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Niedliche Raubtiere. Die Löwen von Tamara Fedorowa sind in den siebziger Jahren entstanden.
© Köpcke und Weinhold

Schau zu sowjetischem Spielzeug: Quietschventil für die Genossen

Wenn Bildhauer Tiere entwerfen: „Zoo Mockba“ im Me Collectors Room erzählt von der Blüte sowjetischen Spielzeugdesigns.

Jetzt schaut der Sammler doch etwas nervös. Zwar ist es nur Spielzeug, klar. Aber eins, das im Me Collectors Room der Berliner Stiftung Olbricht neuerdings mit musealen Weihen ausgestattet ist. Bitte lieber nicht quetschen, sagen Sebastian Köpckes Augen, wenn man den dickwandigen Gummikörper der Giraffe betastet. Tut man es doch, offenbaren zarte Risse sogleich, wie sehr der Zahn der Zeit am Material sozialistischer Kinderträume zehrt. Denn nichts anderes war das im Gummiwerk „Rotes Dreieck“ in Leningrad, dem damals größten Gummiwerk Europas, nach einem Entwurf der Gestalterin Natalia Tyrkova fabrizierte Spielzeugtier einst: ein Sehnsuchtsobjekt von Kindern, die in der vom Zweiten Weltkrieg ausgebluteten Sowjetunion kaum Spielzeug kannten.

Und wenn, dann handgefertigtes aus Holz oder Ton, das sich an traditioneller Volkskunst orientierte. Zumal es in der Zarenzeit keine russische Spielzeugindustrie gab, sondern betuchte Eltern zur Erbauung der lieben Kleinen auf Puppen oder Blechspielzeug aus Frankreich oder Deutschland zurückgriffen. Da war so etwas Leichtes, Biegsames, Modernes wie die Giraffe oder ihre kleine Schwester, die Ziege, die neben einer deutlich sichtbaren Klebnaht auch noch ein Quietschventil am Körper trägt, im Nachkriegs-Sowjetreich völlig neu.

Der Frosch von Natalia Tyrkowa passt mit seiner Tänzerpose in die Disko-Dekade der Siebziger.
Der Frosch von Natalia Tyrkowa passt mit seiner Tänzerpose in die Disko-Dekade der Siebziger.
© Köpcke und Weinhold

Es ist eine allerliebste, die Mundwinkel beim Betrachten unwillkürlich hebende Menagerie, die die Berliner Sammler Sebastian Köpcke und Volker Weinhold unter dem Titel „Zoo Mockba“ zusammengetragen haben. Zumal es den in den Jahren 1950 bis 1980 produzierten Spielzeugen aus Zelluloid und Polyethylen geht wie dem berühmten Propheten im eigenen Land. Zu Hause gelten sie wenig, wie Volker Weinhold erzählt, waren noch nie Gegenstand einer eigenen Ausstellung und werden erst jüngst wieder zaghaft von Sammlern entdeckt.

Das ist erstaunlich, weil die gestalterische Qualität so frappierend ist. Schaut man sich die Giraffe mit Jungtier des 1929 geborenen Bildhauers Lew Smorgon an, weiß man nicht, wo das Spielzeug aufhört und die Skulptur beginnt. Der abstrahierte Körper in Gelb und Orange könnte auch vom Luftballonfalter unter den zeitgenössischen Künstlern – Jeff Koons – stammen. Sie wurde aber von einem jener bekannten Bildhauer aus St. Petersburg geschaffen, den Sebastian Köpcke bei seiner Recherche auf den Spuren des Spielzeugs auch dort besucht hat. Heute arbeite Smorgon in Stahl, Stein und Holz und wolle eigentlich gar nichts mehr von seinen Anfängen als Designer wissen, erzählt Köpcke. „Aus der Spielzeugfabrikation hat er sich schon Ende der Siebziger zurückgezogen.“

Das Lebensgefühl einer Generation von Überlebenden

Deren gestalterische Blüte mit dem Schwerpunkt Moskau, aber ganz besonders in Leningrad, beginnt Anfang der fünfziger Jahre. Da befeuert die staatliche Direktive, sich im Rahmen des sozialistischen Aufbruchs nun endlich auch dem Kind zuzuwenden, eine ganze Gruppe von Absolventinnen und Absolventen der Leningrader Kunsthochschule. Plötzlich bieten sich in der sowjetischen Spielzeugindustrie gestalterische Freiräume, preiswerte Materialien und Produktionskapazitäten, um Neues auszuprobieren und eine eigene Formensprache zu entwickeln. In der Bildenden Kunst gibt der sozialistische Realismus der propagandistisch aufgeladenen Bildsprache ein enges Korsett vor. Aber im Alltagsdesign gibt es jetzt Spielraum für Fabelwesen mit zwei Köpfen und Schweifen, für von der sowjetischen Zeichentrickfilmästhetik inspirierte Geschöpfe, für Tiere mit absurd auseinanderziehbaren Akkordeonbäuchen, wie sie die gebürtige Tschechin Libuše Nyklova in den Sechzigern schafft, und für Lew Smorgons Rehkitze, die mit ihren Manga-Augen aus einem Alien-Universum zu stammen scheinen. Plaste und Elaste ist plötzlich Zeitgeist, Lebensgefühl, künstlerische Avantgarde.

Es ist das Lebensgefühl einer Generation von Überlebenden, auch der Belagerung Leningrads, das sich hier spielerisch Bahn bricht. Einer vor ihnen ist der 2006 verstorbene Bildhauer Lew Razumowsky, dessen lustig aneinander baumelnden roten Affen nichts vom Schicksal ihres Schöpfers ahnen lassen. Razumowsky wurde an der Front ein Arm abgeschossen, wie die Sammler erzählen, die auf biografischen Tafeln die Lebenswege und den künstlerischen Kontext der wichtigsten Spielzeugschöpferinnen vorstellen. 200 ihrer rund 400 Teile umfassenden Sammlung sind in der Auguststraße zu sehen. Chronologisch eingeleitet von den in den vierziger Jahren noch ziemlich naturalistisch daher paradierenden Elefanten, Löwen, Kamele und Eisbären des Bildhauers Boris Worobjew (1911- 1990), der am Beginn dieser kurzen künstlerischen Spielzeugblüte steht.

Bambi und seine Freunde. Lew Smorgons Reh entstand 1965.
Bambi und seine Freunde. Lew Smorgons Reh entstand 1965.
© Köpcke und Weinhold

Dass die beiden Mitfünfziger Köpcke und Weinhold in Ost-Berlin aufgewachsen sind, hat übrigens nichts mit ihrer Ausstellung zu tun. Auch wenn ihnen das eine oder andere Tier in der DDR-Kindheit mal kurz in die Hände kam. „Die hätten uns genauso begeistert, wenn sie aus Frankreich stammen würden“, sagt Weinhold. Er hat die Spielzeuge ganz zufällig entdeckt. Im Jahr 2013 in der Wunderkammer der digitalen Neuzeit, vulgo: auf Ebay. Da fahndete er nach Spielzeugschiffen, den die beiden auf Sammlungsdokumentation und Ausstellungen spezialisierten Fotografen und Grafiker auch mal eine Schau gewidmet haben. Innerhalb weniger Jahre trugen die beiden dann mit Hilfe der in St. Petersburg ansässigen Spielzeugexpertin Daria Soboleva Tier um Tier im Internet und auf diversen Russlandreisen zusammen, suchten noch lebende Bildhauerinnen und Bildhauer oder ihre Nachfahren auf und deckten die verschüttete Gestaltungsnische so gut es ging auf.

Hinter Glas ausgestellt und auf großformatigen Fotos plastisch inszeniert, erhalten Entwürfe wie Elena Podwoloskajas Langbauch-Dackel erst die angemessene Aura. Sie speist sich aus dem Zauber der guten Form. Und dem Wunsch, kurz und kräftig zuzudrücken.

Me Collectors Room/Stiftung Olbricht, Auguststr. 68, bis 22.4., Mi-Mo 12-18 Uhr, Sammlerführung: 14.3., 18 Uhr

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