnitte der Bordelektronik gebe es von dieser Tour, sagt Winkelmann. Nun müsse man schauen, ob die Aussagen der Zeugen dazu passten.

Weil die Daten verschlüsselt gespeichert werden, können sie nur durch Sachverständige oder mit Unterstützung durch den Hersteller ausgelesen werden. Nicht alle Autohersteller seien kooperativ, sodass die Strafverfolger manchmal Tricks und oft Geduld brauchten, um an die Daten zu kommen.

Kostenfaktor bei Miet- und Carsharingautos

Vor allem bei gemieteten Autos ist diese Zeit auch Geld. Und zwar in aller Regel das Geld der Täter, die beispielsweise von Carsharingfirmen fette Rechnungen für den Nutzungsausfall bekommen, wenn das Auto nach einer Chaosfahrt wochenlang bei der Polizei bleiben musste. Winkelmann weiß von einem geleasten Lamborghini, der im November einkassiert und erst Mitte März wieder herausgegeben worden sei. „Da kann die zivilrechtliche Strafe höher ausfallen als die strafrechtliche.“

Die Täter seien „überwiegend Deutsche zwischen 20 und 30 mit – in dieser Reihenfolge – türkischen, arabischen und russischen Wurzeln“. Winkelmann würde Vermieter gern dazu verpflichten, „dass sie die charakterliche Zuverlässigkeit prüfen, bevor sie solche hochmotorisierten Fahrzeuge herausgeben“, etwa einen Auszug aus dem Flensburger Punkteregister verlangen. Außerdem könnten sie strengere Altersbeschränkungen und Sanktionsdrohungen bei Fehlverhalten festlegen, findet er.

Während Miet- und Carsharingautos nach der Datensicherung meist wieder herausgegeben werden, wird in Familien härter durchgegriffen: Gerade habe er das Auto einer Mutter einziehen lassen, mit dem ihr Sohn extrem gerast war. „Eine Mutter kennt ihren Sohn“, lautet die Logik, mit der Winkelmann später den Richter überzeugen will. Eine weitere Möglichkeit sei die „Einziehung unter Vorbehalt“, bei der Angehörige verpflichtet werden könnten, ihr Auto binnen drei Monaten zu verkaufen – nach Vorgaben des Gerichts, damit nicht ein Verwandter für einen Euro zugreift.

Die Raser selbst brauchen so schnell kein Auto mehr, denn sie verlieren nicht nur ihren Führerschein, sondern auch ihre Fahrerlaubnis. Sie müssen sich also nach einer Sperrfrist wieder bei der Fahrschule anmelden – sofern ihnen nicht vorab per „Idiotentest“ die charakterliche Eignung zum Autofahren abgesprochen wird.

Nach Auskunft des ADAC gibt es bundesweit noch keinen Präzedenzfall zum Raser-Paragrafen. Winkelmann hofft, dass seine Arbeit und die der Polizei demnächst mit ersten Urteilen belohnt werden. Aber da die Betroffenen sich juristisch wehren dürften, kann die Amtsanwaltschaft an Kapazitätsgrenzen stoßen. Denn sie ist sonst vor allem für minderschwere Delikte zuständig, was heißt: 90 Leute bearbeiten mehr als 350.000 Verfahren im Jahr. Und die Raserhochsaison beginne erst, sagt Winkelmann: Wenn die Motorräder herausgeholt werden.

Zur Startseite