Neues Musical in Berlin: Auf den Spuren von Harald Juhnke: Bühne frei für den Hauptmann von Köpenick!
Vor 100 Jahren stürmte Wilhelm Voigt verkleidet als Hauptmann das Köpenicker Rathaus. Er stahl die Stadtkasse und wurde berühmt. Jetzt wird er zur Titelfigur eines Musicals – am selben Ort.
Eine Kavalleriedivision kreuzt im Stechschritt durch den gepflasterten Innenhof des Rathauses Köpenick, die Rücken kerzengerade, die Pickelhauben glänzen in der Abendsonne. Die Herren tragen buschige Koteletten. Im Hintergrund ist das sanfte Läuten des Glockenturms zu hören, Uniformen so weit das Auge reicht, junge Damen mit langen Kleidern und breiten Hüten winken mit preußischen Fahnen, während im Hintergrund Salonmusik spielt. Über all dem thront das Konterfei des Kaisers, der mit finsterer Miene auf die Menge herabschaut.
Ein normaler Tag im Rathaus Köpenick dieser Tage: Hier laufen die Vorbereitungen für das Musical „Der Hauptmann von Köpenick“, das im Rathaushof am Freitag Uraufführung feiert. Der „echte Hauptmann“ begrüßt den Besucher schon an der hölzernen Pforte – in Bronze gegossen, als Erinnerung an den kleinen Mann, der einst die autoritäre, preußische Staatsgewalt unterwanderte: 1906 stürmte der Schuster Wilhelm Voigt in gestohlener Hauptmannsuniform das Köpenicker Rathaus, stahl die Stadtkasse und marschierte zur Tür hinaus. Doch der Hochstapler fiel auf, wurde verhaftet – und schlagartig berühmt. In historischer Originalkulisse wird seine Geschichte nun neu erzählt, mit Gesang und Tanz.
Hauptmann kehrt an Tatort zurück
Das Bühnenstück von Carl Zuckmayer von 1931, was auch als Vorlage für diverse Verfilmungen mit Heinz Rühmann sowie Harald Juhnke in der Titelrolle diente, inspirierte Regisseur Heiko Stang vor zwei Jahren zu den Texten und Liedern seines Musicals. „Das Original von Zuckmayer bietet sich einfach an, vertont zu werden“, meint Stang.
Im Köpenicker Rathaushof steht heute die Musicalbühne, die den Eindruck erweckt, als habe sie schon vor 100 Jahren dort gestanden. Damals, nach seinem spektakulären Coup, reiste Wilhelm Voigt durch ganz Europa, um auf Jahrmärkten seine Geschichte zu erzählen. „Genau dieses Gefühl soll diese Bühne vermitteln: Als habe sie ein Jahrhundert irgendwo auf dem Speicher gestanden und werde nun noch einmal hervorgeholt, damit Wilhelm Voigt seine Geschichte hier erzählen kann“, erklärt Stang begeistert.
Der Hauptmann kehrt an den Tatort zurück – mit Wortwitz, Augenzwinkern und untermalt mit jazzigen Tönen. Das „Café National“ verwandelt sich in einen Amüsierschuppen, die Damen in bunten Korsetts und Federschmuck in den Haaren schwingen die Röcke, und die Herren bestellen natürlich alle das Gleiche: „Een Hellet und een Korn.“ Flagge und Reichsadler sind immer zu sehen, preußische Manier durch und durch. Die Bürokraten sind pikierte Aktenschieber, die streng nach Vorschrift und mit militärischer Genauigkeit ihre Aufgaben erfüllen. Wehe dem, der um Punkt 12 stört: Mittagspause. Manche Dinge ändern sich nie.
Eine Punktlandung soll es werden
Wer so gar nicht in all das reinpasst, ist besagter Wilhelm Voigt, gerade aus 15-jähriger Haft entlassen, der versucht, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, damit er Arbeit suchen kann. „Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit“, sagt der Wachtmeister und weist ihn ab: Ohne Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis. Ein Teufelskreis. „Es ist ein fantastischer Stoff für ein Musical“, erklärt Hauptdarsteller Maximilian Nowka, der gebürtiger Hamburger ist und doch echt berlinerisch klingt. „Dieser Akzent ist so sympathisch, und gleichzeitig hat er immer so einen ironischen Unterton.“ Die größte Herausforderung war, die Ernsthaftigkeit nicht zu verlieren, schließlich habe das Stück ja durchaus nachdenkliche Passagen. Den Akzent hat er ganz bodenständig in Charlottenburg trainiert – bei seinem Bäcker.
Auch sonst berlinert es charmant aus allen Ecken im Rathaushof, die Stimmung ist hervorragend, die Vorfreude zu spüren. Es geht familiär zu, alle packen mit an. Eine echte Herzensangelegenheit: „Das Gefühl, hier unter dem Rathausturm am Originalschauplatz zu spielen, ist einfach großartig“, meint Nowka.
Regisseur Stang ist zuversichtlich für die Uraufführung, eine Punktlandung soll es werden: „Mit Musik kann man eine ganz andere Geschichte erzählen.“ Wenn dann die Kavalleriedivision wieder über den Hof marschiert und Texte wie „Wat is schon eener jegens janze jenommen“ oder „Die Welt ist groß und jeden Morgen jeht die Sonne uff“ untermalt von Big-Band-Klängen über den Hof schweben, wird man das Gefühl nicht los, der echte Hauptmann habe eigentlich gerade erst den Tatort verlassen.
Köpenicker Rathaushof (Alt-Köpenick 21), Uraufführung: 26.6., immer Freitag, Samstag, Sonntag bis 30.8., Karten ab 23 € (erm. 20), www.hauptmann-musical.de