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Seminar im Museum. Mit allen Sinnen sollen sich die Teilnehmer eines Workshops im „me Collectors Room“ die Kunst erschließen.
© Kai-Uwe Heinrich

Meditationsworkshop im Museum: Augen schließen für die Bilder

Elf Sekunden pro Objekt – so lange reicht durchschnittlich die Aufmerksamkeit in einem Museum. Ein Workshop soll Achtsamkeit wecken.

Wer seinen inneren Frieden finden will, der muss erst mal durch die Hölle. Zumindest an diesem Nachmittag in Mitte. Vorbei an den Gräueln der napoleonischen Besetzung Spaniens, vorbei an Skeletten, die über Baumstämmen hängen, vorbei an einer Krähe mit blutroten Augen und einem gekreuzigten Cheeseburger. Erst wer dieses schräge Horrorkabinett durchwandert hat, darf durchatmen. Dann aber gleich eine ganze Stunde lang.

„Art & Mindfulness“, also Kunst und Achtsamkeit heißt der Workshop in den Ausstellungshallen des „me Collectors Room“ in der Auguststraße, der das einstündige Durchatmen in meditative Bahnen lenken soll. Knapp 20 Besucher sind gekommen. Martin Freitag extra aus Leipzig: „Ich gehe viel ins Museum und würde gerne lernen, Kunst wieder mehr auf mich wirken zu lassen.“

Entschleunigung, Reflexion, Zeit für ungestörte Betrachtung – das sollten eigentlich Grundprinzipien eines Museumsbesuchs sein. Nur sieht es in der Realität oft anders aus. Besucher verbringen durchschnittlich elf Sekunden vor einem Kunstwerk, bis sie sich zum nächsten schieben. Nicht unwahrscheinlich, dass sie dabei einen Teil der Zeit gar nicht auf die Leinwand, sondern auf das Handy in der Hand gucken.

Nico Rönpagel will sich damit nicht abfinden, dass die Kunst nicht mehr die Aufmerksamkeit erhält, die ihr eigentlich zusteht. Er leitet den Workshop und beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit dem Thema Meditation. Rönpagel hat über Kunstmuseen und Spiritualität promoviert. Er beobachtet, dass der Gang durchs Museum oft dem Abhaken einer Checkliste gleicht: „Wir denken in den immer gleichen Kategorien: Form, Farbe, Künstler, Epoche, Check, Next.“

Seine Herausforderung für den einstündigen Workshop deswegen: die Checkliste vergessen machen. Und dafür muss er zunächst zu einer radikalen Maßnahme greifen. An diesem Samstag im Museum bedeutet das: alle mal die Augen schließen!

Die Teilnehmer sollen das machen, was sie sonst nie tun: das Museum hören. Das gibt nämlich, entgegen aller Erwartungen, ziemlich viel Geräusche von sich: Schritte hallen durch die hohen Räume, gedämpfte Gesprächsfetzen wehen vorbei, die blecherne Tonspur eines Filmexponats rattert ohne Unterbrechung vor sich hin. Die Übung, eine Art meditatives Warm-Up, bevor es mit der Andacht und Besinnung ernst wird. Als nächstes sollen die Teilnehmer sich zu zweit durch die vier Ausstellungshallen bewegen; jeweils einer hat die Augen geschlossen, der andere geöffnet.

Antippen bedeutet: "Augen öffnen!"

Als Paare ziehen sie an den stolzen Frauenfiguren vorbei, die einem aus den Ölgemälden von Jonas Burgas entgegenblicken, bleiben stehen vor den düsteren Zeichnungen Goyas oder den morbiden Skulpturen der Brüder Jake und Dinos Chapman. Tippt der Sehende seinen Partner an, bedeutet das, „Augen kurz öffnen“.

Für Nicola Wintrich eine besondere Erfahrung: „Es war interessant einen Ausschnitt zu sehen, den jemand anderes für dich ausgewählt hat, fast wie ein Stück fremde Wahrnehmung.“ In einer anderen Übung nehmen die Teilnehmer einen Ausschnitt eines Kunstwerks in den Fokus; sie nähern sich Schritt für Schritt einem riesigen Ölgemälde so lange, bis sie nur noch eine Fingerbreite von den Figuren auf der Leinwand trennt und der Geruch der Ölfarbe beginnt, in die Nase zu steigen.

[Der nächste Workshop findet am 7. August um 18 Uhr statt. Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Personen begrenzt. Anmelden kann man sich unter: info@me-berlin.com. Kosten: 14 Euro pro Person]

Für Rönpagel, der sich mit dem Thema Achtsamkeit schon beschäftigte, bevor es von gestressten Städtern entdeckt wurde, ist der Workshop Teil eines größeren Nachdenkens über das Wechselspiel von Kunst, Wahrnehmung und Verlangsamung. Er sagt, in manchen Achtsamkeitsseminaren, die er auch in Unternehmen abhält, komme es immer wieder dazu, dass Mitarbeiter nach dem Seminar den Job kündigen oder in eine andere Abteilung wechseln wollen. „Ich glaube, dass Achtsamkeit uns helfen kann ein besseres Verhältnis dazu zu bekommen, was uns gut tut und was uns nicht gut“, sagt er nach dem einstündigen Workshop.

Martin Freitag aus Leipzig will nach dem Workshop zwar nicht seinen Job wechseln, mit der Stunde ist er trotzdem zufrieden. Er wolle versuchen, den Kunstwerken noch mehr Aufmerksamkeit zu geben und sich auch im Museum mehr Pausen zu gönnen.

Auf die Frage, wie viel Aufmerksamkeit für ein Gemälde angemessen sei, antwortete der Museumsdirektor der Uffizien in Florenz kürzlich in einem Interview: „ein ganzes Leben“. Der Workshop im „me Collectors Room“ könnte ein guter Anfang sein.

Antonia Märzhäuser

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