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Sonderzug nach Mitte: Harry Belafonte setzte sich dafür ein, dass auch Udo Lindenberg beim FDJ-Konzert singen durfte.
© picture-alliance/ ZB

Harry Belafonte: Sonderzug nach Mitte

Singen für den Frieden: Harry Belafonte trat 1983 bei einem FDJ-Konzert in Ost-Berlin auf. Die Stasi war rund um die Uhr dabei. Ein Blick ins Protokoll.

Wie kontrolliert diese Deutschen sind! Als Harry Belafonte lange nach seinem Besuch in Ost-Berlin im Herbst 1983 gefragt wird, wie er damals seine Gastgeber erlebte, vor allem diejenigen, denen er bei seinem einzigen DDR-Gastspiel begegnet war, sagt der Musiker: „Sehr, sehr diszipliniert.“ So viel Disziplin habe er in seinem Leben nicht gesehen.

Heute, gut 27 Jahre später, lässt sich nachvollziehen, wieso Belafonte, der mit Hits wie dem „Banana Boat Song (Day-O)“ und „Matilda“ schon damals ein Weltstar war und der an diesem Wochenende auf der Berlinale zu Gast ist, sein Publikum als so diszipliniert empfand: Belafontes Besuch in der „Hauptstadt der DDR“ am 25. Oktober 1983, bei dem er zusammen mit Udo Lindenberg auf einem Friedenskonzert der DDR-Jugendorganisation FDJ im Palast der Republik auftritt, ist von der SED mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit lückenlos durchgeplant worden – Überraschungen ausgeschlossen. Das belegen Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit, die dem Tagesspiegel vorliegen.

Belafontes Stippvisite dauert nicht einmal 24 Stunden. Am 25. Oktober 1983 um 12.45 Uhr landet der für seine linke Einstellung bekannte US-Musiker auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld, wo ihn Egon Krenz, der 1. Sekretär des Zentralrates der FDJ, empfängt, wie die Stasi-Unterlagen vermerken. „Der BRD-Sänger Udo Lindenberg hat die Absicht, sich zur Begrüßung von Belafonte auf dem Flughafen aufzuhalten“, schreibt der für die Vorbereitung zuständige Generalmajor missbilligend.

Lindenbergs antiautoritäre Art, für die ihn auch im Osten Deutschlands viele Fans verehren, missfällt den DDR-Oberen. Andererseits gilt Lindenberg zu jener Zeit als prominentes Gesicht der westdeutschen Friedensbewegung und verurteilt die Atomrüstung. „Das machte ihn für die SED-Führung interessant“, sagt Moderator Reinhold Beckmann, der damals als WDR-Kameraassistent dabei war und seine Erlebnisse kürzlich in einer ARD-Dokumentation verarbeitet hat.

Dass Lindenberg an jenem Tag überhaupt mit von der Partie ist, nachdem die SED in den Jahren davor alle seine Auftrittswünsche in der DDR abgelehnt hatte, ist Belafonte und seinem Manager Fritz Rau zu verdanken, der beide Musiker vertritt. Die Honecker-Regierung hat den in der internationalen Friedensbewegung engagierten Sänger eingeladen, weil man sich von ihm politische Unterstützung erhofft. „Ich habe drauf bestanden, einen Rocker aus dem Westen mitzunehmen, dessen Stimme ich wunderbar fand, Udo Lindenberg“, sagt Belafonte später. „Die Machthaber im Osten mochten ihn nicht, weil er irgendeinen frechen Song über Honecker geschrieben hatte.“ Rau erinnert sich, dass er Belafontes von der SED gewünschten Auftritt als Hebel nutzte, um Lindenberg den lange erhofften Gig in Ost-Berlin zu verschaffen, dem eine DDR-Tournee folgen sollte. „Belafonte gab mir sein Einverständnis, dass ich seine Teilnahme davon abhängig machen konnte, dass auch Udo Lindenberg und sein Panikorchester eingeladen wurden“, berichtet Rau dem Tagesspiegel.

Das Honecker-Regime hofft, mit dem Auftritt Belafontes die DDR im Gegensatz zu den Nato-Staaten als Hort des Friedens zu präsentieren, wie aus einem Einsatzvermerk des Leiters der Berliner Bezirksverwaltung der Staatssicherheit, Generalmajor Wolfgang Schwanitz, hervorgeht: „Diese Veranstaltung wird als großes Friedenskonzert, als eine politische Manifestation gegen die Stationierung neuer USA-Raketen in Westeuropa gestaltet“, notiert der Generalmajor. Obwohl die Karten nicht öffentlich verkauft, sondern ausschließlich an FDJ-Mitglieder und andere politisch zuverlässige Zuschauer vergeben werden, befürchtet Schwanitz Probleme: „Es ist damit zu rechnen, dass eine große Anzahl Jugendlicher aus der Hauptstadt und aus den Bezirken der Republik versuchen wird, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, auch wenn sie nicht im Besitz einer gültigen Eintrittskarte sind.“

Die Veranstaltung haben Zeitzeugen wie Beckmann als „bizarren Abend“ erlebt: Während vor dem Palast die Sicherheitskräfte – darunter laut Unterlagen 400 Stasi-Leute, nach anderen Angaben sogar bis zu 1600 – teils mit brutaler Gewalt gegen Jugendliche vorgehen, wird drinnen mit den Auftritten Belafontes und Lindenbergs „eine Friedensshow inszeniert“, bei der das Publikum in Blauhemden artig zu Songs wie „Wozu sind Kriege da?“ und „We Shall Overcome“ applaudiert.

In den Stasi-Unterlagen liest sich das so: „Die organisierten Teilnehmer der FDJ zeigten eine hohe Disziplin und bekundeten während der Veranstaltung mit großem Engagement ihre Entschlossenheit, den Frieden zu verteidigen. Auf die Darbietungen der Künstler reagierten sie politisch klug.“ Belafonte habe „in inoffiziellen Gesprächen eine hohe Wertschätzung und eine große Begeisterung über diese Veranstaltung“ ausgedrückt.

„Das ,Friedenskonzert’ war nicht ganz nach meinem Geschmack“, erinnerte sich hingegen Udo Lindenberg, dessen Lied „Sonderzug nach Pankow“ damals viele in der DDR-Führung zu frech fanden und auf das Lindenberg an diesem Abend verzichtete, um seine geplante Tour nicht zu gefährden: „Während Harry Belafonte singen durfte, was er wollte, hatte mein ,Sonderzug‘ keine Einfahrt.“

Allerdings redet auch Belafonte den DDR-Machthabern nicht nach dem Mund. So ist nachmittags eine Pressekonferenz angesetzt, auf der die SED stolz den US-Gast präsentiert. Als ein West- Journalist Belafonte nach Afghanistan befragt, das seit 1979 von der Sowjetunion besetzt ist, antwortet der Amerikaner mit einer Kritik an beiden Großmächten, die seinen Gastgebern nicht gefallen haben dürfte. Laut Stasi-Protokoll sagte er, „dass er die Anwesenheit der Sowjetunion nicht befürworte. Der Kommunismus und die Sowjetunion wären jedoch nicht daran schuld, dass die USA andere Völker überfallen und in weiten Teilen der Welt großes Elend herrsche. Er trete entschieden dafür ein, dass weder ,Pershing’, ,Cruise Missiles’ noch ,SS 20’ aufgestellt werden.“ Danach folgt eine versöhnlichere Geste: In der Akademie der Künste der DDR nimmt Belafonte seine Berufungsurkunde als Korrespondierendes Mitglied entgegen.

Nach dem Konzert und anschließendem Empfang mit DDR-Würdenträgern im Palast der Republik werden Belafonte und seine Musiker gegen Mitternacht ins Gästehaus des DDR-Ministerrates neben dem Pankower Schloss gefahren. Am folgenden Vormittag werden die Gäste zur „GÜST Zimmerstraße“ gebracht, im Westen als Checkpoint Charlie bekannt.

Die Stasi, so belegen die Dokumente der Birthler-Behörde, ist mit dem Besuch des amerikanischen Gastes mehr als zufrieden. „Während des gesamten Einsatzzeitraumes“, so heißt es im Abschlussbericht der MfS-Hauptabteilung XX, „war die Durchsetzung der politisch-operativen Interessen des MfS gewährleistet. Das politische Ziel dieser Friedensmanifestation wurde erreicht“.

Ob er sich bei diesem Besuch in der DDR eigentlich wohlgefühlt habe, wird Harry Belafonte später in einem Interview gefragt. Was die DDR-Machthaber „über Rassen, Frieden und Klassen gesagt haben, klang immer sehr gut in meinen Ohren“, antwortet er. „Die Schriften von Marx fand ich schon seit jeher hoch interessant. Aber ich wusste auch, dass die frohen Botschaften aus dem Mund von korrupten Leuten kamen.“

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