Grünanlagen in Berlin: Anwohner beklagen Verwahrlosung des Engelbeckens
Die Wende bedeutete die Wiedergeburt der Grünanlage "Luisenstädtischer Kanal". Nun klagen Anwohner, der teuer renovierte Park verwahrlose.
Den Brennnesseln geht es prima. Die akkurat geschnittene Hecke am Südufer des Engelbeckens überragen sie locker, haben sich offenbar den schmalen Streifen am Wasser erobert, ohne dass sie jemand daran hinderte. Oder sind die Mitarbeiter des Gartenbauamts Mitte mit dem Mähen vielleicht einfach noch nicht fertig geworden, und das schmerzende Grünzeug verschwindet erst demnächst? Immerhin steht ein nur teilweise mit Grünabfällen gefüllte Container in der Nähe, könnte also sein, das hier bald wieder die Motorsense rattert.
Aber dieser Wildwuchs der Natur auf dem fürs Sonnenbad fast zu schmalen Uferstreifen ist es nicht, an dem Anwohner des sich auf Mitte und Kreuzberg verteilenden Gartendenkmals „Luisenstädtischer Kanal“ seit einiger Zeit Anstoß nehmen. Das nach der Wende als eine Art floristischer Phönix aus der Asche des DDR-Grenzregimes wiederaufgetauchte Kleinod droht – ihrem Eindruck nach – zu verrotten, werde von den zuständigen Behörden vernachlässigt. Der Pflegezustand der Gartenanlage im Zuständigkeitsbereich von Mitte, anders als in dem von Friedrichshain-Kreuzberg, habe sich zwar erheblich verbessert und die Gärtner machten dort „einen guten Job“, es bleibe aber das Abfallproblem. Und vor allem wird in einem Offenen Brief der Zustand der Brunnenanlagen und des Engelbeckens beklagt wie auch der des Weges unter der Waldemarbrücke, einem Bauwerk mit bewegter Vergangenheit.
In den 80ern sollte die Waldemarbrücke abgerissen werden
Anfang 1989 nämlich drohte die Waldbühne Konkurrenz in Kreuzberg zu bekommen – in kleinem Rahmen. Die Stadtentwicklungsgesellschaft Stern hatte für die marode, dem Abriss gerade so entronnene Brücke an der Grenze zu Ost-Berlin eine neue Verwendung ersonnen: Der durch Mauern verschlossene Raum unter ihr, Lager für Geräte des Gartenbauamtes, sollte einem Verein von Musikpädagogen überlassen, die Fläche davor zum Amphitheater umgestaltet werden.
Mit dem Mauerfall waren diese musikalischen Stadtplanungsträume Makulatur. Die Brücke wurde in den folgenden Jahren saniert, der zuvor verschlossene Raum mutierte zum Tunnel zwischen West- und Ost-Bezirk, und das triste Areal nördlich und südlich davon wurde wieder zum grünen Kleinod. Einst schwappte dort das Wasser des in den 1920er Jahren zugeschütteten Luisenstädtische Kanals, der unter der Leitung des im damaligen Berlin ungemein rührigen Gartenarchitekten Erwin Barth zur Gartenanlage umgestaltet wurde, mit dem Engelbecken als letztem Zeugnis der nassen Vergangenheit – eine Preziose der Stadtplanung, zu der man nach der Wende zurückstrebte, für ein grünes Bindeglied zwischen West und Ost.
Aus dem Drachenbrunnen leckt es Richtung Mitte
Das ist, nimmt man den gegenwärtigen Zustand, nur partiell gelungen und am wenigsten unter der einst als Kreuzberger Kulturort geplanten Waldemarbrücke. Duster ist es dort, ein wenig gruselig, und offenbar wählen Anwohner diesen verborgenen Ort auch schon mal zur Entsorgung ihres Sperrmülls. Aktuell hat dort beispielsweise ein altes Sofa einen neuen Platz gefunden.
Auch davor sieht es kaum besser aus: Zwischen kunstvoll hingewürfelten Findlingen wuchert es wild, eingerahmt von Bauzäunen, der kleine Spielplatz ist nicht länger zugänglich. Die Rasenflächen könnten auch mal wieder gemäht werden, und aus dem Drachenbrunnen am Kreuzberger Oranienplatz leckt es in Richtung Mitte. Immerhin sprudelt er und gilt bei den Berliner Wasserbetrieben, die die Brunnen in Friedrichshain-Kreuzberg betreuen, als problemlos, erst Anfang Mai sei er gereinigt worden. Von der Undichtigkeit wisse man zwar, aber die zu beheben, falle nicht unter den mit dem Bezirk geschlossenen Vertrag. Initiative, Auftrag und vor allem Geld müssten von dort kommen.
Mit den Brunnen in Mitte, jenseits der Waldemarbrücke, haben die Wasserbetriebe nichts zu tun, sie fallen in die Verantwortung der grünen Stadträtin Sabine Weißler. Der Indische Brunnen zum Beispiel, eine ans historische Vorbild angelehnte Anlage nördlich der Brücke, mit einer Art Tempeltänzerin als anmutiger Krönung. Jemand hat ihr eine weiße Rose zwischen die Bronzefinger geklemmt, vielleicht aus Mitleid, denn die Frau sitzt seit längerer Zeit auf dem Trockenen: kein Wasser im Brunnen. Der steinerne Sockel sei marode, Ersatz schon bestellt und sogar geliefert worden, erklärt die Stadträtin die anhaltende Dürre. Er habe aber qualitativ nicht den Wünschen entsprochen und sei zurückgesandt worden. Nun warte man auf eine neue, bessere Lieferung.
Dagegen schießt das Wasser im Engelbecken, dem Prunkstück des gesamten Grünzugs, aus gleich 16 Fontänen. Wasser ist genug da, bei Starkregen sogar im Überfluss, sodass an der Nordseite, am dortigen Café, ein Überlaufbecken gebaut wurde. In dem soll es ebenfalls sprudeln und spritzen, was es aber schon seit einiger Zeit nicht mehr tut. Das Wasser steht still und gerät mit der Zeit in einen unappetitlichen Zustand, wie Cheena Riefstahl, Betreiber des dortigen Cafés, beklagt.
Sabine Weißler kennt das Problem, weiß es aber kurzfristig nicht zu lösen. Ursache seien die Rhizome, wild im Wasserbecken sich ausbreitendes Wurzelwerk, in diesem Fall von Röhricht. Das wurde keineswegs bewusst am Nordufer gepflanzt, sondern wohl von Vögeln eingeschleppt und zeigt sich überaus dankbar für die neue Heimstatt. Anfangs habe diese unverhoffte Schilfszenerie – früher sprach man in solchen Fällen gern von Spontanvegetation – allen gut gefallen, doch sei das Wachstum außer Kontrolle geraten, noch verschärft durch pflanzliche Kleinteile, Schmutz und Kot, die durch die neuen Bewohner ins Wasser geraten. Und die fühlen sich dort sehr wohl: Enten, Schwäne, Fische, ja, auch Schildkröten, sogar Kormorane und als Stammgast ein Reiher – alle da.
Der Wasserfilter ist der wuchernden Natur nicht gewachsen
Nur sei eben die vorhandene, auf Sandbasis arbeitende Filteranlage dafür nicht vorgesehen gewesen, kapituliere vor dieser Herausforderung und verstopfe. Das Schilf einfach zu entfernen, gehe aber auch nicht, beschreibt die Stadträtin das ebenso ökologische wie juristische Dilemma: Röhrichtflächen seien in Berlin gesetzlich geschützt, selbst in einer künstlichen Anlage wie dem Engelbecken. Ein Kompromiss müsse da gefunden werden und vor allem ein neues Filtersystem. Ein technisch anspruchsvolles und nicht billiges Unterfangen, sagt Weißler. Alle Seiten seien sehr bemüht, eine Lösung zu finden, was dadurch noch erschwert werde, dass es eben kein sehr häufiges Problem sei.
Andere sind dagegen stadtweit präsent und so eben auch am Engelbecken: die schmalen Liegewiesen am Wasser – nach lauen Sommerabenden oft vermüllt. Die Mauern, die das Areal begrenzen – über und über mit Graffiti bedeckt. Und dann die Brennnesseln. Aber die findet Sabine Weißler ganz in Ordnung als wichtige, ja einzige Futterpflanze von Schmetterlingsarten wie dem Admiral und dem Tagpfauenauge. Der verantwortungsvolle Gärtner reiße sie nicht samt und sonders raus, sondern lasse sie an Ecken stehen, wo sie niemanden stören. Und das tun die Brennnesseln am Südufer des Engelbeckens nun wirklich nicht.