Ostern in der Corona-Krise: Bei den Osterbräuchen muss man jetzt umdenken
Gut besuchte Osterspaziergänge wie bei Goethe, große Osterfeuer – alles nicht mehr erlaubt. Stattdessen: Eiersuchen und ein Spaziergang allein durch die Stadt.
Der Ort: „Vor dem Tor“. Die Szene: „Spaziergänger aller Art ziehen hinaus.“ Die Figuren: Handwerksburschen, Dienst- und Bürgermädchen, Schüler, Bürger, ein Bettler, eine Alte, Soldaten, schließlich Faust und Wagner. Ersterer beginnt zu deklamieren: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden belebenden Blick.“
Stopp, hochverehrter Johann Wolfgang von Goethe! Das stimmt schon mal nicht, nicht in diesem Jahr. Vom Eise befreit? Welches Eis? Und überhaupt: Dank Ihres „Faust“ mögen das höchste christliche Fest und das Lustwandeln in der freien Natur im kollektiven Bewusstsein der Deutschen untrennbar zum Osterspaziergang verschmolzen sein, aber in diesen harten Zeiten ist der leider nicht an-, ja sogar untersagt.
Kein Menschenauflauf wie bei Dr. Faust
Im engen familiären Kreise, da ist solch ein Ausflug ins Grüne gerade noch okay, aber ein österlicher Menschenauflauf wie der auch von Dr. Faust und seinem Famulus geteilte kurz nach Beginn der Tragödie ist nun mal virusbedingt derzeit unzulässig.
Dass es bei dem von Goethe beschriebenen Spaziergang ziemlich gedrängt zugegangen sein muss, haben schon dessen Zeitgenossen so verstanden. Man betrachte nur historische Darstellungen wie die des später auch in Berlin in königlichem Auftrag tätig gewordenen, auf dem Alten Domfriedhof St. Hedwig in der Liesenstraße begrabenen Malers Peter von Cornelius: Schon kurz nach Veröffentlichung von „Faust I“ 1808 legte er erste gezeichnete, dann gestochene Illustrationen vor.
Die des Osterspaziergangs folgte 1826 und war auch in der Neuauflage enthalten, die der Berliner Verleger Georg Reimer 1845 nach Erwerb der alten Druckplatten publizierte. Die von Cornelius ersonnene Szene zeigt Faust und Wagner etwas abseits einer aus dem Stadttor quellenden Masse, den heute geforderten Mindestabstand von 1,5 Meter halten auch sie nicht ein.
Lieber Hasenheide als Osterpfad
Dieses klassische Ostervergnügen ist derzeit also nur mit Schwierigkeiten und unter großer Vorsicht möglich, wobei mehr die Wälder von Berlin und Umgebung als die in ihrer Aufnahmekapazität doch arg begrenzten Parks als Ziele zu bevorzugen sind. Auf gar keinen Fall aber, trotz des verführerischen Namens, sollte man den seit 1935 bestehenden Osterpfad in Mahlsdorf ansteuern.
Von ein paar Einfamilienhäusern flankiert, ist er nur rund 100 Meter lang – für einen Osterspaziergang zu kurz, selbst wenn man den benachbarten Pfingstweg dazunimmt. Dann schon lieber in die Hasenheide. Ein alternatives Ziel wäre die Osterquelle nahe Lübars, obwohl sie nach den beiden Supersommern ihren Namen kaum mehr verdienen dürfte.
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Schon 2017 war sie nur noch ein Rinnsaal, immerhin eines, das bereits 1751 in der „Historischen Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg“ von Johann Christoph und Bernhard Ludwig Bekmann beschrieben worden ist. Der Name geht auf einen alten, hierzulande längst vergessenen Brauch zurück: das Holen des Osterwassers.
Spaziergang zur Osterquelle
Es galt als besonders rein, ihm wurden heilende, sogar verschönernde Kräfte zugesprochen – sofern es in der Osternacht oder am Ostermorgen unter völligem Schweigen aus Flüssen oder Quellen geschöpft wurde, am besten von Jungfrauen. Junge Männer machten sich oft einen Spaß daraus, die Mädchen dabei zu erschrecken, zum Lachen oder gar zum Sprechen zu bringen, wodurch das Wasser, wie man glaubte, seine Wirkung verlor.
Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dieser Brauch auch in Berlin ausgeübt, wie Ernst Friedel, Gründer und erster Direktor des Märkischen Museums, aus seiner Kindheit berichtete. In Lübars wirkte dieser Brauch abgewandelt lange fort. Noch vor wenigen Jahren lud die dortige Kirchengemeinde nach dem Gottesdienst am Ostermontag zum Spaziergang zur Osterquelle. In diesem Jahr muss selbst der Gottesdienst entfallen, vom anschließend vorgesehenen Osterfeuer ganz zu schweigen.
Den Taugenichts durchs Dorf treiben? Eher nicht
Der Osterwasser-Brauch dürfte kaum wiederzubeleben sein, und die lodernden Reisighaufen, die Jahr für Jahr Menschenmassen anlockten, müssen diesmal ausfallen. Auch uralte Berliner Osterbräuche, wie sie Heimatforscher Friedel 1907 im Monatsblatt „Brandenburgia“ der Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin ausgegraben hatte, dürften trotz Coronavirus keine Renaissance erleben: So sei am Gründonnerstag der „alte Adain“ ausgetrieben worden.
Ein Taugenichts mit einigem auf dem Kerbholz sei vom Volk verhöhnt worden, musste also als Sündenbock eine Art Spießrutenlauf absolvieren. Doch damit war dann alles abgegolten, ja er bekam sogar noch Geld und Geschenke. Oder durch das gegenüber heutigem Brauch offenbar bescheidenere Osterfeuer „trieb man Rinder, Pferde und besonders, um sie vorm Rotlauf zu schützen, die den Berlinern wichtigsten Schlachttiere, die Schweine“. Auch das, ausgeschlossen: keine öffentlichen Osterfeuer.
So bleiben als wichtigstes Utensil der aktuellen Festtage doch wieder die Eier. Es gibt sie als Naturprodukt, aus Schokolade oder Gelee. Man kann sie bemalen, verstecken, suchen und schließlich verzehren. Und wer unbedingt ein diesem Festtagsbrauch verwandtes Ziel für den Osterspaziergang braucht: Es bleibt immer noch das Eierhäuschen am Rande des Plänterwalds, das schon Theodor Fontane in seinem Roman „Der Stechlin“ besang.
Dass alle Berliner Ausflugslokale derzeit geschlossen sind, muss in diesem Fall nicht grämen: Bis auf Weiteres ist das idyllisch am Ufer der Spree gelegene Eierhäuschen ohnehin eine Baustelle.