Sonne, 20 Grad und volle Parks: Ansteckender Frühling? Wo der Leichtsinn beginnt
Das Wetter zieht viele Menschen in Berlin nach draußen. Die Parks sind voll. Was ist erlaubt? Wo wird kontrolliert? Wie hoch ist das Ansteckungsrisiko?
Musik aus Boomboxen, klirrende Flaschen, Stimmenwirrwarr – das ist die Geräuschkulisse am Boxhagener Platz in Friedrichshain am Dienstagabend, wie sie sich an vielen Orten in der Stadt abspielte. Auf der Wiese sitzen Menschen, oft in kleinen Runden, manchmal in größeren. Eine Bar verkauft Getränke aus der Terrassentür, vor einer Pizzeria ist für Passanten auf dem Gehweg fast kein Durchkommen mehr.
Das sonnige und warme Wetter zieht die Menschen nach draußen in die Parks. Von Vorsicht angesichts der dritten Corona-Welle und steigender Infektionsgefahr ist kaum etwas zu merken – stattdessen frühlingshafte Unbeschwertheit.
Das Verweilen in Parks sei aktuell – anders als vor dem 8. März – „nicht mehr untersagt“, teilte die Polizei mit. Gleiches trifft auf Straßen, Wege und Plätze zu. In Parks und Grünanlagen gilt ein Alkoholverbot. Auf sonstigen Plätzen und Gehwegen darf dagegen jeder zur Dose Bier oder zur Flasche Wein greifen, untersagt ist nur der Ausschank zum sofortigen Verzehr.
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Dennoch dürfen nicht beliebig große Gruppen zusammenkommen. Es gelten die allgemeinen Kontaktbeschränkungen. Maximal dürfen sich zwei Haushalte treffen, wobei nicht mehr als fünf Personen zusammenkommen dürfen. Kinder unter 14 Jahren zählen nicht. Was oft übersehen wird: Zu anderen Leuten als den eigenen Mitbewohnern, Partnern und Kindern muss auch innerhalb dieser Gruppe 1,5 Meter Abstand gewahrt werden.
Noch im Februar, als Berlin ein erstes warmes Wochenende erlebte, hatte die Polizei eine volle Liegewiese im Mauerpark in Prenzlauer Berg geräumt – und dies auch mit einem Verbot des „Verweilens“ in Grünanlagen begründet.
Heute wäre das mit dieser Begründung nicht mehr möglich. Am 7. März trat eine neue Fassung der Corona-Verordnung in Kraft, die den entscheidenden Paragrafen zur Kontaktbeschränkung und dem Aufenthalt im öffentlichen Raum neu sortiert hat. Die Änderung wurde vom Senat nicht kommuniziert und blieb praktisch unbemerkt. Auch nach den jüngsten Senatsbeschlüssen unter dem Eindruck schnell steigender Infektionszahlen hat sie Bestand.
Zwar ist das Risiko einer Infektion draußen wesentlich geringer als drinnen. Deshalb sieht der Aerosolforscher auch auf gut besetzten Parkwiesen im Grundsatz keine große Gefahr. „Wenn die einzelnen Grüppchen die 1,50 Meter Mindestabstand zu anderen einhalten, dann ist das Ansteckungsrisiko durch möglicherweise virenbelastete Aerosolpartikel unter freiem Himmel verschwindend gering”, sagt Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung. Allerdings gebe es auch im Außenbereich gefährlichere Situationen.
Auch unter freiem Himmel sollte man Abstand halten
„Wenn man sich länger als wenige Minuten gegenübersteht oder -sitzt und sich dabei unterhält, sollte man auch unter freiem Himmel eine Maske tragen und zueinander den Mindestabstand von 1,50 Meter einhalten“, sagt Asbach. Denn gerade beim Sprechen entstünden viele Aerosolpartikel. „Das Gegenüber kann dadurch in einer Aerosolwolke stehen und damit die möglicherweise vorhandenen Viren in einer für eine Infektion ausreichend hoher Zahl aufnehmen.“
Das sei kein Grund, nicht raus zu gehen. „Die Gesundheitsgefahren in Innenräumen sind deutlich größer“, sagt Asbach.
Doch Aerosole sind nicht die einzige Gefahr der Ansteckung. In den Parks führt der Alkoholkonsum – obwohl verboten – auch dazu, dass die Menschen sich zunehmend enthemmt verhalten. Getränkeflaschen kreisen, Chipstüten und andere Snacks, Menschen umarmen sich. Die Polizei hat deshalb angekündigt, am Osterwochenende mit zusätzlichen Einsatzkräften unterwegs zu sein, die sich bei Kontrollen um die „Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen“ kümmern sollen, sagt eine Sprecherin. Die Polizei begleite die Mitarbeiter der Ordnungsämter, werde aber auch Hinweisen nachgehen.
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In Friedrichshain-Kreuzberg werde an den Ostertagen kontrolliert, sagt der für das Ordnungsamt zuständige Stadtrat Andy Hehmke (SPD). Allerdings auch nicht intensiver als sonst. Das Ordnungsamt nutze schon 90 Prozent seiner Kapazitäten zur Pandemiebekämpfung. „Eine weitere Steigerung ist hier kaum möglich.“
Auch das Ordnungsamt von Treptow-Köpenick will "ausgewählte Hotspots" – damit ist vor allem der Treptower Park gemeint – stichpunktartig kontrollieren. "Eine Abdeckung des gesamten Bezirksgebiets ist nicht möglich", hieß es aus dem Ordnungsamt.
In Pankow sind die Mitarbeiter an den Feiertagen nur zur Parkraumüberwachung im Einsatz, erklärte Stadtrat Daniel Krüger (für AfD). Mehr gäben die Dienstregelungen nicht her. Dafür sind aber Parkläufer im Einsatz, teilt das Bezirksamt auf Anfrage mit, sie sollen in den Parkanlagen Bürgerpark, Schlosspark Schönhausen, Park am Weißen See und im Mauerpark eingesetzt werden.
Sorgloses Verhalten von Getesteten
In Mitte sind "täglich 20 Mitarbeiter in Doppelstreifen in den Grünanlagen unterwegs", abends bis 24 Uhr, im Weinbergspark an den Feiertagen sogar bis zwei Uhr morgens. Dennoch hatte sich der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), für eine Ausgangssperre ausgesprochen, weil die Kontrollen durch das Ordnungsamt nur wie ein „Tropfen auf dem heißen Stein“ wirkten.
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Die Polizei wolle – wie 2020 – die Menschen ansprechen, zum Einhalten der Regeln und zu Tragen von Masken auffordern, sagt eine Sprecherin. Auch Lautsprecherwagen sollen wieder im Einsatz sein. Wer Aufforderungen nicht befolgt oder wiederholt angetroffen wird, muss mit einer Anzeige rechnen. Die Polizei ist mit rund 200 zusätzlichen Beamten im Einsatz, um vor allem in den wärmeren Nachmittagsstunden die Hotspots zu kontrollieren – darunter beliebte Orte wie Mauerpark, Park am Gleisdreieck und das Tempelhofer Feld.
Der Ordnungsstadtrat von Steglitz-Zehlendorf, Michael Karnetzki (SPD) kritisierte wie die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Verbindung zwischen Testen und Lockerungen im Alltag. "Auch ich habe insbesondere in der letzten Woche vermehrt Gruppen von feiernden Jugendlichen in den Parks gesehen. Vom Ordnungsamt angesprochen weisen diese dann, so wurde mir vom Ordnungsamt berichtet, darauf hin, dass sie ja in der Schule täglich getestet werden. Das ist genau die negative Nebenwirkung des verstärkten Testens. Es soll eigentlich nur dazu dienen, Infizierte schneller zu ermitteln, verleitet aber bei denjenigen, die negativ getestet werden, dazu, sich sorgloser zu verhalten."