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Immer wieder eine exponierte Stimme von der Pandemie-Bekämpfung an der Basis: Patrick Larscheid, Amtsarzt des Berliner Bezirks Reinickendorf.
© Kitty Kleist-Heinrich
Update

Präsenzpflicht an Berliner Schulen ausgesetzt: Amtsarzt sieht „entsetzliche Dummheit“ – Giffey verteidigt Entscheidung

Lange Debatte, plötzliche Entscheidung: Ab sofort ist die Präsenzpflicht an Berlins Schulen ausgesetzt. Kritik kommt vom Amtsarzt, von Lehrern, aus der Politik.

An der überraschend beschlossenen Aussetzung der Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler an Berliner Schulen gibt es teils massive Kritik. Der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid nannte die Entscheidung eine „entsetzliche Dummheit“. Der Gesundheits- und Familienstadtrat des Bezirks Mitte, Christoph Keller (Linke), bemängelte fehlende Absprachen.

„Wir wurden in keiner Weise beteiligt, es ist eine einsame Entscheidung der Senatorin gewesen“, sagte auch Larscheid am Montagabend der Deutschen Presse-Agentur. Der Widerstand und die Wut im Hygiene-Beirat, in dem die Politik sich mit Bezirken, Amts- und Kinderärzten und der Wissenschaft auch über das Vorgehen in der Corona-Pandemie berät, sei „maximal“. „Es wird allgemein befürchtet, dass diese Entscheidung dazu führt, dass die soziale Spaltung zwischen den Kindern verschärft wird“, sagte Larscheid.

„Wir hätten uns gewünscht, dass dieses Vorgehen, das gestern von der Senatorin veröffentlicht wurde, abgesprochen wäre mit den Gesundheitsstadträten, Amtsärzten oder Schulstadträten“, sagte Linke-Politiker Keller am Dienstag dem RBB-Inforadio. Bei ihm habe sich niemand gemeldet. Er befürchte nun, dass nach den Ferien gerade die Kinder zu Hause bleiben würden, die besser in der Schule aufgehoben seien, weil sie nur dort die nötige Unterstützung hätten.

Der Berliner Bezirk Mitte hat den höchsten Corona-Inzidenzwert in ganz Deutschland, rund 3166. Das Bezirksamt hatte allerdings kürzlich darauf hingewiesen, dass in den vielen Krankenhäusern in Mitte viele Infektionsfälle von Menschen aus anderen Bezirken erfasst und diese Daten derzeit nicht an die Wohnbezirke weitergeleitet würden.

Franziska Giffey: Eltern sind ohne Präsenzpflicht flexibler

Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) hatte am Montag mitgeteilt, angesichts steigender Corona-Infektionszahlen wegen der Omikron-Variante könnten Eltern ab sofort bis Ende Februar selbst entscheiden, ob ihr Kind die Schule besucht oder zu Hause arbeitet und lernt. Der Präsenzunterricht bleibe aber die „Regelform“.

[Lesen Sie weiter bei Tagesspiegel Plus: Eltern können ab Dienstag selbst entscheiden: Berlin setzt die Präsenzpflicht an Schulen aus]

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verteidigte die Entscheidung. Das Aussetzen der Präsenzpflicht sei ein Weg, um einerseits die Beschulung der Kinder zu sichern und andererseits besorgten Eltern mehr Flexibilität zu geben, sagte Giffey am Dienstag nach der Senatssitzung. "Das Präsenzangebot ist das Regelangebot. Wir wollen, dass das erhalten bleibt", sagte Giffey. "Viele sind auch auf eine gute und verlässliche Kinderbetreuung angewiesen."

Muss eine umstrittene Entscheidung zu den Schulen erklären: Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin.
Muss eine umstrittene Entscheidung zu den Schulen erklären: Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin.
© Hannibal Hanschke/POOL AP/dpa

Kritik kam auch aus der Opposition sowie vom Kinderhilfswerk Unicef. „Mit der Entscheidung übertragen Politik und Verwaltung die Verantwortung, ob Kinder zur Schule gehen, vollständig an die Eltern“, teilte Unicef-Abteilungsleiter Sebastian Siedlmayr am Montagabend mit. „Das Versprechen, Schulen zuletzt zu schließen, droht damit unterlaufen zu werden.“

Lehrerverband: "Eingeständnis, dass Schulen keine sicheren Orte mehr sind"

Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hält die Aufhebung der Präsenzpflicht an Berliner Schulen für falsch. „Es ist auch ein Eingeständnis der Politik, dass die Schulen anders als zuvor versprochen keine sicheren Orte mehr sind“, sagte Meidinger dem Nachrichtenportal „Business Insider“ am Dienstag.

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Meidinger sieht deutliche Nachteile im Verzicht auf die Präsenzpflicht: Ein geordneter Unterrichtsbetrieb und eine angemessener Lernfortschritt seien kaum möglich, weil die gleichzeitige Betreuung von Präsenz- und Distanzlernenden durch Lehrkräfte im Grunde nicht umzusetzen sei.

Hinzu komme, dass zum Teil gerade die Kinder zuhause blieben, die die direkte persönliche Unterstützung durch Lehrkräfte besonders brauchten und schon Lernlücken hätten. „Die Lücken werden in diesem Zeitraum eher größer als kleiner werden“, sagte Meidinger.

CDU-Chef Wegner: "Es muss eine klare Linie rein"

Berlins CDU-Partei- und Fraktionschef Kai Wegner beklagte ein Kommunikationschaos des Senats. „Eltern wissen nicht, was zu tun ist, Schulen wissen nicht, was zu tun ist, Amtsärzte widersprechen dem Senat“, sagte Wegner am Dienstag. „Das muss beendet werden, es muss eine klare Linie rein.“ Jetzt müssten sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und sich auf klare Maßnahmen verständigen.

„Die Schulpflicht darf das letzte sein, wo wir noch mal rangehen. Aber ich nehme auch die Inzidenzen zur Kenntnis. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass die Kontaktnachverfolgung nicht mehr stattfindet, dass Quarantäneregeln unterschiedlich angewendet werden“, so Wegner. „Da kann es sinnvoll sein, das man die Präsenzpflicht aussetzt.“

Gleichzeitig müssten aber Voraussetzungen geschaffen werden, damit Schulen weiter arbeiten könnten. Dazu zählten ausreichend Luftreiniger, ausreichend Testkapazitäten für tägliche Tests, ausreichend Schutzmasken und Maßnahmen, um die Gruppen in den Schulen zu verkleinern und Kontakte zu reduzieren. (Tsp, dpa)

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