Zwangsumtausch in der DDR: Auf Ost-Besuch ein Krösus
Weihnachten 1989 endete der Zwangsumtausch. 25 Ost-Mark waren viel Geld, das man erst mal ausgeben musste. Sechs Erinnerungen.
Ende mit Spende
Wenn ich heute durch die Friedrichstraße spaziere, vorbei an Designergeschäften, manchmal auf dem Weg zu meinem liebsten Schokoladenladen oder zu einem exotischen Restaurant, das ich schätze, versuche ich mir vorzustellen, wie das damals war. In dieser Gegend hatte ich tatsächlich mal Mühe, 20 Mark auszugeben. Das Essen in Restaurants, die Ost-Mark akzeptierten, war nicht gut, dafür aber billig. Für sozialistische Fachliteratur interessierte ich mich nicht, und Klamotten waren im Westen schicker. Was also tun? Man durfte das Geld ja nicht mit zurück nehmen, wegwerfen kam nicht in frage, ob es gestattet war, es einfach zu verschenken, wusste ich nicht. Damals fühlte ich mich in Ost-Berlin wie in einem sehr fremden Land und wollte nichts falsch machen, damit sie mich am Ende nicht noch da behielten. Wie erleichtert war ich, als ich eine Spendenbox am Berliner Dom entdeckte zur gefahrenfreien Entsorgung des Geldes. Niemals hätte ich ahnen können, dass diese Box Investitionen schluckte für eine gemeinsame Zukunft in einer wunderbar geheilten Stadt!
Elisabeth Binder
Arme Westverwandten
Ich muss so acht oder neun gewesen sein, als ein paar entfernte West-Berliner Vettern meiner Mutter mit einem Besuch beehrten. Vorausgeschickt hatten sie ein paar Wochen zuvor ein Paket, in dem sich abgelegte Kleidung, Einmach-Zucker, drei Tafeln Schokolade und ein Pfund Kaffeepulver befanden. Meine Mutter vermutete, ihre Cousins hätten da was verwechselt: Damals war gerade aus der Mangelwirtschaft bei unseren Nachbarn in Polen eine Extremmangelwirtschaft geworden, und es fehlte dort am Nötigsten. In der Schule hatten wir auch gerade Päckchen gepackt mit Fressalien für drüben, also für Polen.
Jetzt kamen also die Verwandten. Sie fuhren mit einem Audi vor. Man sei etwas spät dran, weil man eingekauft habe. Schon öffnete sich der Kofferraum, aus dem Kohlköpfe, Mohrrüben und Kartoffeln quollen. Das habe man vom Zwangsumtausch gekauft, sagte der Vetter, der ein Einrichtungsgeschäft besaß. Meiner Mutter fiel ein Stein von Herzen, als sich der Kofferraumdeckel gleich wieder schloss, weil das Gemüse die Reise nach West-Berlin antreten sollte. Mir als Kind war klar: Der tolle Audi musste derart teuer gewesen sein, dass es nur noch für Kohl und Rüben reichte. Und in Zehlendorf lebten eine Menge Menschen, die mindestens so arm dran waren wie die in Polen.
Björn Seeling
Hat sich ausgezahlt
Der Zwangsumtausch war ja von Anfang an ein Paradox. Einerseits waren 25 D-Mark pro Person viel Geld für unsere Familie. Für 50 Mark am Tag wäre ein netter Urlaub im Süden allemal drin gewesen. Aber Oma und Opa lebten in der Nähe von Dresden, Vaters alte Freunde auch, Mutter fühlte sich dort wohl und für uns Kinder lag da sowieso das Paradies. Dass dieses Gefühl auch damit zusammenhing, dass die DDR auf dem Dorf die glücklichen 60er Jahre unserer Kindheit für weitere Jahrzehnte konserviert hatte, ging mir erst viel später auf.
Jedenfalls – 25 Mark pro Nase waren so viel Geld, dass später, als mein Bruder und ich über die Kinder-Altersgrenze gerutscht waren und auch zahlen mussten, jeweils nur noch ein Elternteil und ein Kind reisen konnten. Wir waren nicht arm, aber es gab Grenzen.
Kaum bei den Großeltern angekommen, drehte sich die Situation allerdings um: Wir waren plötzlich Krösusse. So viel essen und trinken konnten wir gar nicht, dass unser Ost-Markkonto davon nennenswert geschrumpft wäre; Eintrittsgelder, Busfahrten, alles das kostete nur Pfennige. Mein kunstsinniger Vater hatte eine Idee: Er kaufte Farben, Malblöcke und vor allem die sehr aufwendig und schön ausgestatteten Kunstbände. Die gab es zwar im Laden gar nicht. Aber er hatte eine belastbare Beziehung zur Buchhandlung der evangelischen Kirche in Dresden aufgebaut. Dort hinterließ er seine Bestellung, zahlte vorab, und wenn das Buch da war, musste mein Großvater brummelnd seinen Mechanikerkittel ausziehen, in seine einzige Sonntagshose steigen und es „in der Stadt“ abholen.
Ich muss 15 Jahre alt gewesen sein, als ich auch eine Idee hatte. Großvater hatte mir zur Konfirmation eine Modelleisenbahn geschenkt. Die sah aus wie die West-Bahnen, verhielt sich allerdings östlich: dauernd kaputt, keine Ersatzteile. Ich hatte viel zu reparieren an Drähten, Lämpchen und Motoren. Ein Seitenschneider musste her. Ich nahm 25 Ost-Mark und fuhr „in die Stadt“, versehen mit einer Liste der in Frage kommenden Geschäfte. Die Liste war kurz, die Wege lang, aber dank der pfennigbilligen Straßenbahn immerhin zu bewältigen.
Lang aber und länger wurde mein Gesicht. Ich weiß nicht mehr, wie viele kopfschüttelnde Bedienungen ich traf, nein, Seitenschneider hätten sie keine. Besonders einen älteren Kaufmann in einem alten Laden werde ich nie vergessen. Seitenschneider, sagte der Mann, davon habe er vor Jahren acht Stück geliefert bekommen. Die seien aber noch am selben Tag weggegangen. Wann die nächste Lieferung komme, wage er nicht vorherzusagen. Die wären dann aber auch sofort wieder weg. So habe ich früh verstanden, dass diese Planwirtschaft jedenfalls nicht funktionierte. Für diese erfahrungsgesättigte Erkenntnis habe ich dann viel später in meiner West-Schule in Gemeinschaftskunde eine gute Note bekommen.
Der Zwangsumtausch hat sich für mich also ausgezahlt.
Robert Birnbaum
Kapital fürs Kapital
Der Zwangsumtausch dürfte den Absatz der blauen Bände der Marx-Engels-Werkausgabe, MEW unter Kennern, jahrelang massiv befördert haben. Die HO-Läden in Leipzig waren in jenem Sommer vor 30 Jahren leer und die MEW schien mir sowieso eine vernünftige Anlage. Auf den Kurs „Das Kapital I-III“, einen Dauerbrenner im Angebot des Historischen Seminars der Freiburger Uni, konnte ich mich danach aus dem Original statt aus dem dünnen Reader vorbereiten. Ich fürchte, ich habe es danach nie wieder aufgeschlagen. Trotzdem machten die Bände noch etwa fünf Umzüge mit und behaupteten ihren Platz im Regal noch etliche Jahre nach meinem Entschluss, im Digitalzeitalter anzukommen und Gedrucktes drastisch zu reduzieren. Erst letztes Jahr wanderten sie auf den Tagesspiegel-Basar.
Andrea Dernbach
Scheine für Heine
Kurz vor dem Abitur ist unsere Klassenstufe 1983 nach Berlin aufgebrochen. 70 Schülerinnen und Schüler aus der baden-württembergischen Provinz übernachteten in einem Jugendhotel in West- Berlin, zehn Betten pro Zimmer und ein Waschsaal. Die Lehrer hatten natürlich auch einen Besuch in Ost-Berlin vorgesehen. Am Bahnhof Friedrichstraße ging es über die Grenze und mit 25 Ost-Mark im Tausch gegen unsere 25 D-Mark waren wir plötzlich ziemlich reich. Nach den ersten Ausgaben für (schlechten) Kaffee dämmerte den meisten, dass sie das Geld kaum an einem Tag würden ausgeben können. Also strebten einige in einen Buchladen am Alexanderplatz. Die gesammelten Werke von Heinrich Heine und die drei Bände des Kapitals von Karl Marx stehen heute noch im Bücherregal. An der Uni habe ich mich durch den Marx gekämpft und den Heine nehme ich bis heute immer wieder in die Hand. So gesehen war der Zwangsumtausch zwar lästig, aber nicht schlimm.
Dagmar Dehmer
Musik weggekauft
Der erste Kontakt mit dem DDR-Geld war enttäuschend: die Scheine bunt und klein, die Münzen aus Aluminium – und das gab es gegen unsere schöne D-Mark. Wir versuchten, viel Wurst und Kuchen zu essen, und einmal haben wir irgendwo in Brandenburg eine Harry-Belafonte-Schallplatte gekauft – mit schlechten Gewissen den „Ostlern“ gegenüber, weil wir denen auch noch die gute Musik weggenommen zu haben. Zum Glück ist das alles vorbei – aber die D-Mark ist eben auch futsch.
Anja Kühne