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Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU). (Archivbild)
© Paul Zinken/dpa

Frank Henkel zu Amoklauf in München: "Angst und Trauer werden zum Begleiter unseres Alltags"

Innensenator Henkel sieht die Berliner Polizei "gut präpariert" für eine Situation wie die in München. Sagt aber auch, sie Sicherheitsbehörden seien an den Rand der Existenz gespart.

Herr Henkel, wann und wo haben Sie am Freitag von dem Anschlag in München erfahren?
Ich war mit meiner Familie unterwegs beim Essen und bin als erstes von meinem Pressesprecher informiert worden. Das war am frühen Abend.

Wie war Ihre Reaktion danach?

Ich habe mich unmittelbar danach mit meinem Staatssekretär Bernd Krömer beraten und ihn gebeten, den Chef der Senatskanzlei zu informieren. Später habe ich den Regierenden Bürgermeister dann selbst über die Lage informiert, wie sie sich für uns dargestellt hat. Die Informationen liefen über unsere Lagezentrale. Außerdem stand ich am Freitagabend natürlich mit dem Polizeipräsidenten Klaus Kandt permanent in engem Kontakt.

Wurde in Berlin wie in Nordrhein-Westfaleneine eine erhöhte Sicherheitslage ausgerufen?
Nein. Nach unseren Informationen gab es dafür keine Notwendigkeit. Meine erste Frage an die Sicherheitsbehörden war, ob der Anschlag einen Berlin-Bezug gehabt habe. Das wurde geprüft. Der Polizeipräsident informierte mich dann, dass es bislang keine Bezüge zu Berlin gebe.

Ist Berlin auf so einen Anschlag vorbereitet?
Die Sicherheitsbehörden tun alles mögliche, um solche Taten zu verhindern. Es ist natürlich wichtig, auf den schlimmsten Fall vorbereitet zu sein. Deshalb werden Amoklagen ebenso wie Reaktionen auf terroristische Anschläge trainiert. Und genauso ist es nötig, die Polizei auch entsprechend auszustatten. In dieser Legislaturperiode habe ich als Innensenator einen großen Schwerpunkt darauf gelegt und durchgesetzt, dass 1000 Stellen zusätzlich bei der Polizei geschaffen werden. Das Parlament hat unsere Vorlage beschlossen, so dass im Doppelhaushalt ein Sicherheitspaket über 33 Millionen Euro mit zahlreichen Antiterrormaßnahmen verabschiedet wurde. Damit sollen Körperschutzausstattung, Einsatzbekleidung oder ballistische Schutzhelme angeschafft werden. Auch Fahrzeuge und andere Technik gehören dazu.

Aber gibt es aktuell in Berlin genug Polizisten mit einer guten Ausrüstung?
Richtig ist, dass SPD und Linkspartei in ihrer Koalition die Sicherheitsbehörden an den Rand ihrer Existenz gespart haben. Ich habe als Innensenator viel Anstrengungen unternommen, um eine Trendumkehr zu schaffen. Ich gehe davon aus, dass die Polizei für solche Lagen gut präpariert ist.

Was passiert bei einer solchen Lage?
Bei der Berliner Polizei tritt in solchen Fällen ein Führungsstab zusammen, der den Einsatz koordiniert. Es gibt feste Organisationspläne, nach denen wir verfahren. Wir sind auf Amoklagen vorbereitet, wissen aber auch, wie wir auf terroristische Anschläge reagieren wollen. Die Polizei trainiert auch immer wieder solche Szenarien.

Sind die Sicherheitsbehörden gut verzahnt?
Es gibt in diesem Führungsstab einen ständigen engen Austausch aller zuständigen Behörden und Institutionen.

Rund 750.000 Besucher tanzten am Sonnabend auf dem Christopher Street Day. Hatten Sie nach dem Anschlag in München überlegt, den CSD abzusagen?
Ich habe mit dem Polizeipräsidenten am Freitag und noch am Samstagvormittag darüber gesprochen, wie wir mit dieser Großveranstaltung umgehen. In der Nacht von Freitag auf Samstag gab es außerdem noch eine Schaltkonferenz zwischen Bund und Ländern auf Arbeitsebene. Wir wussten ja lange nicht, ob es ein Einzeltäter oder mehrere Täter in München waren, ob es ein Amoklauf oder eine Terrorlage war. Bis spät in die Nacht war von Islamismusverdacht bis hin zu Spekulationen über rechtsradikale Hintergründe die Rede. Ich habe mich am Samstagmorgen erneut mit meinem Abteilungsleiter verständigt, der für öffentliche Sicherheit und Ordnung verantwortlich ist. Wir sind nach den aktuellen Erkenntnissen aus München zu dem Schluss gekommen, dass wir den Christopher Street Day nicht absagen müssen. Wir mussten aber Anpassungen vornehmen.

Gab es besondere Sicherheitsvorkehrungen für den CSD?
Bei einer solchen Großveranstaltung sind ohnehin sehr viele Polizeibeamte im Einsatz. Was weitere Sicherheitsvorkehrungen, polizeiliche Maßnahmen und Polizeikräfte betrifft, halte ich mich bedeckt.

Ist es in einer 3,5-Millionen-Metropole wie Berlin möglich, die Stadt so schnell zu evakuieren wie es in der 1,5 Millionen zählenden bayrischen Hauptstadt geschehen ist? Dort waren binnen zwei Stunden kaum noch Leute in der Innenstadt zu sehen.
Die Polizei ist in Berlin gut aufgestellt. Wir haben uns auf alle Einsatzlagen gut vorbereitet und tun das auch weiter. Wir sind im Übrigen auch in enger Abstimmung mit anderen Großstädten und mit dem Bund. Das Einsatzgeschehen in München wird sicherlich ausgewertet. Die Darstellung wird dann den Ländern zur Verfügung gestellt. So können in München gewonnene Erkenntnisse auch in unsere Berliner Pläne und Vorbereitungen einfließen. Bei solchen Taten darf nicht zu früh spekuliert werden. Die Polizei muss zunächst ihre Ermittlungsarbeit machen. Der Leistung der Münchner Behörden gebührt Hochachtung und höchster Respekt. Sie haben souverän agiert und sehr gut und besonnen kommuniziert.

Die Münchner Polizei hat sich Social Media wie Twitter und Facebook bedient und auf englisch, französisch und deutsch aufgefordert, keine Fotos oder Videos über soziale Netzwerke zu posten und Ruhe zu bewahren. Würde das die Berliner Polizei in einer solchen Situation auch so machen?
Wir sind in Berlin ja nun Vorreiter im Umgang mit Social Media gewesen und haben erfolgreiche Twitter-Aktionen durchgeführt. Wir twittern, wir nutzen Facebook, auch mehrsprachig. Und in einer solchen Lage wie München würde sich die Berliner Polizei auch Social Media bedienen. Ich möchte betonen, dass die Sicherheitsarchitektur in Deutschland gut funktioniert. Die großen Städte in Deutschland haben ähnlich hohe Standards. Darüber tauschen wir uns auch aus. Die Einsatzkompetenz in Berlin wurde Anfang des Jahres noch einmal in der neuen Direktion Einsatz gebündelt und verstärkt.

Wie kann die Politik dazu beitragen, dass das Gefühl der Beunruhigung in der Bevölkerung nicht wächst?
Wenn man solche Bilder im Fernsehen sieht, denkt man sich leider schon "Nicht schon wieder" - nach Paris, Brüssel, Orlando, Istanbul, Nizza, Würzburg. Es gab in letzter Zeit so viele schlimme Nachrichten, als dass sie ein Mensch mit fühlendem Herzen ertragen könnte. Das verändert vieles, auch in den Köpfen der Menschen. Wir müssen gerade damit umgehen, dass Angst und Trauer zu einem Begleiter unseres Alltags werden. Wir dürfen uns davon nicht völlig bestimmen lassen. Und wir dürfen nicht zulassen, dass unser Land und Europa von Angst und Misstrauen zerfressen werden. Ich bin mir dessen sehr bewusst, dass dies leichter gesagt als getan ist, wenn man solche schlimmen Bilder sieht. Egal wie gut die Sicherheitsbehörden arbeiten: Nicht jede Tat lässt sich verhindern. Wir müssen kühlen Kopf bewahren. Angst ist kein guter Ratgeber, aber Vorsicht und Wachsamkeit sind es. Dieses Verständnis muss die Politik vermitteln, und sie muss die Sicherheitsbehörden weiter stärken. Dieser Weg muss weitergehen.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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