Columbiabad Neukölln: Anarchie am Sprungturm
Aggressive Flashmobs in Freibädern sind keine Seltenheit mehr. Die Bäderbetriebe suchen nach einem Ausweg. Die Gewerkschaft beklagt Personalmangel.
Sie verabredeten sich zum „Sturm auf den Sprungturm“, eine Form von Flashmob, vermutet der Sprecher der Berliner Bäderbetriebe, Matthias Oloew. Der Sprungturm ist die Gefahrenzone eines Bades, mit erhöhtem Verletzungsrisiko, wenn Regeln missachtet werden. „Wenn Leute durcheinander springen, kann das bei einer Querschnittslähmung enden“, sagt Oloew.
An drei Tagen hintereinander rief der Leiter des Neuköllner Columbiabades die Polizei, um den besetzten Turm räumen zu lassen, damit war der Badebetrieb insgesamt beendet. Einen ähnlichen Fall gab es 2013 im Sommerbad Pankow. Als Konsequenz durften nur noch Familien hinein, was viel Protest auslöste und bald wieder aufgehoben wurde.
5000 Besucher kommen an heißen Tagen
Diesmal hielten rund 20 bis 40 Jugendliche „mit Migrationshintergrund“ den Sprungturm besetzt, passiv unterstützt von einer größeren Zuschauermenge. Die Sicherheitskräfte und das Badpersonal riefen die Polizei zu Hilfe. „Sie haben genau das Richtige getan“, erklärte Oloew. An den heißen Pfingsttagen war das Bad mit rund 5000 Besuchern gut gefüllt, auch in anderen Bädern gab es wie berichtet großes Gedränge.
18 bis 24 externe Sicherheitsleute und ebenso viele Schwimmmeister und Kassierer halten sich normalerweise im Bad auf, sagte Oloew. Künftig sollen auch wieder Konfliktlotsen eingesetzt werden, die befänden sich derzeit noch in der Ausbildung. Das Konfliktlotsen-Projekt „Cool am Pool“ gibt es seit 2011.
Vorschlag: Personalisierte Eintrittskarten
Als direkte Konsequenz aus dem Vorfall sollen die Sicherheitsleute künftig schon vor dem Bad Präsenz zeigen. Über weitere Maßnahmen sei man im Gespräch mit der Polizei. Den Vorschlag aus der Tagesspiegel-Community, personalisierte Eintrittskarten mit Lichtbild auszustellen, um Hausverbote besser durchsetzen zu können, wies Oloew als zu kompliziert zurück. „Dann werden die Schlangen vor den Kassen noch länger.“
Die Gewerkschaft Verdi erklärte, die Polizeieinsätze seien auch “Ergebnis eines eklatanten Personalmangels“. Die Bäderbetriebe würden den alten „Sommerbad-Tarifvertrag“ nicht mehr anwenden, sagte Verdi-Bereichsleiter Werner Roepke, deswegen komme es gerade an Wochenenden und Feiertagen zu Engpässen. Der alte Tarifvertrag habe den Mitarbeitern eine pauschale Zulage gewährt, wenn sie bereit waren, an sonnigen Wochenenden länger zu arbeiten.
"Bäderbetriebe stehen kurz vor der Insolvenz"
Die Bäderbetriebe bestreiten einen Zusammenhang zwischen Polizeieinsätzen und Personalmangel. An den Pfingsttagen sei Personal aus den Hallenbädern abgezogen worden, um Lücken in den Sommerbädern zu schließen. Die Öffnungszeiten der Hallenbäder zu reduzieren, entspreche zwar nicht den eigenen Vorgaben, sei aber wegen der angespannten Finanzsituation notwendig geworden. Im Frühjahr wurden drei Bäder nach Sanierung wieder geöffnet, dafür müssten eigentlich 60 neue Stellen ausgeschrieben werden, aber es fehle am Geld, sagte Oloew. „Die Bäderbetriebe stehen immer kurz vor der Insolvenz.“
Der „Sommerbad-Tarifvertrag“ stamme aus den 60er Jahren und sei wegen pauschaler Zulagen von 33 Prozent auf das normale Monatsgehalt vom Landesrechnungshof gerügt worden, sagte Oloew. Gezahlt wurde nämlich auch, wenn wegen schlechten Wetters keine Mehrarbeit anfiel. Hensing wolle künftig nach dem Tarifmodell für den Öffentlichen Dienst Mehrarbeit nur dann bezahlen, wenn sie konkret anfällt. Das lehnt Verdi ab.
Gerüchte, dass wegen Personalmangels und aggressiver Gäste bestimmte Attraktionen wie Sprungturm oder Rutsche künftig komplett gesperrt werden könnten, wies Oloew zurück.
Thomas Loy