Politik für Berlin: Befrieden, nicht spalten!
Diese Stadt gehört auch jenen, die nicht ins Regierungsprogramm des Berliner Senats passen. Rot-Rot-Grün darf nicht nur für die eigene Klientel Politik machen. Ein Kommentar.
Wem gehört die Stadt? Diese einfache Frage, die so schwer zu beantworten ist, stellt sich nicht nur am 1. Mai, wenn selbst ernannte Revolutionäre quer über das Kreuzberger Myfest ziehen. Unerwünscht – und unangemeldet, weil diese Leute keine Lust darauf haben, sich mit der Polizei über die Route und den Rahmen der Demo abzustimmen.
Das wird toleriert, der Senat gibt sich locker, man will deeskalieren. Der Staat lässt eine kleine, bewusst provozierende Minderheit gewähren, in der Hoffnung, einen weitgehend friedlichen Tag zu sichern.
Hoffen wir, dass diese lässige Taktik aufgeht. Das eigentliche Problem ist die Haltung, die hinter dieser Politik steht, nämlich ein mangelndes Verständnis von bürgerlichem Gemeinsinn. Berlin gehört nun mal allen Berlinern, nicht nur jenen Aktivisten, die laut sind, trickreich und frech. Und es ist nicht die Stadt der Armen oder Reichen, der Linken oder Rechten und auch nicht der Radler oder Autofahrer. Wer nicht spalten will, muss Gegensätze befriedend überwinden und den Ausgleich der Interessen suchen.
Leider ist es so, dass eine linke Politik, die in Berlin von Rot-Rot-Grün repräsentiert wird, wie selbstverständlich davon ausgeht, auf der Seite des Guten zu stehen und den tatsächlich und vermeintlich benachteiligten Minderheiten zu helfen. Das ist etwas anderes als der selbstverständliche Anspruch, soziale Gerechtigkeit herzustellen und Demokratie zu wahren. Dafür stehen wir hoffentlich alle. Es ist ein moralischer Imperativ, der jene Bürger ausgrenzt, die als provinziell spießig, verdächtig konservativ oder – schlimmer noch – wirtschaftlich einflussreich und vermögend gelten.
Dieser Kulturkampf wird, seitdem das Dreierbündnis in Berlin regiert, an vielen Stellen geführt. Mehr Videoüberwachung wird abgelehnt, das neue Verkehrskonzept konzentriert sich vorerst auf die Radler, die Wohnungspolitik vernachlässigt die Außenbezirke, um nur einige Beispiele zu nennen.
Es geht zu Lasten einer bürgerlichen Mitte
Interessenkonflikte werden nicht ausgeglichen, sondern verschärft, und trotz gegenteiliger Beteuerungen wird am liebsten für die eigene Wählerklientel regiert. Zulasten einer bürgerlichen Mitte, zu der keineswegs nur die besser Betuchten, sondern auch viele Berliner gehören, die sich sozial – und jetzt auch politisch ausgegrenzt fühlen.
Versprochen wurde etwas anderes: „Wir wollen Brücken bauen, wo Zerrissenheit unser Gemeinwesen gefährdet“, steht im Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen. „Wir werden Berlin gemeinsam mit den Menschen, die hier leben, weiterentwickeln.“ Doch in der politischen Praxis wird sehr darauf geachtet, ob diese Menschen sozialpolitisch und ökologisch gut drauf sind und kommerziellem Engagement ausreichend skeptisch gegenüberstehen.
Nun ist es das gute Recht jeder Regierung, ihr eigenes Programm umzusetzen, mit dem sie eine Mehrheit der Wähler hinter sich brachte. Das entbindet Rot-Rot-Grün aber nicht von der Pflicht, sich auch für die anderen zuständig zu fühlen.
Es geht um das Gemeinwohl. Das hört sich altbacken an, ist aber in Zeiten des inneren Unfriedens in vielen Teilen dieser Welt ein sehr moderner Anspruch an Politik. Gerade die Vielfalt einer urbanen Gesellschaft, die voller Widersprüche steckt, erfordert Respekt und Toleranz, auch vonseiten der Regierung. Diese Stadt gehört auch jenen, die nicht ins Regierungsprogramm passen.