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Das Parkett knackt nicht, niemand flüstert, keine Geräusche hallen durch hohe Räume. Der digitale Galerie-Rundgang.
© Staatliche Museen zu Berlin

Kunst trotz Lockdown: Auf einen virtuellen Rundgang durch die Berliner Gemäldegalerie

Die Gemäldegalerie bleibt noch bis April geschlossen. Die Werke von Caravaggio und Botticelli sind jedoch auch in einem virtuellen Rundgang zu bestaunen.

Als Sandro Botticelli um 1485 vom Florentiner Kaufmann Giovanni d’Agnolo de’ Bardi den Auftrag erhielt, für dessen Grabkapelle in S. Spiriton ein Bildnis der Mutter Gottes anzufertigen, hatte er bei seinem Entwurf auch den Ort der späteren Hängung zu berücksichtigen, nämlich über dem Altar.

Kein Gläubiger würde also Maria, dem strampelnden Jesusknäblein und den beiden das Figurenensemble komplettierenden Heiligen, dem Evangelisten Johannes und Johannes dem Täufer, Auge in Auge gegenüberstehen. Der Blick würde von schräg unten auf die heilige Gruppe fallen, bei leicht verzerrender, die Figuren verkürzender Perspektive. Und so zog sie Botticelli eben ein wenig in die Länge, glich das optische Problem aus.

Das Gemälde hängt im Saal der coronabedingt geschlossenen Gemäldegalerie, ist also real nicht zu besichtigen, und daran wird sich vorerst nichts ändern. Zwar dürfen die Berliner Kunstorte seit kurzem wieder öffnen, doch bei der den Staatlichen Museen zugeordneten Gemäldegalerie geht es erst am 1. April los.

Seit kurzem aber kann sie virtuell durchstreift werden, wobei sich allerdings ein perspektivisches Problem stellt, dass Botticelli und seine Kollegen nun wirklich noch nicht auf dem Schirm haben konnten.

Die Kamera wurde nicht von Bild zu Bild getragen, was vielleicht auch etwas zu aufwändig gewesen wäre. Vielmehr wurde sie pro Raum nur für einen Rundblick eingesetzt, einen Panoramaschwenk, den man am Bildschirm zwar jederzeit stoppen kann, aber das dabei erfasste Gemälde ist häufig perspektivisch arg verzerrt.

Tonaufnahmen erklären Details der Bilder

Beispielsweise auch Botticellis vom Bardi-Altar stammende „Thronende Maria mit dem Kind und den beiden Johannes“. Man kann es heranzoomen, manches Detail, auf das man nach einem Klick auf das unter dem Bild befindliche Lautsprechersymbol erläuternd hingewiesen wird, ist dennoch nicht zu erkennen, möglicherweise vom Rahmen verdeckt. Wo steckt beispielsweise der dem Evangelisten Johannes ikonographisch zugeordnete Adler?

Ein nur anfangs irritierendes, doch mit ein paar Klicks behobenes perspektivisches Problem: Der erste auf das Gemälde öffnet ein Feld mit den wichtigsten Informationen, ein zweiter die entsprechende Seite im Digitalarchiv der Staatlichen Museen, auf der neben weiteren Informationen das Gemälde unverzerrt, wenn auch noch nicht in optimaler Bildqualität geboten ist.

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Doch nach einem weiteren Klick auf „Google Arts & Culture“ ist die Mariengruppe nun sogar in hoher Auflösung zu sehen. Selbst kleinste Details wie bei Botticelli der Adler des Johannes sind jetzt durch immer stärkere Vergrößerung genau zu erkennen, und erneut gibt es Informationen zum Bild.

Der virtuelle Rundgang durch die Gemäldegalerie baut also teilweise auf dem seit 2011 bestehenden Google-Angebot eines Spaziergangs durch die Museen der Welt auf. Das Haus im Kulturforum am Potsdamer Platz ist dort bereits – wie etwa auch die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel – mit zwei qualitativ allerdings nicht optimalen Rundgängen sowie einer Sammlung hochaufgelöster Fotos präsent, auf die man für den neuen Online-Rundgang durch die Gemäldegalerie nun zurückgreifen konnte.

Digitalisierung der Staatlichen Museen war ohnehin geplant

Er ist angesichts der aktuellen Schließung des Hauses sehr hilfreich, wäre aber auch ohne Corona erstellt worden. Für die Staatlichen Museen ist er vielmehr der zweite Schritt zur ohnehin geplanten digitalen Erschließung ihrer Häuser. Der erste erfolgte bereits 2015 mit dem Bode-Museum, ein durch teilweise geänderte Hängung nicht mehr ganz aktueller Kunstspaziergang via Bildschirm, der demnächst überarbeitet werden soll.

Schon den virtuellen Streifzug durchs Bode-Museum – 62 Rundum-Panoramen mit Informationen zu 850 Werken in der Skulpturensammlung und dem Museum für Byzantinische Kunst – hatte Wolfgang Gülcker, Mitglied im Kaiser Friedrich Museumsverein, ehrenamtlich konzipiert und umgesetzt. In dem 1897 gegründeten, noch seinen alten Namen tragenden Verein haben sich Förderer von Gemäldegalerie und Skulpturensammlung zusammengefunden. Das neue Projekt geht auf die Initiative von Vorstandsmitglied Marion Knauf zurück.

Im Bode-Museum auf der Museumsinsel gibt es bereits seit 2015 ein digitales Projekt.
Im Bode-Museum auf der Museumsinsel gibt es bereits seit 2015 ein digitales Projekt.
© imago

Er freue sich, „dass wir die Sammlung der Gemäldegalerie in all ihrer Pracht und Bedeutung ab sofort Kunstbegeisterten in aller Welt zugänglich machen können“, lobte Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen, während Julien Chapuis, Direktor von Gemäldegalerie und Skulpturensammlung, „die enge kollegiale Zusammenarbeit zwischen der Gemäldegalerie und dem Kaiser Friedrich Museumsverein“ hervorhob.

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Deren Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. 58 Säle und Kabinette sind in 112 hochauflösenden 360 Grad Panoramen zu durchstreifen, eine virtuelle Tour, die sich bewusst am Museumsrundgang vor Ort orientiere und einen realistischen Raumeindruck ermögliche, wie es in einer Mitteilung der Staatlichen Museen heißt.

Und dass man nicht immer jedes Werk von vorne betrachten kann, sondern sich oft genug, weil dort schon andere stehen, Mit einem Blick von der Seite oder aus der Ferne begnügen muss, weiß jeder Museumsbesucher – obwohl sich das Problem in der Gemäldegalerie seltener stellt als etwa im Louvre.

Mehr als die Hälfte der Werke sind online erklärt

Per Klick gibt es zu jedem der rund 1200 ausgestellten Werke die wichtigsten Informationen zur Entstehungs- und Sammlungsgeschichte, davon sind 740 mit Objektseiten in der Datenbank der Staatlichen Museen und 80 mit Google Arts & Culture verlinkt. Es gibt Einführungen in die Ausstellungsbereiche, eine Übersicht über die 200 Highlights der Sammlung, eine alphabetische Liste der Kunstschaffenden sowie Audiobeiträge und Videos zur weiteren Orientierung.

Um die Kunstschätze leibhaftig zu erleben, heißt es also noch ein paar Wochen warten. Doch selbst dann bleibt der Kunstgenuss nicht unbeeinträchtigt. Ab Mitte April wird die Gemäldegalerie mit einer neuen Lichtanlage ausgestattet, jeweils ein Viertel der Ausstellungsfläche muss geschlossen bleiben.

Die davon betroffenen Highlights werden besucherfreundlich vorübergehend umgehängt, Bilder wie Caravaggios „Amor als Sieger“ etwa, 1602 für seinen Gönner, den Marchese Vincenzo Giustiniani, angefertigt und „sein skandalträchtigstes Werk“, wie man dank Audiokommentar beim virtuellen Rundgang erfährt. Das Bild beziehe sich auf ein Vergil-Zitat: „Omnia vincit amor – die Liebe besiegt alles.“

So splitterfasernackt, wie der kleine Amor sich präsentiert, mit den Pfeilen in der rechten Hand und der linken Flügelspitze, die beide auf sein Geschlecht weisen, brauchte es freilich keinen Kommentar, um zu verstehen: Caravaggio hat nicht die platonische Liebe gemeint.

Der virtuelle Rundgang durch die Gemäldegalerie findet sich im Internet unter smb.museum/gemaeldegalerie-360. Ins Bodemuseum geht es über smb.museum/bode-museum-360, zum Google-Projekt über artsandculture.google.com.

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