Flüchtlinge und Wohnen in Berlin: Bebaut das Tempelhofer Feld!
Der „Katastrophenfall“ ist da, nicht erst seit Ankunft der Flüchtlinge. Der Senat muss die Reserven jetzt nutzen. Ein Gastkommentar.
Das Tempelhofer Feld macht wieder von sich reden. Das überforderte Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) bittet um Amtshilfe bei der Innenverwaltung. Die wird tätig: Mehr als 3000 Flüchtlinge sollen auf dem Gelände untergebracht werden. Man spricht von „Katastrophenfall“.
Aber muss Berlin nicht schon seit Jahren mit einem Katastrophenfall umgehen? Jahr für Jahr ziehen so viele Menschen nach Berlin, wie Baden-Baden Einwohner hat. Aktivisten sammeln 50.000 Unterschriften gegen Verdrängung und steigende Mieten. Das Abgeordnetenhaus muss über ein Wohnraumversorgungsgesetz abstimmen, um die gesellschaftlichen Spannungen zu schlichten. Europa und Berlin stehen vor einer „Jahrhundertaufgabe“.
Deshalb muss die Feldfrage noch einmal aufgerollt werden. Die Berliner haben am 25. Mai 2015 ein klares Zeichen gesetzt und gegen die Bebauungspläne des Senats für das Tempelhofer Feld gestimmt. Aber das war vor Beginn der Flüchtlingskrise – und war das wirklich die richtige Entscheidung?
Manchmal findet man Antworten, indem man in die Vergangenheit schaut. Kurz nach der Wiedervereinigung beauftragte die Bauverwaltung die „Planungsgruppe urbane Baukunst“ damit, die Ressourcen des Tempelhofer Feldes auszutarieren. Die Gruppe stellte die Kräfte für eine städtebauliche Zukunft des Tempelhofer Feldes klar als Chance für das innerstädtische Wachstum der Metropole dar. Die Programmpunkte lauteten:
Die sechs Punkte des Stadtplaners
1. Die Hasenheide in Neukölln wird in das Tempelhofer Feld hineingezogen und bildet einen zentralstädtischen Park. Dieser verbindet die Ortsteile Kreuzberg, Tempelhof, Schöneberg miteinander.
2. Das historisch als Trenngebiet zwischen den Bezirken wirkende Tempelhofer Feld wird durch klar definierte Straßen-Anschlüsse zu den drei angrenzenden Ortsteilen zum Verbindungsgebiet.
3. Die Straßenraster und die Gliederung der Flächen entwickeln sich aus den vorhandenen Strukturen der angrenzenden Bezirke und über das Gebiet als Verbindungen von Ost und West.
4. Die vorhandenen Straßen und Plätze sowie die Bebauungen des historischen Flughafens gehen ein in die Hierarchien den Gesamtgrundrisses.
5. Der innere Zusammenhalt des Gesamtgebietes erfolgt durch einen inneren ringartigen Boulevard auf den Spuren der ehemaligen Rollfelder.
6. Die Gesamtfläche enthält eine Gliederung in Blöcke auch unterschiedlicher Größe mit Parzellen für sehr differenzierte bauliche Nutzungen, kleinteilige Parks und Grünflächen und Gewerbe.
Diese Gesamtplanung für das Tempelhofer Feld mit den Ressourcen für Wohnungsbau und innerstädtisches Wachstum ignorierte die Verwaltung bisher. Der gewaltige Bedarf an innerstädtischen Wohnungen drängt uns dazu, kurzfristig die Reserven des Tempelhofer Feldes für Berlin zu gewinnen. Bebaut das Feld!
Der Autor, Bernhard Strecker, ist Architekt und Stadtplaner, gehörte zum Team der IBA ’87 und erstellte mit Dieter Hoffmann-Axthelm den ersten Strukturplan für Mitte.
Bernhard Strecker