Verdrecktes Berlin: Baut mehr Zäune!
Bieten Parks und Plätze sich schutzlos dar, sind sie zur Verrumpelung und Verhunzung freigegeben. Dabei zeigen Beispiele vom Kleingarten bis zum Tempelhofer Feld: Nur Zäune schaffen Schönheit in Frieden.
Das sollten Sie sich mal gönnen. Morgens von der Paradestraße zum S-Bahnhof Tempelhof laufen. Immer auf der linken Seite des T-Damms gehen und immer nach links schauen, Sie laufen immer am Zaun lang. Der trennt den Stauraum Tempelhofer Damm von der autofreien Zone des früheren Zentralflughafens Tempelhof. Wenn sich die Sonne über Berlin erhebt, wird das Seherlebnis zum Befreiungsschlag. Cinemascope-Blick, Central-Park-Feeling, die Lebenserwartungen werden schlagartig groß bis großartig. Du weißt, du bist in der richtigen Stadt.
Und deswegen sage ich Danke. Danke für alle Zäune, die in dieser Stadt errichtet worden sind und künftig errichtet werden. Zäune trennen Menschen, wird immer gejammert. Das stimmt so nicht. Zäune verbinden Menschen – oder jedenfalls Berliner.
Aus bis heute nicht genau definierten Gründen kommt der öffentliche Raum in der Hauptstadt – also jene Quadratmeter, die für alle da sind – erst dann zur Ruhe, wenn er ordentlich eingesperrt ist. Parks und Plätze gelten als gemeinfrei für Verrumpelung und Verwahrlosung und Verhunzung, indem sie sich den Berlinern schutzlos darbieten. Der neue Park am Gleisdreieck, ja selbst so ein Winzling wie der Wartheplatz in Neukölln – Orte des Wutberliners, der mutwillig verunstaltet und zerstört. Der Pariser Platz, die erste Adresse, ist nur unwesentlich besser dran: eine Rummelbude voll falscher Russenmützen und Pferdeäpfel. Im Mauerpark, dachte Berlins Verwaltung, könnten singende Papierkörbe die Berliner überzeugen, diese auch zu benutzen. Doch den Körben hat es die Sprache verschlagen, so leer sind sie geblieben.
Berliner sind scheinbar nicht imstande (oder nicht willens), Schönheit zu erkennen, zu respektieren. Ein schöner Platz, ein schöner Park ist eine Herausforderung, eine schiere Beleidigung von böser, fremder Seite. Schönheit muss bekämpft werden, vielleicht, weil so viele Leben so schön nicht sind. Gleiches mit Gleichem heimzahlen, das ist die Parole. Hässlichkeit, die verbindet.
Vulgärpsychologen würden sagen, das ist das genetische Erbe des Mauer-und-Zaun-Berliners.
Schönheitsorte in Berlin sind nicht unbedingt Orte, die schön sein wollen. Das Flughafengelände Tempelhof ist nicht schön. Betonbahnen zerschneiden das Feld, der Baumbestand ist kärglich, das Grün hat seine Flecken. Aber es herrscht eine Aura in dem Maße, wie Berlin schön sein kann und will. Schönheit heißt hier Friedlichkeit, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Frieden mit der Natur, mit den Mitmenschen, mit den Holzbeeten auf der Neuköllner Seite, Frieden mit den Joggern, den Radlern, den Kite-Surfern, Skateboardern, Picknickern, Frieden mit den Hunden, den Modellflugzeugpiloten.
Wie der Flughafen, wie der Britzer Garten, so sedieren auch die Kleingärten den Berliner. Der Wirkstoff heißt: Maschendraht. Schönheit ist teuer, da sollte an Zäunen zuletzt gespart werden. Wo ein Zaun Berlin von Rest-Berlin und den einzelnen Berliner von 3,4 Millionen anderen Berlinern trennt, da entfaltet sich spezielle Schönheit. Ist das anderswo auch so, dass nur das Trennende versöhnt, Zerstörungswut in Sanftmut verwandelt? Ein Zaun sagt mehr als die zigtausend Vorschriften, mit denen die Verwaltung die Bürger zur Räson bringen will. Jedes Verbotsschild erreicht weniger als ein Zaun.
Selbst Tierfreunde werden eingenordet. Auf meiner Allee der Schönheit, von der Paradestraße bis zum S-Bahnhof Tempelhof, kann jeden Morgen der Beweis erbracht werden. Hundebesitzer treiben ihr Unwesen nur jenseits des Zauns, also am Tempelhofer Damm, auf dem Gelände traut sich der Gassigeher nicht. Ich gehe deswegen immer beim Eingang Paradestraße aufs Feld und erst wieder beim Bahnhof Tempelhof wieder runter (der übrigens in seiner Bruchbuden-Hässlichkeit nach einem Zaun-Äquivalent schreit).
Das besondere Verhältnis des Berliners zu dem, was ein Zaun ist oder wenigstens danach aussieht, beginnt – im Baumarkt. In dieser Stadt sind bestimmt so viele Quadratmeter mit Baumärkten zugestellt wie es freies Grün gibt. Bevor Sie auf dem Flughafengelände ihren Drachen steigen lassen, gehen Sie bitte zu Obi & Co., Abteilung Trennschärfe. Hier ist mein Zaun, hier bin ich Mensch. Berlin ist der Ort auf der Welt, wo Menschen gerne tot überm Zaun hängen wollen!
Spießer aller Kieze, vereinigt Euch, werden Sie jetzt schreien. Aber bitte wägen Sie im Kleinen und im Großen ab. Schönheit und Frieden in Berlin brauchen Zäune. Was für wenige Quadratmeter in der Gartenkolonie gilt, das gilt auch für die vielen, vielen Hektar in Tempelhof: Nur Zäune schaffen Wellnessoasen.
Vulgärpsychologen wie ich sagen, das ist das genetische Erbe des Mauer-und-Zaun- Berliners. Um West-Berlin lief das graue Betonband und um das erweiterte Ost-Berlin der Maschendraht. Das hat geprägt, Lebens- und Verhaltensweisen. Für den Gesamtberliner also gilt dieses Grundgesetz: High sein, frei sein, ein Zaun, der muss dabei sein!
Schön, dass wir uns wenigstens da einig sind.
Der öffentliche Raum kommt erst dann zur Ruhe, wenn er ordentlich eingesperrt ist.
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