Berlin-Spandau: Bäume weg - für einen Bürgersteig in der Mini-Straße
Wut am Glienicker See: Alte Bäume sollen fallen, Grundstückbesitzer sich an den Kosten beteiligen. Der Stadtrat argumentiert mit Umweltschutz.
Die Wut in Kladow ist groß. Breite Ablehnung der Betroffenen schlug Baustadtrat Frank Bewig (CDU) bei einer Diskussionsveranstaltung über den geplanten Ausbau der schmalen Straßen zwischen Flugplatz und Glienicker See entgegen. Konkret geht es derzeit um eine kleine Straße mit dem idyllischen Namen – Kurpromenade.
Das Idyll könnte dort bald vorbei sein. Denn dort sollen dem notwendigen Bau einer Kanalisation zahlreiche alte, große Bäume weichen. Außerdem drohen den Besitzern der anliegenden Grundstücke für den Straßenausbau erhebliche Erschließungsbeiträge – die Rede ist von 12.000 bis 24.000 Euro. „Wer soll das denn bezahlen können?!“, schimpfen Anwohner.
Und wer brauche überhaupt so einen Bürgersteig, wenn den doch eh niemand in den vergangenen 80 Jahren vermisst habe und nur ein paar Autos über die Straße rollen. „Wir teilen uns als Fußgänger, Rad- und Autofahrer den Weg, es gibt null Probleme, aber jetzt das …“
Ausgangspunkt eines groß angelegten Entwässerungskonzeptes
„Das“ bedeutet: Der Ausbau der Kurpromenade, der 2018 beginnen und zwei bis drei Jahre dauern soll, ist erst der Anfang der geplanten Umsetzung eines großes Entwässerungskonzeptes für den gesamten Siedlungsbereich südlich des Ritterfelddammes.
Weil das Wasser hier nur in die Schmutzwasserkanalisation abfließen kann, kommt es hier bei Starkregenfällen immer wieder zu massiven Überflutungen – und so gelangen auch Fäkalien in den Groß-Glienicker-See. Aus diesem Grund planen Bezirk und Wasserbetriebe den Bau von zusätzlichen Regenwasserkanälen im Siedlungsbereich und einem Versickerungsbecken am Ende des Seekorso.
Die Kurpromenade mit dem hier zu bauenden Kanal bildet eine „Schlüsselrolle“ bei dem Entwässerungskonzept, heißt es im Rathaus. Und sie muss im Zuge des Kanalbaus nach den gültigen Ausführungsvorschriften gemäß ihrer Kategorie ausgebaut werden, betonen Bewig und seine Mitarbeiter.
Bei einer Verkehrszählung im vergangenen Jahr waren hier in einer Stunde neben 331 „normalen“ Kraftfahrzeuge auch zehn Schwerlastzüge erfasst worden, hatte der Stadtrat in der Bezirksverordnetenversammlung im Juni erklärt. Das ist deutlich mehr als der Eindruck vieler Anlieger. These von Anwohnern: Der Verkehrszähler kam in jener Morgenstunde, wenn quasi alle Anwohner zur Arbeit fahren und am Ende der Straße die Baustellen für einige Häuser beliefert werden.
Mail in der Nacht: Nicht pro Stunde, sondern pro Tag
Nachtrag: In der Nacht hat der Stadtrat mitgeteilt, dass ihm bedauerlicherweise ein Fehler unterlaufen sei. „Ich habe mich bedauerlicherweise in der letzten BVV bei der Frage der Frequentierung in der Einheit vertan“, schrieb Frank Bewig dem Tagesspiegel. „Die Verkehrszählung hat nicht 331 Kfz in der Stunde, sondern am Tag gezählt.“
Laut Bauvorgaben müssen die Bäume fallen
Der vorgeschriebene Mindestausbau hat es in sich: Dazu gehören aus Sicht des Bauamtes eine neue Fahrbahn mit einer Breite von 5,50 Metern sowie befestigte Gehsteige mit 2,50 Metern auf der beleuchteten und zwei Metern auf der unbeleuchteten Seite. Da die – bisher unbefestigten – Straßenränder mit den Baumbestand über dem Fahrbahnniveau liegen, sieht man bautechnisch auch keine Möglichkeit zur Erhaltung der Bäume. Das sehen viele Anwohner anders – und fordern einen Verzicht auf befestigte Gehsteige. Die Bäume könnten stehen bleiben.
In diese Richtung zielt auch ein Antrag der Grünen, der am nächsten Dienstag im Bauausschuss behandelt wird und zu einer Beschlussfassung für die letzte BVV vor der Sommerpause am Mittwoch führen könnte. Die Partei, die allerdings von einer Verkehrsstärke von unter 150 Fahrzeugen pro Stunde ausging, sieht die Kurpromenade als Erschließungsstraße und möchte sie unter Erhaltung der Bäume als Wohnweg mit 5,50 Meter breiter Fahrbahn in Form einer verkehrsberuhigten Zone ausweisen.
Baustadtrat Bewig bekundet Verständnis für die Anwohner
In der lebhaften Bürgerversammlung habe es diverse Anregungen gegeben, die jetzt intern überprüft werden, sagte Bewig dem Tagesspiegel. „Bisher erkenne ich aber nicht, dass schlüssige Alternativen dabei sind.“ Er verstehe die Bürger „total“, dass ihnen die Planungen „überdimensioniert“ erscheinen und sie Erschließungsbeiträge „in schmerzhafter Größenordnung“ ablehnen.
Mit einem abweichenden Ausbau würde man jedoch gegen geltendes Recht verstoßen und an der Notwendigkeit einer Regenwasserkanalisation bestehe kein Zweifel. Dennoch soll das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Bewig will weiter im Dialog mit Vertretern der Anwohner bleiben – die hingegen kritisieren: „Es gibt ja eben keinen echten Dialog, das ist mehr ein Referat von vollendeten Tatsachen.“
Die Bäume könnten bereits mit Ablauf der Schutzperiode im Oktober fallen.
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Rainer W. During