Berliner Psychologin zur Situation der Flüchtlinge: "Auf Angst reagiert man mit Kampf oder Flucht"
Die Auseinandersetzungen unter Flüchtlingen häufen sich. Die Psychologin Babette Renneberg erklärt, wie Aggression entsteht, und was dagegen hilft.
Fast alle handgreiflichen Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften haben beim Warten aufs Essen begonnen. Ist das Zufall?
Die Menschen leben in einer sehr angespannten Situation: Sie sind über Wochen mit Fremden zusammen – bei knappen Ressourcen. Letztlich geht es da ums Überleben. Aus dieser Gemengelage besteht in jedem Fall und in jeder Kultur eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Aggressionen entstehen.
Können Menschen allein schon wegen der bloßen Zahl ihrer Mitbewohner aggressiv werden?
Menschen vertragen es nicht gut, wenn sie auf engem Raum mit vielen anderen zusammen sind. Viele bekommen oder haben auch Angst. Auf Angst reagiert man mit Kampf oder mit Flucht. Und Flucht scheidet aus.
Sind Männer generell aggressiver?
Ja, das ist ein Geschlechterunterschied, der evolutionsbiologisch bedingt ist. So geht ein höherer Testosteronspiegel mit einem höheren Aggressionslevel einher. Männer haben mehr Testosteron als Frauen.
Was ist problematischer fürs friedliche Miteinander: Eine große Turnhalle mit 200 Schlafplätzen oder ein kleines Zimmer mit sechs Doppelstockbetten?
Man kann das nicht allgemein beantworten. Einerseits ist die Turnhalle noch anstrengender, zumal sich in ihr sicherlich auch Menschen befinden, die traumatisiert sind. Denken Sie doch nur an die vor dem Krieg geflüchteten Menschen: Sie haben nachts Alpträume und schreien. Aber auch in einem kleinen Zimmer kann es ganz schwierig werden, wenn man beispielsweise mit einem Mitbewohner nicht zurechtkommt oder schon mal Ärger mit ihm hatte. Dabei kann es auch um ganz banale Dinge gehen wie um unterschiedliche Vorstellungen darüber, ob das Fenster offen oder geschlossen sein soll.
Es ist ja zu befürchten, dass viele Neuankömmlinge über Monate gezwungen sind, ohne sinnvolle Beschäftigung in Massenunterkünften zu leben. Wie gefährlich ist das aus psychologischer Sicht?
Je länger die schwierige Situation für diese Menschen andauert und ihnen die Perspektive fehlt, desto schwieriger wird es.
Wie ließe sich die Situation in den Unterkünften entschärfen?
Indem man Perspektiven schafft! Idealerweise haben die Leute etwas zu tun. Es ist zunächst nicht so wichtig, welche Tätigkeit das ist. Die Menschen brauchen eine Beschäftigung. Je sinnvoller die ist, desto besser. Auch die Aussicht, in ein paar Wochen eine andere Unterkunft zu haben, kann schon helfen. Alles ist besser, als zu warten und mit der andauernden Angst leben zu müssen, dass man abgeschoben werden könnte.