Parken in Berlin: Autofahrer und Radler kämpfen um die besten Plätze
Die einen klagen über zugeparkte Radwege, die anderen über fehlende Stellplätze. Braucht Berlin mehr Parkflächen? Ein Pro & Contra.
Der Regierende Bürgermeister ärgert sich, dass in seiner Straße Parkplätze wegfallen, um den Radverkehr sicherer zu machen. Im März hatte die Verkehrsverwaltung 21 derartige Projekte genannt, bei denen einige Parkplätze beseitigt werden sollen. Eine genaue Zahl wurde nicht genannt. „Wenn es um Parkplätze geht, ist der Spaß vorbei“ – das hatte Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne) bereits im März gesagt.
Rein rechnerisch gibt es Platz genug für alle Autos. Denn das Berliner Stadtstraßennetz ist gut 5000 Kilometer lang. Da in aller Regel beidseitig geparkt werden darf, ist der Parkstreifen 10.000 Kilometer lang. Da passen bei fünf Meter pro Auto zwei Millionen Autos hin. Berlin hat aber nur 1,2 Millionen Pkw – dennoch klagen viele Menschen über fehlende Stellplätze. Und immer mehr Menschen ärgern sich über illegal auf Rad- oder Fußwegen abgestellte Autos. Da der Kfz-Bestand seit Jahren kontinuierlich wächst, wächst das Problem. Vor zehn Jahren gab es nur 1,1 Millionen Pkw. Die Zunahme hat zwei Gründe: Berlin wächst, allerdings ist auch der Trend gebrochen, auf das eigene Auto zu verzichten. Berlin bleibt aber die Stadt mit der geringsten Motorisierung. Genau sind es 340 Pkw pro pro 1000 Einwohner.
Keine genaue Zahl der Parkplätze
Wie viele Parkplätze es genau gibt, weiß keiner. Eine exakte Zahl hat die Verkehrsverwaltung nur für die 40 Parkzonen, die überwiegend in der City liegen: 103 210 Stellplätze werden „bewirtschaftet“, es muss also gezahlt werden.
Der Stadtforscher Tim Lehmann hat im Jahr 2016 eine Studie zum Thema Parken vorgestellt. Darin wird vorgeschlagen die 80 000 Plätze vor Discountern nachts für Anwohner zu öffnen und die 50 000 freien Plätze in Parkhäusern besser zu nutzen. Nach Schätzung von Lehmann parkt etwa die Hälfte der Berliner ihren Pkw auf öffentlichem Straßenland.
Nach Angaben des Umweltbundesamtes würde schon eine geringe Reduzierung der Pkw helfen. Wären es nur 300 Pkw statt der 340 pro 1000 Einwohner, hätte die Stadt genug Platz für die vom Volksentscheid Fahrrad geforderten Radwege, hatte UBA-Expertin Katrin Dziekan kürzlich vorgerechnet. Der Volksentscheid hatte im Februar für mehr Flächengerechtigkeit demonstriert. Radfahrer haben nur drei Prozent der Verkehrsfläche.
PRO-ARGUMENT von Jörg Becker
Durchschnittlich 62 Stunden pro Jahr verbringt der Berliner Autofahrer derzeit damit, einen Parkplatz zu finden. Die jüngst veröffentlichten Zahlen verdeutlichen nun genau das, was jeder aus dem Alltag kennt: Die Parkplatzkapazitäten in der Hauptstadt sind erschöpft. Eine ständig wachsende Stadt wie Berlin hat natürlich Mobilitätsprobleme, denn Flächen für die Verkehrsabwicklung wachsen nicht mit. Das Mobilitätsverhalten der Berliner, der Umlandpendler und der Hauptstadt-Besucher muss sich Schritt für Schritt ändern. Das ist unbestritten. Trotzdem bleibt für die Anwohner und Gewerbetreibenden in der Innenstadt das Auto weiterhin unverzichtbar.
Eine Mobilitätswende – wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben – wird nur dann gelingen, wenn alle Bevölkerungsgruppen mitgenommen werden und Veränderungen in der Verkehrsinfrastruktur auf Akzeptanz stoßen. Dafür müssen den Anwohnern zuerst entsprechende Alternativen aufgezeigt werden, denn das Rad allein kann und wird das Auto nicht ersetzen. Auch die Angebote im ÖPNV müssen weiter ausgebaut werden. Die Umsteigebereitschaft ist in großen Teilen gegeben, das zeigen auch unsere jüngsten Befragungen.
Die Verdrängung des Autoverkehrs ohne attraktive Alternativangebote wird keine Lösung für den Platzmangel in der Hauptstadt sein. Spontan umgesetzte Maßnahmen wie Parkplatzreduzierungen zugunsten des Radverkehrs sind nicht zielführend. Sie schaden insbesondere denjenigen, die nach wie vor auf ihr Auto angewiesen sind. Noch mehr Parksuchverkehr wird alle Initiativen zur Mobilitätswende zunichtemachen und das Verkehrsklima weiter verschlechtern. Wo bleiben die verbesserten Nahverkehrsangebote für die Berufspendler? Hier muss angesetzt werden! Weniger Autopendler tragen zur Reduzierung der Parkplatzprobleme wirksam bei. Wir sind dem Regierenden Bürgermeister sehr dankbar, dass er die Sorgen und Nöte der Anwohner, die ein Auto besitzen, nicht aus den Augen verliert. Wir fordern jedoch politische Lösungen, die weit über seinen Tempelhofer Kiez hinausgehen.
Der Autor ist Leiter Verkehr des Automobilclubs ADAC Berlin-Brandenburg
CONTRA-ARGUMENT von Evan Vosberg
Wer über Parkplätze redet, redet über die Verteilung kostbaren öffentlichen Raumes. Wer darf welche Fläche nutzen? Wo dürfen Kinder spielen, Cafés ihre Tische aufstellen? Welchen Platz teilen sich Fußgänger auf Gehwegen, wo dürfen Fahrräder und Autos fahren und abgestellt werden? Die Ungleichheit ist nicht zu leugnen: Obwohl die Berliner nicht einmal jeden dritten Weg mit dem Auto zurücklegen, benötigen private Pkw den meisten Platz. Im Schnitt werden sie am Tag 30 Minuten bewegt, meist sitzt nur eine Person im Wagen. Die restlichen Stunden steht das (private) Auto herum und nimmt (öffentlichen) Platz weg. Und zwar an nahezu allen Straßenrändern.
Die Frage nach Parkplätzen betrifft deshalb nicht nur Auto- und Radfahrer, sondern uns alle. Es ist die Frage nach gerechter Aufteilung der Flächen. Berlin hat noch Glück: Ein Großteil der Zehntausenden, die jährlich neu hinzuziehen, bewegt sich umweltfreundlich und platzsparend zu Fuß, per öffentlichem Nahverkehr oder Fahrrad. Würden sie alle irgendwo ein Auto parken wollen, stünden wir kurz vor dem Kollaps. Dabei hat die Hauptstadt noch viel mehr Platz als vergleichbare Großstädte. Was fehlt, ist seine intelligente Nutzung: Ausreichend Zonen für den Lieferverkehr, Behindertenparkplätze, Kurzzeitparken vor Geschäften, damit Dauerparker nicht der Kundschaft die Parkplätze wegnehmen. Voraussetzung ist, dass Ordnungsämter diese Regeln endlich konsequent durchsetzen.
Pendler, die täglich von außerhalb in die City fahren und dort die Straßenränder besetzen, müssen durch passgenaue Nahverkehrsangebote sowie Park-and-Ride- Plätze im Umland zum Umstieg bewogen werden. Hinzu kommen unzählige Parkhäuser, die selbst in Gegenden mit höchstem Parkdruck leer stehen. Hier müssen sich Betreiber und Bezirke zusammensetzen, um den verschenkten Raum attraktiv zu machen. Der Regierende Bürgermeister sollte sich endlich Gedanken über ein nachhaltiges Parkraumkonzept machen, statt sich nur vor seiner Haustür umzusehen. Und wenn er das schon tut, sollte ihm auch die Zahl der Fahrradbügel auffallen – nämlich null.
Der Autor ist stellvertretender Landesvorsitzender des Fahrradclubs ADFC und Vorstand für Verkehr