Berlins rappender Feuerwehrmann: "Berlin brennt, der Senat hat gepennt"
Christian Köller ist Feuerwehrmann und rappt über die Zustände in Berlin, über Personalnot und den Ausnahmezustand der Feuerwehrleute. Mit dem Tagesspiegel sprach er über seinen Job und sein Video.
Er ist Feuerwehrmann – und er rappt. Über „Berlin brennt“, die Protestaktion von Feuerwehrleuten, die wochenlang vor dem Roten Haus standen rund um eine brennende Tonne. Weil Personalnot herrscht und deshalb regelmäßig auch intern Ausnahmezustand. Ausgerechnet am Montag veröffentlichte Christian Köller das Video „Realtalk von einem Feuerwehrmann“ bei Youtube.
Am selben Montag hatte sich Innensenator Andreas Geisel (SPD) – weil der Druck zu groß wurde – mit den Feuerwehrgewerkschaften auf ein Paket geeinigt: 44-Stunden-Woche statt 48 Stunden, bis zu 480 Überstunden werden ausbezahlt, dazu neue Technik. Inzwischen wurde das Video fast 12.000 Mal aufgerufen, in zahlreichen Kommentaren gibt es vorwiegend positive Reaktionen.
Zurückzunehmen hat Christian Köller nichts. Das Video, gedreht im Dunkeln an der brennenden Tonne, Köller umringt von Kollegen in Uniform, rappt mit finsterer Miene: „Ich war in über 5.000 Wohnungen und hab’s gesehn, unser echtes Gesundheitssystem. Tolle Zahlen und Diagramme können vieles schönreden, doch Fakt ist, euer Spar’n kostet Menschenleben.“ Und: „Du musst verstehen, wir sind unterbesetzt. Und die Politik interessiert es einen Dreck. Das Motto Effizienz, kaputtsparen ist der Trend. Berlin brennt, der Senat hat gepennt. 112 ist die Nummer, die jeder Bürger kennt.“
"Feuerwehr ist der coolste Job"
Zwei Tage nach Erscheinen des Videos Anruf bei dem 29-Jährigen, dann ein Treffen in einem Café in Charlottenburg. Da sitzt nicht der grimmige Rapper aus dem Video: Kariertes Holzfällerhemd, freundliches Gesicht, kurz geschorene Haare und Bart – und „immer unter Strom“, wie er sagt. Auf den Fingern Buchstaben tätowiert, „Neue Wege“ steht da, dazu ein Peace-Zeichen und ein Herz: „Ich bin Love-Gangster“, sagt Köller und grinst. Ein bisschen Träumer, ein bisschen Helfersyndrom. Die Welt zu einem besseren Ort machen, darum geht es ihm, sagt er.
Das hat er sich bewahrt. Trotz allem, was er täglich sieht. Das Leid, die Überlastung, die Überstunden, die marode Technik, oder wenn binnen weniger Monate drei Menschen vor einen Zug gesprungen sind – und er deshalb in therapeutischer Behandlung ist. Frustriert scheint Köller nicht, er sagt: „Versteht mich nicht falsch, Feuerwehrmann ist der coolste Job – ich geh gern zur Arbeit.“ Dass die 44-Stunden-Woche ab September die Regel sein soll, findet er gut, „weil wir es einfach nicht mehr stemmen können. Die Belastung ist zu hoch“.
Doch wie die Arbeit laufen soll, wenn 3500 Feuerwehrleute vier Stunden weniger pro Woche arbeiten, weiß er nicht. Die Arbeit wird nicht weniger, „die Feuerwehrschulen können pro Jahr glaube ich 300 Leute ausbilden, uns fehlen aber 1.000“. Auch 12-Stunden- Dienste statt 24 Stunden am Stück kommen Köller entgegen. „Eine Blaulichtfahrt quer durch Berlin zur Hauptverkehrszeit: danach bist du fertig“, sagt der 29-Jährige. Für ältere Kollegen sei diese Belastung über 24 Stunden nicht zu verantworten gewesen.
Soweit so konform mit der offiziellen Einigung, was also ist sein Problem? „Das geht schon bei den Überstunden los, soll ich mich jetzt bedanken, dass ich für meine Arbeit auch tatsächlich bezahlt werde?“, fragt Köller. Auch dass der Sold in Berlin immer noch niedriger ist, als im Rest Deutschlands will er nicht hinnehmen. Zu lange habe der Senat auf Sparen gesetzt, was sich jetzt immer gravierender bemerkbar mache.
Darum ist es dem rappenden Feuerwehrmann auch wichtig zu betonen: „Es geht mir hier nicht nur um die Feuerwehr, es geht um alle.“ In den letzten Sekunden des Videos steht deshalb geschrieben: Für alle Feuerwehrmänner, Krankenschwestern, Ärzte und Altenpfleger, die das Sparen mit ihrer Gesundheit auffangen.
Das Pflegepersonal ist am Limit
Die „Mädels“, wie Köller die Krankenschwestern in der Rettungsstelle nennt, müssen „jeden Scheiß machen, den keiner machen will“. Und Altenpflegern gebühre eigentlich der größte gesellschaftliche Respekt: "Korrekt, du kümmerst dich um uns", sagt er und drückt seine Hände dankend vor seiner Brust zusammen. "Und was verdienen sie? Fast nichts. So sieht Wertschätzung nicht aus.“
Bei seiner Arbeit sieht der Feuerwehrmann in die Wohnungen, in die sonst keiner schaut und trifft Pflegepersonal, das an seine Grenzen kommt. „Wenn ich in meiner Scheiße liege, ist meine Würde angetastet, da kann mir keiner was erzählen.“ Und er fügt hinzu: „Mir wär es sogar wichtiger, dass zuerst was im Pflegesystem passiert, als dass ich mehr Geld bekomme. Ich komm schon klar.“
„Ruf nicht 112, wenn du Zahnschmerzen hast"
Aber der Feuerwehrmann rappt nicht nur gegen die Politik, er appelliert auch an die Bürger: „Ruf nicht 112, wenn du Zahnschmerzen hast, ruf 112, wenn dein Leben in Gefahr ist, Mann“, singt er im Song und sagt im Café: „Ihr müsst checken, dass wegen solcher Anrufe jemand sterben kann.“ Mehr als eine Million Mal pro Jahr klingelt in der Leitstelle das Telefon, 3000 Mal pro Tag, aus jedem zweiten Anruf wird eine Blaulichtfahrt. Die Selbstständigkeit sei verloren gegangen, wo früher Freunde oder die Eltern benachrichtig wurden, werde heute die Feuerwehr alarmiert. „Das geht nicht klar.“
Und genau darum geht es ihm in dem Video: Missstände aufzeigen, Aufmerksamkeit herstellen, etwa verändern. Gerappt hat er schon seit zehn Jahren, veröffentlicht hat er nie etwas. Binnen zwei Wochen war für das Video alles im Kasten: der Onkel filmt, Freunde schneiden, ein Kollege hilft beim Texten. Und die Männer im Hintergrund? „Ganz normale Feuerwehrleute, die Schicht an der Tonne hatten. Die fanden den Song gut und haben sich cool dahinter gestellt“, sagt er und fügt hinzu: „Das Video ist noch viel geiler geworden, als ich dachte.“ Ärger gab es bislang nicht. Die Hoheitszeichen an seiner Jacke waren extra abgeklebt. Ein Kollege fand, endlich sagt mal einer was. Und auch sein Chef „fand es echt in Ordnung“.